Ich fühle was, was du nicht fühlst
Der rechte Gyrus supramarginalis spielt eine wichtige Rolle bei der Empathie
© MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/Silani et al., The Journal of Neuroscience 2013
© MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/Silani et al., The Journal of Neuroscience 2013
Wir Menschen benutzen uns selbst als Referenz, wenn wir die Welt um uns herum und unsere Mitmenschen einschätzen. Dabei neigen wir dazu, unseren eigenen Gemütszustand auf andere zu projizieren. Während sich die Kognitionsforschung schon ausführlich damit beschäftigt hat, ist auf emotionaler Ebene nichts darüber bekannt. Man nahm zwar an, dass unser eigener emotionaler Zustand das Verständnis der Emotionen anderer verzerren kann, vor allem wenn diese völlig anders sind als die des anderen. Gemessen wurde diese emotionale Egozentrizität bisher aber noch nie.
Genau das ist den Forschern in einem aufwändigen Experimente-Marathon jetzt gelungen. Auch das dafür verantwortliche Gehirnareal, mit dessen Hilfe wir unseren eigenen Gefühlszustand von dem anderer Menschen trennen können, haben sie entdeckt: den Gyrus supramarginalis, eine Windung der Großhirnrinde, die sich ungefähr dort befindet, wo Scheitel-, Schläfen und Frontallappen zusammentreffen. „Das war unerwartet, denn wir hatten eigentlich das temporo-parietale Kreuzungsareal im Visier, das ein paar Zentimeter weiter vorn im Gehirn liegt“, erklärt Claus Lamm, einer der Autoren der Publikation.
In einem Wahrnehmungsexperiment wiesen die Forscher zunächst nach, dass unsere Gefühle tatsächlich die Empathiefähigkeit beeinflussen und sich dieser Egozentrismus auch messen lässt. In Zweier-Teams wurden die Teilnehmerinnen gleichzeitig Seh- und Berührungsreizen ausgesetzt, die entweder angenehm oder unangenehm waren.
Während Teilnehmerin 1 zum Beispiel ein Bild von Maden sah und ihre Hand dabei mit Spielzeugschleim berührt wurde, sah Teilnehmerin 2 ein Bild von einem Hundebaby und fühlte flauschiges Fell auf ihrer Haut. „Es war wichtig, diese beiden Reize zu kombinieren. Ohne den Berührungsreiz hätten die Teilnehmer nur mit dem Kopf bewertet, die Gefühle wären außen vor geblieben“, erklärt Claus Lamm die Herangehensweise. Die Probandinnen sahen außerdem, welchem Reiz ihr Teampartner gerade ausgesetzt war.
Anschließend wurden beide Teilnehmerinnen gebeten, entweder ihre eigenen Emotionen oder die des Partners zu bewerten. Den anderen zu bewerten, war einfach, solange beide Probanden positiven oder negativen Reizen ausgesetzt waren. Wer gerade mit Stinkwanzen konfrontiert war, der konnte sich gut vorstellen, wie unangenehm der Anblick und das Gefühl einer Spinne sein musste.
Differenzen traten erst bei den Versuchsdurchläufen auf, bei denen ein Partner mit angenehmen und der andere mit unangenehmen Reizen konfrontiert wurde. Plötzlich sank die Empathiefähigkeit. Die eigenen Emotionen verzerrten die Einschätzung der Gefühle anderer. Wem es selber gut ging, der bewertete negative Erfahrungen des Partners als weniger schlimm. Wer hingegen gerade eine unangenehme Erfahrung machte, vergab für positive Erlebnisse des Partners weniger gute Bewertungen.
Mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie, allgemein als Hirnscanner bekannt, fanden die Forscher das dafür verantwortliche Gehirnareal. Der rechte Gyrus supramarginalis sorgt dafür, dass wir unsere Selbstwahrnehmung von der Wahrnehmung anderer entkoppeln können. Wurden die Nervenzellen in diesem Hirnareal bei der Arbeit gestört, fiel es den Probanden schwerer, ihre eigenen Gefühle nicht auf andere zu projizieren. Auch wenn die Probanden zu besonders schnellen Entscheidungen gedrängt wurden, waren ihre Einschätzungen ungenauer.
Bisher gingen die Modelle der sozialen Neurowissenschaften davon aus, dass wir zur Empathie vor allem unsere eigenen Emotionen als Referenz heranziehen. Das geht aber nur solange gut, wie wir uns entweder in einem neutralen oder aber im gleichen Zustand befinden wie unser Gegenüber – sonst muss das Gehirn gegensteuern und korrigieren.