Nordseebewohner mit Strichcode
© Alexandra Sehgelken-Voigt
Seit mehr als hundert Jahren gibt es in der Nordsee kommerzielle Fischerei. Heute liefert das Schelfmeer etwa 5 Prozent des globalen Fischbedarfes – mit der Konsequenz, dass heimische Fischarten, wie Kabeljau, Scholle oder Seezunge im Bestand bereits deutlich reduziert sind.
„Um potentiell bedrohte Arten zu schützen und Bestandaufnahmen kommerziell wichtiger Fische vorzunehmen, müssen diese aber erst einmal eindeutig identifiziert werden“, sagt Dr. Michael Raupach aus der Abteilung Deutsches Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung (DZMB) von Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven. Der Meeresbiologe ist Leiter der Nachwuchsforschergruppe „Molekulare Taxonomie Mariner Organismen“ und baut dort seit knapp vier Jahren eine Sequenzbibliothek für die Nordseefauna auf.
„Unsere ‚Sequenzbibliotheken‘ beinhalten so genannte DNA-Barcodes – genetische Identifizierungs-Codes, vergleichbar mit dem Strichcode an der Supermarktkasse – sowie weitere molekularbiologische Marker“, erklärt Raupach. Durch den Vergleich mit den gespeicherten Daten in einer solchen Bibliothek können einzelne Individuen schneller erkannt und Veränderungen in der Nordseefauna zeitnah dokumentiert werden.
Und die Erfolgsquoten bei der Identifizierung der Tiere ist hoch: „Mit unserer Barcode-Datenbank können wir 93 nordatlantische Fischarten mit hundertprozentiger Sicherheit bestimmen“, erläutert der bei der Studie federführende Wilhelmshavener Meeresforscher Dr. Thomas Knebelsberger. Dies schließt insbesondere eine nun einwandfreie Bestimmung von Fischeiern und -larven ein.
„Das macht unsere Forschung aus: Der Einsatz von modernen Methoden mit dem Ziel die Artenvielfalt zu verstehen, zu schützen und natürliche Ressourcen nachhaltig zu nutzen“, freut sich Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, über das 2012 im Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“ ausgezeichnete Projekt. Senckenberg ist dabei auf einer Linie mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die empfiehlt die neuen Möglichkeiten der Taxonomie optimal zu nutzen und die Beschreibung aller Arten Mitteleuropas voranzutreiben.
Die Barcode-Datenbank kann zudem Licht in bisher ungeklärte wissenschaftliche Fragestellungen bringen. „Mithilfe unserer Daten sowie morphologischen Merkmalen konnten wir endlich den Artstatus der in der Nordsee invasiven Krabbe Hemigrapsus takanoi klären“, ergänzt Raupach, welcher die Studie in Kooperation mit Dr. Achim Wehrmann und Alexandra Markert aus der Abteilung Meeresforschung durchführte. Die aus Asien eingeschleppte Art wurde in Deutschland und ihren Heimatländern häufig mit der sehr ähnlich aussehenden Krabbe Hemigrapsus penicillatus verwechselt.
„Besonders in Gebieten, in denen intensive Aquakultur betrieben wird oder der Hafenbetrieb in Zukunft ausgeweitet werden soll, ist eine klare Identifizierung von eingewanderten Tieren hinsichtlich der Abschätzung ihres Risikopotentials enorm wichtig“, fasst Raupach zusammen.
Weitere, derzeit in Vorbereitung befindliche Barcoding-Studien sollen die genetische Variabilität von weiteren Krebsarten sowie Stachelhäutern und Weichtieren der Nordsee analysieren.
Originalveröffentlichung
Knebelsberger, T., Landi, M., Neumann, H., Kloppmann, M., Sell, A. F., Campbell, P. D., Laakmann, S., Raupach, M. J., Carvalho, G. R. and Costa, F. O. (2014), A reliable DNA barcode reference library for the identification of the North European shelf fish fauna. Molecular Ecology Resources.
Markert, A. et al. (2014): Molecular identification and morphological characteristics of native and invasive Asian brush-clawed crabs (Crustacea: Brachyura) from Japanese and German coasts: Hemigrapsus penicillatus (De Haan, 1835) versus Hemigrapsus takanoi Asakura & Watanabe 2005. Org Divers Evol.