Gelgerüst des Lungenschleims hindert Nanopartikel am Durchkommen
„Der Mucus der Lunge ist ein besonderes Gel. Er ist völlig anders gebaut als andere Gele“, erläutert Claus-Michael Lehr, Professor für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie der Saar-Uni und Leiter der Abteilung „Wirkstoff-Transport“ am HIPS. „Normale“ Gele besitzen eine Mikrostruktur, die einem filigranen Spinnennetz aus dünnen, feinsten Fäden gleicht, die kleine Poren umschließen. Beim Blick durchs Mikroskop wirkt der Lungenschleim dagegen wie ein Schwamm: Steife, dicke Gelstäbe trennen große, mit Flüssigkeit gefüllte Poren. „Diese Gerüstproteine werden Mucine genannt“, erklärt Professor Lehr. Die Forscher haben jetzt bewiesen, dass Nanopartikel an diesen Strukturen wie an den Gitterstäben eines Käfigs hängen bleiben. Dass in vielen Untersuchungen die Nanopartikel im Schleim als sehr beweglich erschienen, erklärt sich daraus, dass bei diesen Forschungen im Nanometerbereich gearbeitet wurde: Die Partikel bewegen sich innerhalb einer Pore völlig ungehindert; erst wenn sie die einzelnen Poren zu überwinden versuchen, werden sie an den „Stäben“ ausgebremst.
„Unsere Ergebnisse helfen uns zu verstehen, wie Infektionskrankheiten der Atemwege entstehen und wie diese besser bekämpft werden können. Sie sind insbesondere eine wichtige Grundlage für die Entwicklung inhalativer Medikamente“, erklärt Professor Lehr. Hierbei muss nach den neuen Erkenntnissen berücksichtigt werden, wie die Wirkstoffe das Gelgerüst des Schleims überwinden können. Dafür kommen so genannte mucolytische Verfahren in Betracht, bei denen die Stäbe quasi durchschmolzen werden: Diese lösen sich vor dem Nanopartikel auf, lassen ihn passieren, und schmelzen hinter ihm wieder zusammen.
Die Experimentalphysiker der Saar-Uni um Professor Christian Wagner untermauerten die Annahme unter anderem mit der Optischen Pinzette. Sie erlaubt es, kleinste Teilchen mit gebündelten Laserstrahlen wie mit einer Pinzette anzufassen und zu bewegen. „Über die Laserstrahlen der Optischen Pinzette können wir die Kraft messen, die erforderlich ist, um das Teilchen im Gel zu bewegen. Das ermöglicht uns, Rückschlüsse über das Medium zu ziehen, durch das die Kugel bewegt wird“, erklärt Professor Wagner. „Wir konnten die Kugel mit gleichbleibender Kraft durch die flüssige Phase im Inneren der Pore ziehen – genauso wie in einem normalen Gel. Wenn aber die Kugel gegen die Porenwand, also auf die Gelstäbe des Schleims stieß, konnte der Laserstrahl sie nicht weiter bewegen“, erläutert Wagner.
Auch Versuche mit dem Rasterkraftmikroskop und weitere Experimente untermauern die These: So durchdrangen Eisen-Nanopartikel unter dem Einfluss eines magnetischen Kraftfeldes das „normale“ Vergleichsgel ohne Schwierigkeiten, den Lungenschleim aber nicht. Strukturanalysen des Schleims wurden mit Hilfe der so genannten Kryo-Elektronenmikroskopie von Wissenschaftlern der Fresenius Medical Care Deutschland durchgeführt.
Die Erkenntnisse über die spezielle Struktur des Lungenschleims werden – so erwarten die Forscher – die Entwicklung der nächsten Generation von Medikamenten gegen Erkrankungen der Atemwege beeinflussen.
Originalveröffentlichung
Julian Kirch, Andreas Schneider, Berengere Abou, Alexander Hopf, Ulrich F. Schäfer, Marc Schneider, Christian Schall, Christian Wagner und Claus-Michael Lehr; "Optical tweezers reveal relationship between microstructure and nanoparticle penetration of pulmonary mucus"; PNAS 2012