Erbgut-Schnipsel gegen Brustkrebs
Neuer Ansatz deckt komplexes Wechselspiel auf
Tumorzellen vermehren sich unkontrolliert, weil bei ihnen jene komplizierten Regelkreise gestört sind, die normalerweise das Zellwachstum in Schach halten. Verschiedene Signalwege sind bekannt, die bei Brustkrebs entgleisen können, darunter der Signalweg des Rezeptormoleküls EGFR (Epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor). Eine Daueraktivierung dieses Rezeptors führt häufig zu ungehemmter Zellteilung. Die durch Aktivierung des Rezeptors angestoßene Reaktionskette kann auf verschiedene Art und Weise beeinflusst werden. So ist bekannt, dass kleine Erbgut-Schnipsel inhibierend auch in diesen Signalweg eingreifen und damit eine Anti-Tumor-Wirkung haben können. Solche so genannte miRNAs, von denen über 800 im Erbgut kodiert sind, hemmen dabei die Herstellung bestimmter Komponenten des Signalwegs, indem sie verhindern, dass die entsprechende Erbinformation in Protein übersetzt wird. Erstmals untersuchten Wissenschaftler um Dr. Özgür Sahin und Privatdozent Dr. Stefan Wiemann am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg nun wie miRNAs in ihrer Gesamtheit den EGFR-Signalweg koordinieren. Dabei identifizierten sie drei bisher nicht mit diesem Signalweg in Verbindung gebrachte miRNAs (miR-124, miR-147 und miR-193a-3p) als Tumorsuppressoren, die den EGFR-Signalweg hemmen und damit die Teilung der Tumorzellen abbremsen. Eine entscheidende Erkenntnis aus ihren Untersuchungen war zudem, dass einzelne miRNAs mehrere am Signalweg beteiligte Proteine zum Ziel haben, diese also ko-regulieren können. Zugleich werden einzelne Proteine zum Teil durch mehrere miRNAs beeinflusst. Stefan Wiemann erklärt: „Das Wissen um die genauen Eigenschaften ist deshalb hochrelevant, weil einzelne miRNAs recht milde Effekte verursachen können, also eher eine Feinregulierung der sensibel abgestimmten Signalwege bewirken. In ihrem Zusammenspiel entfalten die miRNAs jedoch starke Effekte, was sie zu möglichen Angriffspunkten neuartiger Krebstherapien macht.“
Die Besonderheit an den Untersuchungen der Heidelberger Wissenschaftler ist, dass sie die Gesamtheit der bisher bekannten miRNAs untersuchten, anstatt sich auf einzelne Moleküle zu beschränken. Sie brachten dazu in einem Zellkulturansatz zunächst alle miRNAs einzeln in eine Brustkrebszelllinie ein. Dann untersuchten sie in einem Hochdurchsatzverfahren, wie sich die Anwesenheit der jeweiligen miRNAs in der Zelle auf 26 Proteine des EGFR-Signalwegs auswirkte. Mit einer selbst entwickelten neuartigen Methode zur Netzwerkanalyse verglichen sie zudem die Nukleotid-Sequenzen der miRNAs mit den Gensequenzen der Proteine und konnten so in einem computergestützten Modell zeigen, welche miRNAs welche Proteine regulieren bzw. ko-regulieren. Erst die Kombination der Laboruntersuchungen mit den rechnerbasierten Analysen ergab ein vollständiges Bild der tatsächlichen biologischen Abläufe. Bevor miRNAs eventuell selbst als Medikamente bzw. als Angriffspunkte für neue Therapien eingesetzt werden können, ist es unabdingbar, die komplexen Zusammenhänge auf Netzwerkebene zu verstehen. Hierfür wurde mit dem neuartigen Ansatz ein wichtiger Grundstein gelegt.
Originalveröffentlichung
Global microRNA level regulation of EGFR-driven cell cycle protein network in breast cancer. Uhlmann et al. Molecular Systems Biology, February 14th 2012.