Pflanzen passen ihre Abwehr den Schädlingen an
Pflanzenfressende Insekten wie Blattläuse beeinträchtigen die einzelne Pflanze in ihrer Entwicklung. Sie sind jedoch wesentlich für die genetische Vielfalt innerhalb der Pflanzenart verantwortlich. Dies konnten die Ökologen Tobias Züst und Lindsay Turnbull von der Universität Zürich zusammen mit Kollegen aus Kalifornien und Grossbritannien anhand der Pflanze Ackerschmalwand nachweisen.
Gemäss Züst wird damit die seit vierzig Jahren gehegte Vermutung, dass Schädlinge die Selektion der von ihnen befallenen Pflanzenarten stark beeinflussen, erstmals experimentell bestätigt. Zudem geben Pflanzen die für sie kostspieligen Abwehrmechanismen innerhalb weniger Generationen auf, falls der Befall durch Schädlinge ausbleibt.
Die Ackerschmalwand – Arabidopsis thaliana – wehrt sich, wie viele andere Pflanzen auch, mit chemischen Abwehrstoffen gegen Schädlinge. Diese entwickelten im Lauf der Evolution allerdings Toleranzen gegenüber gewissen chemischen Komponenten dieser Stoffe. Je nach Häufigkeit einzelner Schädlingsarten bieten demnach unterschiedliche Abwehrstoffe den optimalen Schutz für die Pflanze.
Die Forscher untersuchten in einem ersten Schritt die Verbreitung unterschiedlicher chemischer Abwehrstoffe in natürlichen Populationen von Arabidopsis thaliana innerhalb Europas und verglichen diese mit der räumlichen Verbreitung zweier wichtiger Schädlinge, der Kohl- und der Senfblattlaus.
Gebietsspezifische Schädlingspopulationen als evolutionäre Kraft
Die Wissenschaftler weisen nach, dass sich die Abwehrstoffe von Arabidopsis thaliana in Südwesteuropa chemisch von jenen in Nordosteuropa unterscheiden. Dieses Muster korreliert direkt mit der unterschiedlichen Zusammensetzung der Blattlauspopulationen in den beiden geografischen Räumen.
In einem zweiten Schritt untersuchten die Forscher experimentell, ob die Schädlinge tatsächlich die Selektion für die unterschiedliche chemotypische Ausprägung der Abwehrstoffe vorantreiben. Zu diesem Zweck setzten sie Arabidopsis thaliana unter streng kontrollierten Bedingungen jeweils den für Nordost- bzw. Südwesteuropa typischen Populationen von Kohl- bzw. Senfblattläusen aus. Bereits nach fünf Pflanzengenerationen stellte sich die in der Natur beobachtete geographische Prädominanz derselben spezifischen Abwehrstoffe gegen die vorherrschende Blattlausart ein.
«Pflanzen der gleichen Art können spezifische Abwehrstoffe gegen die lokal dominanten Schädlinge bilden. Wobei der Bildung dieser Stoffe unterschiedliche Gene zugrunde liegen», fasst Züst zusammen. Schädlingspopulationen sind natürlichen Schwankungen unterworfen. «Der ständig wechselnde Selektionsdruck zwingt die Pflanzenart zur genetischen Vielfalt», so Züst weiter. Diese ist die grundlegende Voraussetzung, damit sich Arten an veränderte klimatische Bedingungen, neu auftretende Schädlingsarten oder Krankheiten anpassen können.
Schneller Verlust innerartlicher Genvielfalt
Nicht alle Abwehrstoffe von Arabidopsis thaliana sind wirksam gegen Blattläuse, weshalb im Experiment mehrere dieser erfolglosen genetischen Varianten bereits nach fünf Pflanzengenerationen verschwanden.
Laut Lindsay Turnbull sind Abwehrmechanismen für die Pflanze kostspielig und gehen oft zulasten des Wachstums: «Innerartliche genetische Vielfalt wird nur so lange aufrechterhalten, wie sie der Pflanze einen Nutzen, wie z.B. Schutz vor Schädlingen bringt.» Die innerartliche genetische Vielfalt vieler Pflanzen ist heute durch den vom Menschen ausgeübten Selektionsdruck vielerorts gefährdet. Nutzpflanzen werden unter Preisgabe der natürlichen Abwehrmechanismen auf schnelles Wachstum und maximalen Ertrag hin selektioniert, womit der Einsatz von Pestiziden unumgänglich wird. Die neu gewonnenen Erkenntnisse könnten in Zukunft dazu genutzt werden, massgeschneidertes Saatgut zu entwickeln, das gegen lokal dominant auftretende Schädlinge resistent ist. Auf diese Weise könnte der Einsatz von Pestiziden stark eingeschränkt werden.