Früherer Einsatz der Tiefen Hirnstimulation bei Parkinson kann Lebensqualität verbessern

14.02.2013 - Deutschland

Die Tiefe Hirnstimulation kann bei der Behandlung der Parkinson-Krankheit offenbar schon deutlich früher zum Nutzen der Patienten eingesetzt werden, als dies bislang der Fall ist. Dies zeigt eine neue große deutsch-französische Studie, die  im New England Journal of Medicine publiziert wurde. Initiator und deutscher Studienleiter ist Prof. Dr. Günther Deuschl, Direktor der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und Professor an der Medizinschen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Die Forschergruppe um den Kieler Professor konnte zusammen mit dem französischen Team nachweisen, dass vor allem die Lebensqualität und motorische Funktionen signifikant gebessert werden.

Die Parkinson-Krankheit kann mit der Tiefen Hirnstimulation (THS) behandelt werden. Grundlage dieses Behandlungsverfahrens ist die Erkenntnis, dass Symptome wie das Zittern, die Bewegungsverlangsamung oder Muskelsteifigkeit bei der Parkinson-Krankheit durch eine krankhafte Veränderung der Nervenzellaktivität in bestimmten tiefliegenden Regionen des Gehirns, den so genannten tiefen Hirnkernen, verursacht werden. Bei der THS werden in diesen genau definierten Regionen des Gehirns Elektroden implantiert und über einen in der Schlüsselbeingrube unter die Haut operierten Schrittmacher stimuliert. Damit können Patienten, die durch die Krankheit immobil sind oder die schwerstes Zittern oder Überbewegungen haben, nachhaltig therapiert werden. Die Wirkung des Schrittmachers kann durch Veränderung der Stimulationsparameter mithilfe eines separaten Steuergerätes von außen durch die Haut angepasst werden

Bislang galt das Verfahren nur für Patienten als geeignet, die schwerste Symptome haben und die schon mehr als ein Jahrzehnt unter der Erkrankung leiden. Eine kontrollierte deutsche Studie aus dem Jahre 2006 hatte darüber hinaus gezeigt, dass durch die THS auch die Lebensqualität der operierten Patienten gebessert werden kann, was durch vier weitere Studien mittlerweile bestätigt wurde. Man war bislang davon ausgegangen, dass Patienten zu einem früheren Zeitpunkt nur wenig von der Stimulation profitieren, da ihr motorischer Zustand auch durch Medikamente noch gebessert werden kann. Ziel der deutsch-französischen Multicenter-Studie unter der Leitung von Prof. Deuschl war es nun, zu prüfen, ob und inwieweit eine THS in einem wesentlich früheren Krankheitsstadium gegenüber der medikamentösen Behandlung Vorteile in Hinblick auf die Lebensqualität von Parkinsonpatienten bietet.

Die Studie hat dazu 251 Patienten mit ca. siebenjähriger Krankheitsdauer randomisiert, von denen die eine Hälfte mit der Tiefen Hirnstimulation und die andere mit Medikamenten behandelt wurde. Dabei zeigte sich, dass die operierten Patienten nach zwei Jahren eine um 26 Prozent verbesserte Lebensqualität im Vergleich zu medikamentös behandelten Patienten haben. Die Mobilität im schlechtesten Zustand (UPDRS III, ohne Medikamente mit Stimulation) wurde um 53 Prozent gesteigert, die Aktivitäten des täglichen Lebens (UPDRS II) um 30 Prozent. Die Nebenwirkungen aufgrund einer L-Dopa-Gabe (L-DOPA-induzierte Komplikationen, UPDRS IV) wurden um 61 Prozent reduziert. Alle Werte waren damit hochsignifikant besser als die der medikamentösen Kontrollgruppe. Sicherheitsparameter wie die psychische Befindlichkeit und Depression waren ebenfalls signifikant gebessert, Gedächtnis und Apathie zeigten keine Unterschiede zwischen den beiden Therapiearmen. Die operierten Patienten hatten mehr milde Nebenwirkungen als die medikamentös behandelten Patienten. Suizide traten bei zwei Patienten der Neurostimulationsgruppe und bei einem Patienten in der Medikamentengruppe auf. Unter den 27 schweren operativen Nebenwirkungen wurden keine bleibenden Schäden beobachtet außer einer Narbe bei einem Patienten.

Prof. Dr. Günther Deuschl sagt über die Arbeit: „Die Studie hat ein überraschend homogenes Bild zugunsten der tiefen Hirnstimulation erbracht. Fast ausnahmslos haben sich alle Parameter der Beweglichkeit verbessert. Besonders wichtig ist aber, dass die Lebensqualität und die psychosoziale Anpassung schon in diesem frühen Krankheitsstadium so deutlich gebessert wurden. Es ist auch bemerkenswert, dass die jüngeren Patienten die Operation offenbar besser vertragen als dies bei früheren Studien bei älteren Patienten berichtet wurde.“ Die besonders gute Wirkung auf die Lebensqualität führt Prof. Deuschl darauf zurück, dass die Patienten ihren Tagesablauf nach der Operation wieder zuverlässig planen können, während zuvor die schlechten Phasen dies verhindert haben. Diese Studie gehört zu den wenigen Parkinson-Studien, die die Lebensqualität als Hauptparameter für die Beurteilung der Therapie benutzt hat.

„Dies ist eine der am konsequentesten durchgeführte Studie zur Neurostimulation“, kommentiert Dr. Caroline M. Tanner vom Parkinson’s Institute Sunnyvale in Kalifornien im Editorial des Fachmagazins. Dies werde zukünftig ein Maßstab für Neurostimulationsstudien sein.

Prof. Yves Agid, Paris, französischer Senior-Autor der Studie, sagt: „Die Studie hat den Beweis für die Überlegenheit der Neurostimulation zu einem früheren Zeitpunkt erbracht. Es ist aber wichtig, dass der Therapieerfolg davon abhängt, dass klare Indikationskriterien und die Versorgung der Patienten durch ein multidisziplinäres Team gegeben ist.“ Zugleich freut sich der Professor über die gelungene binationale Zusammenarbeit und weist auf die gute Zusammenarbeit der Forschungsförderer, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des französischen „Programme hospitalier de recherche clinique national“ (PHRCN) bei dieser bahnbrechenden Studie hin.

Dr. Carmen Schade-Brittinger, Leiterin des Koordinierungszentrums für Klinische Studien Marburg, weist auf die hohe Qualität der Studie hin. Die Studie wurde ausschließlich an erfahrenen Zentren durchgeführt und bei Patienten, die gut auf das Medikament L-DOPA ansprachen. Beide klinischen Seniorautoren betonen, dass diese Studie wahrscheinlich die Leitlinien der Parkinson-Therapie verändern und der Tiefen Hirnstimulation schon viel früher einen Platz in der Parkinson-Behandlung einräumen wird.

Die Therapiemethode der Tiefen Hirnstimulation wird in Deutschland an vielen, vorwiegend universitären Kliniken angeboten. Sie erfordert einen neurochirurgischen Eingriff bei dem die Elektroden implantiert werden. Im Neurozentrum des UKSH, Campus Kiel, wird die Behandlung seit 1999 in Zusammenarbeit der Kliniken für Neurologie und der Klinik für Neurochirurgie durchgeführt. Mittlerweile wurden dort mehr als 650 Patienten mit dem innovativen Verfahren behandelt.

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