Wie nützliche Darmbakterien krankmachen: Neuer Auslöser von chronischen Darmentzündungen entdeckt

12.12.2011 - Deutschland

Das Bakterium Enterococcus faecalis ist ein zumeist nützlicher Bestandteil der natürlichen Darmflora. Es kann aber auch chronische Entzündungen wie Morbus Chron und Colitis ulcerosa auslösen. Ursache ist das von E.faecalis produzierte Enzym Gelatinase: Bei einer genetischen Anfälligkeit für Darmentzündungen durchlöchert es die Darmschleimhaut und öffnet so Krankheitserregern Tür und Tor. Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) haben diesen bisher unbekannten Wirkungsmechanismus zwischen nützlichen Darmbakterien, genetischer Veranlagung und dem Ausbruch der Erkrankungen aufgeklärt. Auf dieser Grundlage wollen sie neue Behandlungsmethoden entwickeln.

TUM

Durchlässige Schutzbarriere: Fehlt das abdichtende Protein E-Cadherin (hellgrün), entstehen Darmentzündungen (Bilder rechts).

Eine Billion Bakterien pro Quadratmeter – der menschliche Darm ist das am dichtesten besiedelte Ökosystem. Zu seinen Bewohnern gehört Enterococcus faecalis (E.faecalis), ein Milchsäurebakterium, das auch in fermentierten Käse und Wurstwaren vorkommt und dem in probiotischen Lebensmitteln eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben wird. Die nützlichen Bakterien können aber auch krankmachen. Wie sie an der Entstehung von chronischen Darmentzündungen beteiligt sind, haben Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) herausgefunden.

Die Forscher haben dafür den Weg des Enzyms Gelatinase aus der Gruppe der Metalloproteasen im Darm von Mäusen verfolgt: Es wird von E. faecalis-Bakterien produziert und ist bei gesunden Mäusen ungefährlich für die Darmschleimwand. Anders bei genetisch veränderten Mäusen mit einer erhöhten Empfänglichkeit für Darmentzündungen: Hier greift das Enzym die E-Cadherin-Moleküle an, die wie Klebstoff zwischen den Epithelzellen des Darms sitzen und das Gewebe abdichten. Die Darmwand wird damit durchlässig für Krankheitserreger. Auf den Durchbruch der Schutzbarriere reagiert die Immunabwehr der Mäuse mit Entzündungen. Die wiederum schwächen die Darmwand und öffnen damit die Pforte für weitere Keime – chronische Erkrankungen sind die Folge.

Der von einem Forscherteam um Prof. Dirk Haller (Lehrstuhl für Biofunktionalität der Lebensmittel) entdeckte Mechanismus trägt dazu bei, die komplexen Ursachen von chronischen Darmentzündungen besser zu verstehen. Denn wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa beim Menschen entstehen, ist immer noch weitgehend ungeklärt. Zwar ist bekannt, dass rund 100 Gene oder Genabschnitte die Anfälligkeit erhöhen. Ob die Krankheit tatsächlich ausbricht, lässt sich daraus aber nicht verlässlich ableiten. Entscheidende Auslöser sind oft andere Faktoren: eine Schwäche der Immunabwehr, bestimmte Ernährungsgewohnheiten oder eben die Bakterien der natürlichen Darmflora. „Bei der Entstehung von chronischen Darmentzündungen ist die komplexe Wechselwirkung zwischen der genetischen Veranlagung und dem mikrobiellen Milieu im Darm entscheidend“, sagt Prof. Dirk Haller. „Bakterien wie E.faecalis wirken verstärkend nach beiden Seiten: Sie können die Erkrankungen eindämmen oder begünstigen. In welche Richtung das Pendel ausschlägt, hängt auch von den Erbanlagen des Wirtsorganismus ab“, erklärt der Ernährungswissenschaftler.

Gemeinsam mit seinen Kollegen Prof. Michael Schemann (Lehrstuhl für Humanbiologie) und Prof. Bernhard Küster (Lehrstuhl für Proteomik und Bioanalytik) arbeitet Haller deshalb darauf hin, die Erkenntnisse aus den Maus-Experimenten auch in der Krankenversorgung anzuwenden. Als nächstes wollen sie deshalb in Zusammenarbeit mit dem Klinikum rechts der Isar der TU München die Wirkungsmechanismen solcher Darmbakterien und ihrer Enzyme bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Darmerkrankungen untersuchen. Ziel ist es dabei, neue Methoden zu entwickeln, um die Enzym-Produktion der E.faecalis-Bakterien zu hemmen.

Originalveröffentlichung

N. Steck et al.; Enterococcus faecalis Metalloprotease Compromises Epithelial Barrier and Contributes to Intestinal Inflammation; Gastroenterology, Volume 141, Issue 3, Pages 959-971, September 2011

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