Bakterien arbeiten nicht immer „just in time“
Forscher der Universität Jena und der TU Ilmenau berechnen optimale Stoffwechselwege in Bakterien
„Just in time“ – nach dieser Devise werden heute längst nicht mehr nur Autos gebaut. Auch Flugzeuge, Handys oder Computer laufen nach dem Verfahren vom Band, bei dem alle benötigten Bauteile genau zu dem Zeitpunkt bereitgestellt werden, zu dem sie gebraucht werden. Das spart Lagerkapazitäten und so bares Geld und gilt deshalb als besonders effizient.
Auch in der Natur – dem Inbegriff von Effizienz – laufen Produktionsprozesse nach dem Just-in-time-Prinzip. Zumindest war das die bisher geltende Lehrmeinung. „Lebewesen können es sich einfach nicht erlauben, am Bedarf vorbei Stoffe zu produzieren. Nur was tatsächlich benötigt wird, wird auch bereitgestellt“, sagt Prof. Dr. Christoph Kaleta von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Bioinformatiker und sein Team wollten daher in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt die Frage klären, wie es Organismen gelingt, genau die Eiweiße in der Menge zu produzieren, die sie gerade brauchen, um an die jeweils herrschenden Umweltbedingungen optimal angepasst zu sein.
Dabei haben Kaleta und seine Kollegen jedoch eine Überraschung erlebt: Wie die Jenaer Forscher mit Kollegen der Technischen Universität Ilmenau berichten, arbeiten Bakterien wie beispielsweise Escherichia coli keineswegs immer „just in time“. Diese Produktionsweise sei zwar – wie in industriellen Prozessen auch – sehr effizient, berge aber auch Risiken: Denn bleibt die Zulieferung auch nur eines Bauteils aus, kann die ganze Kette ins Stocken geraten.
„Wenn die Bakterienzelle es sich leisten kann, dann weicht sie von der sukzessiven Aktivierung der zur Produktion von Eiweißen benötigten Enzyme ab“, erläutert Kaleta das Ergebnis seiner Studie. Je nachdem wie hoch der Bedarf an einem bestimmten Eiweiß gerade sei, werde seine Produktion dynamisch angepasst. „Ist der Bedarf eher niedrig und gibt es die Produktionskapazität der Zelle her, dann werden sämtliche Enzyme gleichzeitig hochgefahren“, sagt der Juniorprofessor für Theoretische Systembiologie. Oder, um im Bild der industriellen Güterproduktion zu bleiben: sämtliche Bauteile werden zum gleichen Zeitpunkt auf einmal zur Verfügung gestellt. Erst wenn der Eiweiß-Bedarf so hoch ist, dass die simultane Produktion sämtlicher „Bauteile“ die Zelle überfordern würde, werden sie „just in time“ angeliefert.
Für ihre Studie haben die Forscher Methoden eingesetzt, die sonst für die Optimierung von industriellen Prozessen verwendet werden. „Damit konnten wir nachweisen, dass viele Bakterien die von uns postulierten Strategien zur optimalen Produktion von Proteinen tatsächlich anwenden“, so Kaleta. Auf diese Weise, betont der 30-jährige Nachwuchsforscher schmunzelnd, könne einmal die Technik das Handwerkszeug liefern, um die Natur besser zu verstehen. „Sonst gibt es ja häufiger den umgekehrten Fall, dass wir Technik nach dem Vorbild der Natur entwickeln.“
Ihre Arbeit, so sind die Jenaer Bioinformatiker überzeugt, sei nicht nur interessante Grundlagenforschung. Vielmehr lassen sich diese Erkenntnisse eines Tages auch ganz praktisch nutzen: „Denkbar ist beispielsweise eine Anwendung in der Bekämpfung von Krankheitserregern“, sagt Kaleta. Denn auch während eines Infektionsprozesses passen sich die Erreger sehr schnell an die Situation im Wirtsorganismus an. „Wenn klar ist, nach welchem Programm der Stoffwechsel des Keims aktiviert wird, lassen sich auch gezielt Angriffspunkte für neue Wirkstoffe finden, die das Wachstum und die Vermehrung des Erregers hemmen.“
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