Mikrogewebe in hängenden Tropfen imitieren Organsystem

03.07.2014 - Schweiz

Forschende versuchen dem menschlichen Körpers mit seinen verschiedenen Zelltypen mithilfe von Zellkulturen auf den Grund zu gehen. Eine an der ETH Zürich neu entwickelte Technologie erlaubt nun, ein den Körper simulierendes Netzwerk aus kugelförmigen Mikrogeweben in hängenden Tropfen zu erzeugen und damit Wirkstoffe unter realitätsnahen Bedingungen zu testen.

Wissenschaftler verwenden standardmässig Zellkulturen, um Wirksubstanzen oder Gifte zu testen. Bis anhin dominieren zweidimensionale Zellkulturen auf flachen Substraten, was gewichtige Nachteile hat: Zellschichten auf Oberflächen sind sowohl in ihrer Morphologie als auch in ihrem Stoffwechsel anders als Zellen im lebenden Organismus, wo dreidimensionale Strukturen vorherrschen.

Forschende entwickelten deshalb Hanging-Drop-Plattformen: anstatt in flachen Schalen kultivieren sie Zellen in regelmässig angeordneten hängenden Tropfen aus Nährlösung. In diesen formieren sich die Zellen zu kugeligen Mikrogeweben, sogenannten Sphäroiden von rund einem halben Millimeter Durchmesser. Die Oberflächenspannung der Flüssigkeit hält den Tropfen in hängender Position und umschliesst das Sphäroid. Innerhalb des Tropfens stehen die Zellen untereinander in intensivem Kontakt und können miteinander kommunizieren. Morphologie und Verhalten kommen realen Zellformen sehr nahe. Herzzellen beginnen zum Beispiel rhythmisch zu schlagen, nachdem sie sich zu einem Sphäroid zusammengeschlossen haben.

Tropfen verknüpft

Der ETH-Forscher Olivier Frey aus der Gruppe von Andreas Hierlemann, Professor für Biosystems Engineering am Departement Biosysteme (D-BSSE), entwickelte nun aus einer Plattform von isolierten hängenden Tropfen ein Netzwerk von untereinander verknüpften Tropfen. Dabei verband er diese gitterartig mit feinsten Kanälen. Dank dieser Kanäle sind die Sphäroide oder Mikrogewebe in den einzelnen Tropfen über Flüssigkeitsströme miteinander verbunden, sodass die Gewebe wie in einem lebenden Organismus miteinander kommunizieren können.

Die Tropfen werden fortlaufend mit Nährlösung versorgt, die über eine Pumpe in die Kanäle eingespeist wird. Ein Kragen am Kanalrand verhindert, dass Flüssigkeit aus dem Kanal austritt und die Plattform überschwemmt. Die Zufuhr der Nährlösung erfolgt so, dass die Tropfen gleich gross bleiben. Würde zu viel Lösung hineingepumpt, würden sie herunterfallen. Dies hat es Frey erlaubt, das System ohne luftdichten Deckel zu konzipieren, was Fabrikation und Betrieb der neuen Plattform stark vereinfacht. Die Zellkulturen müssen aber wie bisher in einem Brutkasten unter kontrolliert hoher Luftfeuchtigkeit aufbewahrt werden.

Body-on-a-chip-Vision verwirklicht

Über Zuleitungen können die Forscher dem System auch zu testende Wirkstoffe in bestimmten Konzentrationen zuführen. Durch die Anordnung dieser Zuleitungen, der Kanäle und der Tropfen können von Reihe zu Reihe unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen erzeugt werden, so dass, über die gesamte Plattform betrachtet, ein Konzentrationsgradient entsteht.

In diesem System, das eben in Nature Communications vorgestellt wurde, können die D-BSSE-Forschenden in einem Arbeitsgang mehrere Sphäroide verschiedener Zelltypen in Reihenfolgen anordnen, wie sie im Körper vorkommen, und verschiedenen Konzentrationen einer Substanz aussetzen. Dadurch können die Wissenschaftler ein Multiorgansystem auf einer Platte realitätsnah nachstellen. «Damit haben wir ein Body-on-a-chip -System auf relativ einfache Weise verwirklicht», freut sich Frey, der zwei Jahre lang an dieser Testplattform gearbeitet hat.

Leberzellen mit Krebszellen verbunden

Erste Tests an Leberzell- und Krebszellsphäroiden sind vielversprechend verlaufen. Frey und seine Mitarbeiter bestückten in einer Reihe drei Tropfen mit Leberzellen, den nachfolgenden vierten mit Krebszellen. Nachdem sich die Zellen in Sphäroiden organisiert hatten, leitete er ein Zytostatikum, also eine Substanz, die das Zellwachstum hemmt, in jeweils verschiedenen Konzentrationen pro Reihe in die Testanordnung ein.

Der verwendete Wirkstoff tötet Krebszellen nur dann ab, wenn ihn Leberzellen vorher aktivieren. Diesen Effekt konnten die Forscher rekonstruieren. Gleichzeitig beobachteten sie, ab welcher Konzentration das Gift auf die Krebszellen wirkt und ab wann auch die Leberzellen darunter zu leiden beginnen. Fehlten im mikrofluidischen System die Leberzellen, hatte das Medikament in den entsprechenden Konzentrationen wie erwartet keine Wirkung auf die Krebszellen.

System zum Patent angemeldet

Frey und Kollegen haben ihre neue Testplattform zum Patent angemeldet. Diese ist relativ einfach und günstig mit einem Replikationsverfahren herzustellen. Dazu braucht es eine Negativform aus Silizium, die im Reinraum hergestellt wird. Danach können mit einem Polymer billige Abgüsse davon gemacht werden. Für grosse Stückzahlen kann auch ein Spritzgussverfahren verwendet werden, in welchem die Stücke nur wenige Rappen kosten. Die Herstellung der Mikrogewebe für die Plattform entwickelten die Basler Forscher in Zusammenarbeit mit der Firma InSphero, einem Spin-off des D-BSSE.

Interessenten dafür dürften unter anderem Pharmafirmen sein, die neue Wirkstoffe auf Wirksamkeit und unerwünschte Nebenwirkungen überprüfen möchten. Das neue System lässt dies auf schnelle, flexible und unkomplizierte Weise zu. In einem weiteren Schritt möchten die Forscher ihre Plattform mit Sensoren ausstatten, die Stoffwechselprodukte in den Tropfen messen können. Dadurch sollte es möglich sein, laufend Daten auszulesen. Die Sensoren messen beispielsweise Laktat oder Glukose. «Die Chip-Fabrikation dürfte durch die Sensorintegration zwar etwas aufwendiger werden, dafür liefert uns eine solche Plattform deutlich mehr Information», sagt Andreas Hierlemann.

Originalveröffentlichung

Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft

Meistgelesene News

Weitere News von unseren anderen Portalen

Heiß, kalt, heiß, kalt -
das ist PCR!