Ein Darmkeim, der eigentlich Lebensmittelvergiftungen auslöst, könnte zukünftig in der Krebstherapie eingesetzt werden: Das Bakterium Clostridium perfringens sondert einen Giftstoff ab, die Hülle von Tumorzellen durchlöchert und diese so zerstört. Berliner Wissenschaftler untersuchen derzeit die Wirksamkeit des Bakteriengiftes gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Deutsche Krebshilfe fördert das Forschungsprojekt mit 240.000 Euro.
Ob Rind, Fisch oder Geflügel – verdorbene Fleischwaren sind der bevorzugte Aufenthaltsort des Lebensmittelkeims Clostridium perfringens. Gelangt das stäbchenförmige Bakterium durch den Verzehr der schlecht gewordenen Lebensmittel in den Magen und weiter in den Darm, drohen Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen. Ursache für die Symptome ist ein spezieller Giftstoff, den der Keim absondert – das sogenannte Clostridium perfringens Enterotoxin.
Im Darm freigesetzt, erkennt das Enterotoxin zwei Moleküle auf der Oberfläche von Zellen der Darmschleimhaut, die als Claudin-3 und Claudin-4 bezeichnet werden. An diese Moleküle heftet sich der Giftstoff und beginnt damit, die Zellhülle zu durchlöchern. Mit verheerenden Folgen: Die schwer beschädigte Zelle stirbt ab.
Diesen Effekt wollen sich die Wissenschaftler des Experimental and Clinical Research Center der Berliner Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin Berlin-Buch im Kampf gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs zunutze machen. Ebenso wie Darmzellen besitzen auch Tumorzellen der Bauchspeicheldrüse große Mengen von Claudin-3 und Claudin-4 auf ihrer Oberfläche. „Somit sind diese Krebszellen ein perfektes Ziel für das Enterotoxin. Es erkennt die Claudine auf den Tumorzellen und greift an“, erläutert der Studienleiter Professor Dr. Wolfgang Walther. „Genau wie Darmschleimhautzellen bei einer Lebensmittelvergiftung werden die Tumorzellen perforiert und zerstört.“
Per nadelloser Hochdruckinjektion wollen die Forscher eine Art Genfähre direkt in das Tumorgewebe schießen. Diese enthält den genetischen Bauplan für das Enterotoxin und ermöglicht so die Produktion des Giftstoffes. „Das Clostridium perfringens Enterotoxin wird so direkt vor Ort hergestellt“, so Walther weiter. „Für gesunde Zellen der Bauchspeicheldrüse ist das ungefährlich, da diese kein Claudin-3 oder Claudin-4 auf ihrer Oberfläche ausbilden.“
Derzeit überprüfen die Wissenschaftler ihre Theorie im Labor. „Erweist sich unser Therapieansatz als erfolgreich, haben wir eine schlagkräftige Waffe gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs an der Hand“, hofft Walther. Rund 17.400 Menschen erkranken jährlich in Deutschland an Bauchspeicheldrüsenkrebs, einem äußerst aggressiven Tumor. Meistens wird die Erkrankung erst spät bemerkt und nur wenige Patienten überleben die Diagnose länger als ein Jahr. Der Tumor breitet sich schnell aus, verstreut Kolonien in anderen Organen und ist gegenüber gängigen Therapien weitgehend unempfindlich.