Direkter Transfer von Pflanzen-Genen aus Chloroplasten in den Zellkern
Trotz struktureller Unterschiede in der DNA bleibt die Genfunktion erhalten
© Max Planck Institute of Molecular Plant Physiology
Cyanobakterien gehören zu den ältesten Lebewesen überhaupt und sind allem Anschein nach die Vorläufer der grünen Chloroplasten in den Pflanzenzellen. Sie besitzen keinen echten Zellkern, doch ihre Erbsubstanz ist aus den gleichen vier Bausteinen aufgebaut wie die von Menschen, Pflanzen und Tieren. Die in der Chloroplasten-DNA kodierten Gene können also auch im Zellkern abgelesen werden, und tatsächlich befinden sich viele Gene, die in der frühen Evolution noch in den Zellorganellen zu finden waren, heute ausschließlich im Genom des Zellkerns. Wie sie dorthin gelangt sind, war bisher unklar. Zwei Mechanismen schienen möglich: entweder der direkte Transport als DNA-Stücke vom Chloroplasten in den Zellkern oder der Transport als mRNA, die dann wieder zurück in DNA umgeschrieben wird.
In Chloroplasten scheint der direkte Transfer von DNA zu dominieren, doch wirft dieser Weg zwei Probleme auf. Ein erstes Problem liegt in den Promotoren, den DNA-Sequenzen, die dafür sorgen, dass Gene als solche erkannt werden. Sie sind den Genen vorgelagert und rekrutieren Proteine, die zur Abschrift der Gene benötigt werden. Promotoren aus Chloroplasten werden aber von den Proteinen im Zellkern nicht als solche erkannt, die DNA-Ablesemaschinerie sollte also die eingewanderten Gene überlesen.
Die zweite Schwierigkeit besteht in der richtigen Verarbeitung der Gensequenz. Gene bestehen aus mehreren Modulen, die durch nichtkodierende DNA-Bereiche (Introns) voneinander getrennt sind. Da die Introns hinderlich für die Proteinsynthese sind, müssen sie aus der mRNA entfernt werden; ein Vorgang, der als Spleißen bezeichnet wird. Erst dann kann weitergearbeitet und ein korrektes Protein synthetisiert werden. Doch auch hier gilt: Die mRNA wird im Zellkern anders verarbeitet als in den Chloroplasten und Chloroplasten-Introns schienen lange Zeit eine unüberwindbare Hürde für das korrekte Ablesen von Chloroplastengenen im Zellkern zu sein.
„Genau das sind sie aber nicht“, stellt Arbeitsgruppenleiter Ralph Bock fest. „In unseren Versuchen hat sich gezeigt, dass die Introns im Zellkern erkannt und ausgeschnitten werden, wenn auch teilweise nicht genau an den gleichen Stellen, wie es in den Chloroplasten der Fall gewesen wäre.“ Trotzdem entstehen funktionsfähige Proteine. Vermutlich helfen die Introns den Spleiß-Enzymen sogar, indem sie sich in stabile RNA-Strukturen falten und so die Enzyme an die richtigen Stellen dirigieren. Gleichzeitig scheint die RNA-Struktur die Ribosomen dabei zu unterstützen, den richtigen Startpunkt für die Proteinsynthese zu finden.
Da der Transfer von Genen in den Zellkern ein extrem langsam ablaufender evolutionärer Prozess ist, der in der Natur Millionen von Jahren benötigt hat, konnte der zugrundeliegende Mechanismus bislang nicht direkt untersucht werden. Den Wissenschaftlern gelang es nun, in Laborexperimenten den Gentransfer im Zeitraffer ablaufen zu lassen. Indem sie die Zellen unter einen hohen Selektionsdruck setzten, wurde die Übertragung von Genen aus den Chloroplasten in den Zellkern überlebenswichtig und ließ sich so leicht sichtbar machen. Dabei zeigte sich, dass der Transfer ohne Beteiligung von RNA stattfindet und die DNA offensichtlich direkt aus den Chloroplasten in den Zellkern springt.