Der 1. Schritt auf dem Weg zu einem neuen Grippemedikament
M. Szabo/UKJ
Die Influenza gehört weltweit zu den besonders häufigen Infektionskrankheiten. Sie fordert allein in Deutschland etwa 5000 bis 8000 Todesopfer je Saison. Besonders gefährlich sind dabei zusätzliche bakterielle Infektionen, die bis zur Sepsis führen können. Diese werden durch die virusbedingte Schädigung der Atemwege begünstigt. Wirksamste Gegenmaßnahme ist die vorbeugende jährliche Influenzaschutzimpfung. Seit einigen Jahren gibt es zudem auch Medikamente, die bei rechtzeitiger Gabe die Vermehrung der Viren behindern. Neuraminidase-Hemmer blockieren ein Enzym, das das Ablösen neu gebildeter Viren von der Wirtszelle ermöglicht und ein Verklumpen der Viren außerhalb der Zellen verhindert. Wie die Bakterien gegen Antibiotika können aber auch Influenzaviren Resistenzen gegen diese Medikamente entwickeln, so dass sie ihre Wirkung verlieren.
Eine Waffe gegen zwei Feinde
Neuraminidasen kommen auch bei Bakterien wie z.B. Pneumokokken, vor, die bei grippegeschwächten Patienten Lungenentzündungen und schwere Sepsis-ähnliche Komplikationen verursachen können. Deshalb wollen die Virologen und Bakteriologen jetzt mit einer Waffe zwei Feinde schlagen. „Wir suchen nach neuen Wirkstoffen, die sich sowohl gegen die virale als auch gegen die bakterielle Neuraminidase wenden und so schwere Verläufe der Influenza und eine Lungenentzündung bzw. Sepsis vermeiden helfen“, erklärt PD Dr. Michaela Schmidtke. Die Biologin vom Institut für Virologie und Antivirale Therapie am Universitätsklinikum Jena leitet das 2012 gestartete Projekt „FluProtect“.
In die engere Wahl als neue Wirkstoffkandidaten kommen dabei sowohl Naturstoffe und Extrakte, von denen eine antivirale Wirkung bekannt ist, als auch synthetisch hergestellte Substanzen, die aufgrund ihrer Molekülstruktur an Neuraminidasen binden können. Bei der Auswahl der Stoffe arbeiten die Jenaer Wissenschaftler mit Pharmazeuten und Chemikern aus Innsbruck, Moskau und Cambridge zusammen. Die Mikrobiologen des Universitätsklinikums Jena stellen Bakterienkulturen und klinische Isolate von Grippepatienten, auch mit Influenzatypen, die gegen die bekannten Substanzen Resistenzen entwickelt haben, für die antivirale und antibakterielle Testung zur Verfügung. Die Wirkstoff-Kandidaten müssen sich zunächst in Enzym-, Zellkultur- oder Bakterien-basierten Tests beweisen.
An dem mehrstufigen Testprozess sind auch Bioinformatiker beteiligt
Substanzen, die diese Tests bestehen, durchlaufen dann einen mehrstufigen Optimierungsprozess, in dem ihre Wirkung weiter charakterisiert wird. „Wir müssen beispielsweise eine Zellschädigung und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ausschließen, sowie untersuchen, bei welchen Bakterien- bzw. Virustypen, -subtypen und -stämmen die Substanzen wie stark wirken“, zählt Michaela Schmidtke einen ganzen Fragenkatalog auf. Mit Hilfe von Computerstudien sollen dann weitere, chemisch ähnliche Stoffe ermittelt und auch in das Testprogramm aufgenommen werden. Die Wirkstoffkandidaten, die sich in diesem iterativen Verfahren als am aussichtsreichsten herausstellen, werden schließlich auch unter In-vivo-Bedingungen auf ihre Verträglichkeit, Bioverfügbarkeit und antivirale Wirkung untersucht.
Eine besondere Rolle kommt in diesem komplexen Testprozess den Bioinformatikern am Jenaer Hans-Knöll-Institut zu: Sie analysieren schon publizierte Ergebnisse und die Daten, die im Projekt gewonnen werden. Ihr Ziel besteht darin, Molekülstruktur-Wirkung-Beziehungen sowie therapeutische Effekte der Neuraminidase-Hemmer vorhersagen zu können sowie die Wirkstoffsuche und –testung effektiver zu gestalten.
Das Thüringer Wirtschaftsministerium fördert „FluProtect“ für drei Jahre mit insgesamt 750.000 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds. Das Projekt wird von einem Firmenbeirat begleitet, dem fünf Jenaer Biotechnologieunternehmen angehören. „Wenn wir neue Neuraminidase-Hemmer finden, die all unsere Tests bestehen, wird es nochmals etwa zehn Jahre voller Forschungs- und Entwicklungsarbeit dauern, bevor sie als Medikament zur Verfügung stehen“, dämpft Michaela allzu frühe Hoffnungen. „Aber diese könnten dann schwere Komplikationen bei Infektionen mit resistenten Influenzaviren verhindern und den Antibiotika-Einsatz gegen bakterielle Sekundärinfektionen verringern helfen.“
Bereits im Januar begann die Testung der ersten 80 Substanzen.