Adipositas: Die Gene sind schuld

15.04.2014 - Frankreich

Das für die Speichel-Amylase (Enzym) kodierende Gen AMY1 ist beim Menschen mehrfach vorhanden und kann zwischen einer und zwanzig Kopien von Mensch zu Mensch variieren. Je geringer die Zahl von Genen für das Stärke spaltende Speichelenzym Amylase, umso höher ist das Risiko für Fettleibigkeit.

Demnach besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Zahl von Genen eines bestimmten Verdauungsenzyms und dem Risiko, an Fettleibigkeit zu erkranken. Zu diesem Ergebnis, das am 30. März 2014 in der Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlicht wurde, kam ein internationales Forscherteam um Prof. Philippe Froguel vom Labor für Genomik und Stoffwechselerkrankungen (CNRS / Universität Lille 2/Institut Pasteur in Lille).

Etwa 5% der stark übergewichtigen Menschen tragen eine Mutation eines Appetit kontrollierenden Gens in sich, das bei ihnen zu Übergewicht führt. Dank aktueller pangenomischer DNA-Microarray Analysen konnten 70 Gene für Übergewicht identifiziert werden, die jedoch nur geringe Auswirkungen haben und nur einen kleinen Teil des genetischen Risikos erklären (4%).

Die französischen und britischen Forscher gingen noch einen Schritt weiter und untersuchten das Erbgut von schwedischen Familien mit unterschiedlichen Veranlagungen für Fettleibigkeit. Sie analysierten das Genom und die Gene im Fettgewebe, die bei übergewichtigen und normalgewichtigen Menschen unterschiedlich exprimiert werden. Sie untersuchten eine Region auf dem Chromosom 1, die in ihrer Art einzigartig ist, da sie ein Gen (AMY1) enthält, das das Speichelenzym Amylase kodiert und nur beim Menschen in dieser einzigartigen Form vorkommt. Jeder Mensch hat in der Regel zwei Kopien dieses Gens (eine vom Vater und eine von der Mutter). Die Kopienanzahl des AMY1-Gen variiert jedoch zwischen eins bis zwanzig. Mit der Entwicklung der Landwirtschaft vor 10.000 Jahren stieg auch die Anzahl der Kopien des AMY1-Gens, als Ausdruck der natürlichen Selektion und der menschlichen Evolution: Amylasen (Enzyme) spalten Stärke in Zucker auf, wodurch Individuen mit verstärkter Amylase-Produktion einen selektiven ernährungsbedingten Vorteil haben. Die Forscher fanden heraus, dass Menschen mit nur wenigen Kopien (und somit wenigen Amylasen) bis zu 10 Mal häufiger unter Übergewicht leiden. Jede fehlende AMY1-Kopie steigert das Risiko für Fettleibigkeit um 20%. Allein über diese Region des Genoms lassen sich fast 10% des genetischen Risikos erklären.

Es gibt zwei Arten von Amylasen: die eine wird von der Bauchspeicheldrüse produziert, die andere von den Speicheldrüsen. Allein letztere scheint bei einem Mangel mit Adipositas in Verbindung gebracht werden zu können. Die Ursache dafür ist jedoch noch unbekannt. Es gibt zwei Hypothesen: Einerseits könnte durch das Kauen und der damit bereits im Mund beginnenden Verdauung der Nahrung eine hormonelle Wirkung den Sättigungseffekt bewirken, der bei einem AMY1-Mangel reduziert wäre. Andererseits könnte eine schlechte Verdauung von Stärke die Darmflora verändern und somit indirekt zur Fettleibigkeit bzw. Diabetes beitragen, wie bereits frühere Untersuchungen des Stoffwechsels bei Menschen mit hoher bzw. niedriger Speichel-Amylasen-Produktion nahelegen. Menschen mit geringer Speichel-Amylase haben einen ungewöhnlich hohen Blutzuckerspiegel, wenn sie Stärke essen.

Diese Ergebnisse eröffnen eine völlig neue Sicht auf die genetische Veranlagung für Übergewicht aufgrund der Verdauung von komplexen Kohlenhydraten und ihrer Wirkung auf die Darmflora. Sie bieten neue Möglichkeiten der wirksameren Prävention und Behandlung von Fettleibigkeit unter Berücksichtigung der Verdauung und der Darmflora.

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