Wie HIV auf dem Frühradar auftaucht – Tarnung aufgedeckt
Prof. Viviana Simon, Department of Microbiology, Mount Sinai School of Medicine, New York
Das gefürchtete HI-Virus infiziert im menschlichen Organismus hocheffizient T-Lymphozyten, eine spezielle Zellgruppe des Immunsystems. Dagegen weisen myeloide Blutzellen wie dendritische Zellen, Monozyten und zum Teil Makrophagen, die ebenfalls der Immunabwehr dienen, einen natürlichen Schutz gegen HIV-1 auf. Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) um Dr. Egbert Flory, Leiter des Fachgebiets „Tissue Engineering und Somatische Zelltherapeutika“ in der Abteilung Medizinische Biotechnologie, und Forschungsgruppenleiterin Prof. Renate König haben jetzt nachgewiesen, dass das zelluläre Protein SAMHD1 („SAM domain and HD domain containing protein 1“) dafür verantwortlich ist, dass Monozyten nicht vom HI-Virus befallen werden. Wie die PEI-Wissenschaftler zeigen konnten, lässt sich diese 'Schutzfunktion' von SAMHD1 in den nicht infizierbaren Zellen jedoch ausschalten, wenn das Virale Protein X (Vpx) eingebracht wird. Vpx interagiert mit SAMHD1, was zu dessen Abbau führt. Im Ergebnis werden bis dahin HIV-1-resistente Zellen infizierbar. In weiteren Experimenten setzten die Forscher eine mutierte Vpx-Variante ein. Diese kann die SAMHD1-Bindung nicht mehr eingehen und so den Abbau des Proteins nicht mehr induzieren. In diesen Experimenten blieb die Infektion aus. Die Ergebnisse untermauern kürzlich publizierte Befunde zweier weiterer Arbeitsgruppen, die für dendritische Zellen und Makrophagen die Bedeutung von SAMHD1 als restriktiven Faktor einer HIV-1-Infektion beschrieben haben.
Die PEI-Forscher gingen noch einen Schritt weiter: In Kooperation mit Prof. Frank Rutsch, Universitätsklinikum Münster, und Forschern der Mount Sinai School of Medicine in New York um Prof. Viviana Simon und Prof. Ana Fernandez-Sesma untersuchten sie, wie Monozyten von Patienten mit dem sehr seltenen Aicardi-Goutières-Syndrom auf das HI-Virus reagieren. In den Zellen der Patienten mit dieser schweren Erbkrankheit fehlt aufgrund einer Mutation das funktionstüchtige SAMHD1. „Während normalerweise Monozyten durch HIV überhaupt nicht infiziert werden können, fand in diesen Zellen eine enorme Replikation und damit Vermehrung statt. Ein sehr wichtiger Befund ist aber vor allem, dass hier auch eine erste frühe Antwort der Immunzellen auf das Virus erkennbar war“, erläutert König. Während es beispielsweise bei Grippeviren zu einer schnellen ersten Immunantwort infizierter Zellen mit Interferonausschüttung kommt, weil die virale RNA beim Eindringen als fremd erkannt wird, entkommt das HI-Virus dieser frühen Abwehrphase unerkannt.
„Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung für die Entwicklung von Impfstoffen gegen HIV-Infektionen“, betont Prof. Klaus Cichutek, Präsident des PEI. „Bisher war die Suche wenig erfolgreich, weil durch potenzielle Impfstoffkandidaten keine adäquate Immunreaktion hervorgerufen wurde. Über die Aufklärung der frühen Tarnung des Virus lassen sich möglicherweise Ansätze für eine bessere Impfantwort finden“. Zudem ist durch SAMHD1 ein wichtiger Schlüssel zu einem System gefunden worden, das Zellen vor einer HIV-Infektion schützt.
Originalveröffentlichung
Berger A. et al.; SAMHD1-deficient CD14+ cells from individuals with Aicardi-Goutières syndrome are highly susceptible to HIV-1 infection. PLoS Pathog. 08.12.2011