Die evolutionären Folgen von Fremdgehen

Können Geschlechtsunterschiede durch außerpaarliche Verbindungen erklärt werden?

04.04.2013 - Deutschland

Männchen und Weibchen von Blaumeisen sind für das menschliche Auge kaum zu unterscheiden. Im für Vögel sichtbaren UV-Bereich sind die Männchen jedoch viel bunter. Auch das monogame Paarungssystem dieser Vögel ist bei genauerem Hinschauen nicht das, was es verspricht: In jedem zweiten Nest finden sich Küken, die nicht mit dem fürsorgenden Vater verwandt sind. Ein Männchen in fester Paarbeziehung kann durch Fremdgehen die Anzahl seiner Nachkommen und damit seine biologische Fitness erhöhen. Emmi Schlicht und Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen untersuchten, ob solche außerehelichen Paarungen treibende Kraft für die Evolution von Geschlechtsunterschieden sein können. Die Folgen sind jedoch gering, Fremdgehen kann die sexuelle Selektion von Geschlechtsunterschieden sogar verringern.

© MPI für Ornithologie

Auch wenn Blaumeisen ihren Nachwuchs in sozial monogamen Beziehungen großziehen, sind sowohl die Weibchen als auch die Männchen gelegentlichen amourösen Eskapaden mit anderen gefiederten Partnern nicht abgeneigt.

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Trautes Heim, Glück allein? Der Schein trügt: in vielen Blaumeisennestern finden sich Küken, die nicht mit dem fürsorgenden Vater verwandt sind.

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Bei vielen Tierarten sehen Männchen und Weibchen sehr unterschiedlich aus. Männliche Hirsche zum Beispiel haben ein imposantes Geweih, und das Prachtgefieder des Pfauhahnes beeindruckt nicht nur Pfauenhennen. Im Garten können wir bei Buchfink oder Hausspatz „ihn” an der Färbung von Brust und Kopf erkennen. Wieso gibt es diese Geschlechtsunterschiede? Beim Hirsch ist das prinzipiell einfach: Ein Männchen verteidigt Weibchen und Revier gegen Rivalen und muss im Ernstfall sein Geweih einsetzen, wenn es zu Streitigkeiten kommt. Auch der Pfau versucht mit seinem Gefieder Rivalen auszustechen und Weibchen anzulocken. Die Geschlechtsmerkmale lohnen sich für die Männchen, weil sie ihnen helfen, sich zusätzliche Nachkommen zu sichern. Für Weibchen ist solche sexuelle Selektion schwächer, denn sie bekommen keine zusätzlichen Nachkommen, wenn sie sich gegenüber Rivalinnen durchsetzen.

Viele Vogelarten aber stellen Evolutionsbiologen vor ein Problem: Sie sind in der Regel mit einem Partner des anderen Geschlechts fest verbandelt, leben also monogam. Die Nachkommen werden von den Eltern gemeinsam aufgezogen. Warum also das bunte Gefieder nur bei Männchen, wenn die Anzahl der Nachkommen für beide Eltern gleichermaßen durch das Gelege des Weibchens festgelegt ist? Führt man Vaterschaftsanalysen bei den Vögeln durch, stellt man fest, dass die Nachkommen nicht alle von dem Männchen stammen, das sie füttert. Ein monogames Männchen kann also durchaus zusätzliche Nachkommen haben, wenn es ihm gelingt, ein paar Eier bei anderen Weibchen zu ergattern. Ist das der Schlüssel zu den Geschlechtsunterschieden im Aussehen?

Eine Studie an Blaumeisen hat sich mit den Grundlagen dieser Frage beschäftigt. Emmi Schlicht und Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen haben Daten aus sechs Jahren Forschungsarbeit herangezogen, um verschiedene Aspekte des Paarungssystems der Blaumeisen unter die Lupe zu nehmen. Es zeigte sich: Die sozialen Bindungen scheinen ausschlaggebend zu sein, während die außerpaarlichen Verbindungen zwar von Vorteil sind, keinesfalls aber der sexuellen Selektion zu großen Sprüngen verhelfen. „Blaumeisenmännchen bekommen die meisten Nachkommen zusammen mit dem Brutpartner; ein Gelege umfasst im Durchschnitt neun Eier. Manche Männchen können sich sogar zwei Weibchen als soziale Partner sichern“, sagt Bart Kempenaers, Leiter der Studie. „Da können ein, zwei Nachkommen mit anderen, fremd verpaarten Weibchen nicht mithalten“. Die Merkmale der untersuchten Männchen sind vermutlich also darauf optimiert, im sozialen Bereich den Erfolg zu sichern und erst danach noch zusätzliche Nachkommen außerhalb der Paarbeziehung zu erobern.

Interessanterweise fanden die Wissenschaftler noch einen unerwarteten Effekt der außerpaarlichen Aktivitäten: Bei einer Geschwisteranalyse stellte sich heraus, dass es bis zu 24 Väter pro Jahr in der untersuchten Population gibt, die zu keiner der von den Forschern beobachteten Bruten in Nistkästen gehörten. Wenn diese unbekannten Männchen tatsächlich keine eigene Brut hatten, sind die Küken in fremden Nestern ihre einzigen Nachkommen. Für die unverpaarten Männchen sind also die Nachkommen, die durch Fremdgehen entstehen durchaus entscheidend. „In diesem Fall trägt das außerpaarliche Paarungsverhalten dazu bei, die Unterschiede zwischen Männchen in ihrem Fortpflanzungserfolg zu verringern“, erläutert Emmi Schlicht, Erstautorin der Studie. “Das macht eine Auswahl der „Besten“ weniger effektiv und erschwert es der Evolution, besondere Merkmale bei Männchen zu selektieren, die ihren Paarungserfolg erhöhen“. Fremdgehen kann die sexuelle Selektion von Geschlechtsunterschieden also sogar verlangsamen.

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