Progerieforschung: Substanz aus Brokkoli kann Defekte abmildern

Hutchinson-Gilford Progeria Syndrom: Neue Erkenntnisse aus Humanzellkulturen

19.12.2014 - Deutschland

Kinder, die am Hutchinson-Gilford Progeria Syndrom (HGPS) leiden, altern frühzeitig. Grund dafür ist ein defekter Eiweißstoff in ihren Zellen. Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) identifizierten jetzt einen weiteren wichtigen Krankheitsfaktor: Die zelluläre Müllabfuhr, die für den Abbau von defekten Proteinen verantwortlich ist, arbeitet in HGPS-Zellen auf einem niedrigeren Level als in normalen Zellen. Mit einer Substanz aus Brokkoli gelang es den Forschern, den Proteinabbau in den Zellen wieder zu aktivieren und so krankheitsbedingte Defekte abzumildern.

K. Djabali / TUM

Das Bild zeigt zwei Zellkerne mit menschlicher DNA (blau). Aufgrund der großen Menge an Progerin (rot) verformen sich die Kerne in Zellen von HGPS-Patienten (links) im Vergleich zu normalen Kernen (rechts), die nur sehr wenig Progerin enthalten.

Die meisten HGPS-Patienten tragen eine Mutation, die eine fehlerhafte Form des Proteins Lamin A erzeugt. Dieses defekte Protein wird als Progerin bezeichnet. Das normale Lamin A ist ein wichtiger Bestandteil des Gerüsts, das die DNA im menschlichen Zellkern umgibt. Es spielt eine wichtige Rolle beim Ablesen von bestimmten Genen. Die defekte Form Progerin ist dagegen nicht funktionstüchtig, wird aber permanent neu gebildet – die Folge: Progerin sammelt sich im Zellkern an und lässt die Zelle „altern“. HGPS-Patienten leiden deshalb an klassischen Alterserkrankungen wie Arteriosklerose, Osteoporose, Herzinfarkten und Schlaganfällen. Deshalb gilt die Krankheit auch als mögliches Modellsystem für das natürliche Altern von Zellen.

Blick in den Zellkern

Um herauszufinden, welche Stoffwechselwege durch die Mutation und das defekte Protein genau betroffen sind, führten Prof. Karima Djabali und ihr Team von der Fakultät für Medizin und dem Institut für Medizintechnik der TUM (IMETUM) jetzt eine Vergleichsstudie von kranken und gesunden Gewebezellen durch. Sie überprüften dabei die Proteinzusammensetzung in den Zellkernen und suchten nach Unterschieden.

Besonders ins Auge fiel ihnen dabei aber zuerst eine Gemeinsamkeit: Sowohl in den gesunden als auch in den kranken Zellen fand sich die fehlerhafte Proteinform Progerin – aber nicht in derselben Menge. „Progerin entsteht auch in gesunden Zellen, vermutlich als Nebenprodukt. Eine gut funktionierende zelluläre Müllabfuhr kann diese geringen Mengen Progerin aber abbauen.“, so Djabali. In den Zellkernen der kranken Zellen konnten die Wissenschaftler aber 10 bis 20 Mal mehr Progerin nachweisen – ein riesiger Müllberg, der entsorgt werden muss.

Müllabfuhr in HGPS-Zellen gestört

Wie die Wissenschaftler aber herausfanden, funktionierte die zelluläre Müllabfuhr, das so genannte Proteasom und die Autophagie, in HGPS-Zellen nicht mehr korrekt. Diese beiden Abbausysteme bestehen aus sehr großen Proteinkomplexen. Sie sorgen dafür, dass defekte oder überschüssige Proteine abgebaut werden. In den HGPS-Zellen wurden einige wichtigen Bauteile dieser Komplexe nur noch in geringeren Mengen gebildet. „Diese Fehler in der zellulären Müllabfuhr verstärken den Effekt, dass sich defektes Progerin innerhalb kurzer Zeit ansammelt und die Zelle schädigt.“, erklärt Djabali. Insgesamt fanden die Wissenschaftler mehr als 28 Proteine aus unterschiedlichen Bereichen, die in den Zellkernen der HGPS-Patienten fehlreguliert waren – als Folge einer einzigen Mutation im Lamin A Gen.

Substanz aus Brokkoli als neuer Therapieansatz?

Die Wissenschaftler suchten als nächstes in der Literatur nach Substanzen, die das Proteasom und die Autophagie aktivieren und so der Progerinansammlung entgegenwirken könnten. Fündig wurden sie in Brokkoli. Darin wird ein Stoff produziert, Sulforaphan, der den Proteinabbau in der Zelle aktiviert. Die Wissenschaftler behandelten die HGPS-Zellen mit der Substanz und stellten fest, dass signifikant weniger Progerin in den Zellen zu finden war. Auch DNA-Schädigungen und Zellkernverformungen, weitere Effekte der Krankheit, traten seltener auf als in unbehandelten Zellen.

„Natürlich sind unsere Experimente sehr grundlegend, aber jede wirkungsvolle Substanz und jeder neue Ansatz bringt uns ein Stück näher an eine Therapie für HGPS-Patienten. Es könnte uns auch in Zukunft helfen, effektive Anti-Aging-Strategien zu entwickeln.“, fasst Djabali zusammen.

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