Vor Schreck gelähmt: Bisher unbekannte Muskelerkrankung entschlüsselt
Die Neurophysiologin PD Dr. Karin Jurkat-Rott forscht zu seltenen Muskelerkrankungen, die viele Hausärzte nicht kennen – so genannten Hypokaliämischen Periodischen Paralysen (HypoPP). Nach dem Genuss bestimmter Speisen oder nach anderen Auslösern können Betroffene ein Glied oder auch den gesamten Körper nicht mehr bewegen. Schuld an diesem vorübergehenden Zustand sind Mutationen in Ionenkanälen, die den Kaliumhaushalt beeinflussen.
Für ihre Grundlagenforschung zur quergestreiften Muskulatur hat Jurkat-Rott, die auch Patienten im Ulmer Zentrum für seltene Erkrankungen betreut, vor einigen Wochen den Gaetano Conte-Preis erhalten. Bei der Preisverleihung im Zuge des Kongresses der „Mediterranean Society of Myology“ überraschte sie mit der Entschlüsselung der molekularen Grundlagen des „Erblichen transienten Kompartment-Syndroms“. Dabei handelt es sich um eine bisher unbekannte Krankheit.
Eine betroffene Familie hatte die Forscherin, die auch medizinische Beraterin der amerikanischen „Periodic Paralysis Association“ (PPA) ist, im ZSE kennengelernt. Die Geschwister aus den USA reagieren mit lang anhaltenden, sehr schmerzhaften Krämpfen, wenn sie sich erschrecken: „Dabei laufen Salz und Wasser in den Muskel, der daraufhin anschwillt. Weil der Muskel von Faszien umhüllt ist, kann sich das entstehende Ödem nicht ausbreiten. Nerven sowie Gefäße werden zusammengedrückt, was zu wochenlanger ,Fußheberschwäche‘ führt“, erklärt Jurkat-Rott. Das „klassische“ Kompartment-Syndrom kommt üblicherweise nach Knochenbrüchen oder Überlastungsschäden bei Extremsportlern vor. Die erbliche Form ist nun in Ulm entdeckt worden.
Wären die US-Patienten rechtzeitig diagnostiziert worden, könnten sie dank Wassertabletten, die Einlagerungen aus den Muskeln schwemmen, ein weitgehend normales Leben führen. Leider ist die Erkrankung bei den Geschwistern im Rentenalter schon so weit fortgeschritten, dass sich etliche Muskeln in Fett umgewandelt haben.
Mit dem Gaetano Conte-Preis ist Jurkat-Rott für ihre erfolgreichen Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Physiologie und Pathophysiologie der Muskelerregbarkeit sowie zur elektromechanischen Kopplung ausgezeichnet worden. Besonders beeindruckend ist natürlich auch ihre Forschung zu HypoPP: „Sie identifizierte mehrere Krankheitsgene und klärte die Krankheitsentstehung mit elektrophysiologischen Methoden wie der patch-clamp Technik an Zellen auf, die mutierte Krankheitsgene heterolog exprimieren“, fasst der Leiter der Ulmer Division of Neurophysiology und Hertie-Seniorforschungsprofessor, Frank Lehmann-Horn, zusammen.
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