RNA gegen giftige Zucker
Manja Herrmann
Zucker ist für alle Organismen lebenswichtig. Bakterien, Pflanzen, Tiere und der Mensch nutzen Glukose & Co. als Energielieferanten und Baustoffe. Die Einstellung der richtigen Zuckerkonzentration in der Zelle ist darum ein wichtiger Vorgang.
Wenn Bakterien den Zucker Glukose in ihre Zellen aufgenommen haben, versehen sie ihn zuerst mit einer Phosphatgruppe. Das verhindert, dass die Glukose einfach wieder aus der Zelle entweicht. Gleichzeitig wird sie dadurch als Energiequelle zugänglich gemacht.
Stress-Antwort auf zu viel Zucker
So dringend Bakterien die Glukose brauchen: Sie kann ihnen auch gefährlich werden. Denn ein Übermaß an Zucker in der Zelle behindert das Wachstum der Bakterien und kann sogar ihr Erbgut schädigen.
„Auf zu viel Zucker reagieren Bakterien darum mit einer Stress-Antwort“, sagt Professor Jörg Vogel vom Institut für Molekulare Infektionsbiologie der Universität Würzburg: Dabei sorgt ein kleines RNA-Molekül dafür, dass die Menge der Transporter verringert wird, die den Zucker in die Zelle importieren.
Lange gesuchtes System gefunden
Diese Stress-Antwort verläuft allerdings relativ langsam. „Es muss darum zusätzlich eine andere Möglichkeit zum Stress-Abbau geben, mit der Bakterien die problematischen Zucker schneller loswerden können“, so Vogel. Dieses System werde seit rund 40 Jahren gesucht.
Vogels Team hat das System nun gemeinsam mit Carin Vanderpool aus Illinois (USA) bei Salmonellen nachgewiesen. Dabei stießen die Forscher auf einen bislang unbekannten Mechanismus der Genaktivierung.
Kleine RNA löst schnelle Antwort aus
Dreh- und Angelpunkt bei der schnellen Entzuckerung der Salmonellen ist ein kleines RNA-Molekül, das auch die langsame Stress-Antwort auf Zucker auslöst: Es aktiviert ein Enzym, das die Phosphatgruppe von der Glukose und anderen Zuckern wieder entfernt, so dass diese quasi von alleine aus der Zelle fließen können.
„Die kleine RNA löst die schnelle Stress-Antwort über einen völlig neuartigen Mechanismus der Genregulation aus“, erklärt der Würzburger Professor. „Sie stabilisiert aktiv die Boten-RNA für das Phosphatase-Enzym und treibt so dessen Menge in der Zelle schnell in die Höhe.“
Das zeige erneut, dass RNA-Moleküle sich gegenseitig regulieren können, ganz ohne Proteine. Faszinierend daran sei auch, dass dieselbe regulatorische RNA Gene mit ähnlicher Funktion sowohl aktivieren als auch unterdrücken und dadurch sehr präzise dem Stress begegnen kann.
Interessant für Biotechnologie und Antibiotika-Forschung
Die neuen Erkenntnisse können laut Vogel für die Industrie interessant sein, genauer: für die biotechnologische Produktion von Zuckern mit Bakterienkulturen. So könnten zum Beispiel Bakterien über die wichtige kleine RNA so verändert werden, dass sie möglichst viel Zucker in der Zelle behalten – auch wenn das ihren Tod bedeutet. Auf diese Weise ließe sich die Zucker-Ernte in Bioreaktoren erhöhen.
Außerdem nehmen Bakterien – auch Krankheitserreger wie Salmonellen – viele Zucker auf, die sie gar nicht verarbeiten können. „Hemmt man gezielt die Aktivierung der Stress-Antwort, sollte das die Wirksamkeit von Antibiotika erhöhen“, erklärt Vogel.