Weshalb ist der Mensch intelligenter als die Maus?

21.10.2011 - Österreich

Stammzellen im Gehirn des Menschen produzieren wesentlich mehr Nervenzellen als die entsprechenden Stammzellen bei Mäusen. Jürgen Knoblich, Forscher am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) fand heraus, welche Mechanismen dafür verantwortlich sind und warum die Orientierung der Zellen dabei eine Rolle spielt.

IMBA -  Institut für Molekulare Biotechnologie

Schnitt durch die Gehirnrinde einer Maus. Die Stammzellen leuchten grün, die bereits reifen Nervenzellen rot. Alle Zellkerne (sowohl von Stammzellen, als auch Nervenzellen) sind blau gefärbt.

Die rasante Größenentwicklung des Gehirns und damit der Intelligenz ist ein auffälliges Merkmal in der Evolution der Säugetiere. Während die Gehirnrinde einer Maus rund acht Millionen Nervenzellen (Neuronen) besitzt, sind es beim Menschen mehr als 15 Milliarden – ein gravierender Unterschied, obwohl die Erbanlagen von Maus und Mensch zu über 90% übereinstimmen.

Nervenzellen entstehen im Gehirn des Embryos aus Stammzellen, die sich stetig teilen. Bei jeder Teilung entstehen eine Nervenzelle und wieder eine weitere Stammzelle. So entsteht ein unerschöpflicher Pool für Nachschub. Weshalb Stammzellen beim Menschen wesentlich mehr Nervenzellen bilden können als bei der Maus, wird durch die neuen Arbeiten der IMBA-Wissenschaftler erklärt.

Forscher können Teilungsrichtung der Zelle beliebig steuern

Schon lange ist bekannt, dass Stammzellen sich in verschiedenen Ebenen des Raums teilen können. Die Tochterzellen liegen dann oben und unten bzw. links und rechts. Nach der gängigen Lehrmeinung legt die Teilungsrichtung fest, ob aus Stammzellen Nervenzellen oder nur wieder Stammzellen entstehen.

Jürgen Knoblich vom IMBA zweifelte an dieser Darstellung und wollte endgültig Klarheit in den Vorgang bringen. Gemeinsam mit seiner Postdoktorandin Maria Pia Postiglione züchtete er Mäuse, bei denen sich die Teilungsrichtung der Stammzellen willkürlich ändern lässt. Der genetische Trick basiert auf dem Protein „Inscuteable“, das wie ein Schalter für die Teilungsrichtung funktioniert: mit „Inscuteable“ teilt sich die Zelle waagrecht, ohne das Protein senkrecht.

Untersuchungen an den Mäusen mit dem genetischen Schalter konnten die Lehrbuchmeinung widerlegen: Nervenzellen entstehen sowohl bei senkrechten als auch waagrechten Teilungen, im letzten Fall allerdings erheblich mehr. Besitzt eine Maus mehr „Inscuteable“-Protein, finden mehr waagrechte Teilungen statt und es entstehen mehr Nervenzellen. Dieser Mechanismus wird von den IMBA- Forschern auch für die enorme Vermehrung der Nervenzellen im menschlichen Gehirn verantwortlich gemacht.

„Umweg“ bei der Nervenentwicklung führt zu größerem Gehirn

Höhere Organismen vermehren ihre Nervenzellen durch einen „Umweg“. Bei waagrechter Teilung entsteht neben einer Stammzelle zunächst ein „intermediate progenitor“ als Zwischenstufe. Diese Zelle besitzt keine Stammzelleigenschaften mehr, kann sich aber immer noch teilen – bei der Maus durchschnittlich einmal, so dass zwei Nervenzellen pro waagrechter Stammzellteilung entstehen. Diese „indirekte Neurogenese“ wird ebenfalls durch „Inscuteable“ gesteuert.

Indirekte Neurogenese ist also der Schlüssel zur Entwicklung größerer und intelligenterer Gehirne. Niedere Lebewesen, wie etwa Fische, beherrschen nur direkte Neurogenese und besitzen entsprechend wenige Nervenzellen. Im Laufe der Evolution entstand die indirekte Neurogenese und wurde immer weiter verfeinert. Beim Menschen sind die „intermediate progenitors“ bereits viel komplexer und teilen sich häufiger als bei der Maus. Daher besitzt der Mensch im Vergleich zum Nager ein Vielfaches an Nervenzellen.

Ob die Maus ohne „inscuteable“ aufgrund der geringeren Nervenzellen dümmer ist als ihre Artgenossen, lässt sich bisher nicht feststellen. Auch nicht, ob eine künstlich induzierte Überproduktion des Proteins zu intelligenteren Tieren führt.

Macht „Inscuteable“ den Mensch zum Menschen?

„Spannender ist aber ohnehin die Frage, welche Rolle „Inscuteable“ beim Menschen spielt“, meint Jürgen Knoblich. „Wahrscheinlich regelt es auch in unserem Körper die Anzahl der Neuronen, indem es indirekte Neurogenese aktiviert. Die Evolution des Proteins und seiner Funktion könnte zur enormen Vergrößerung des Menschenhirns beigetragen haben.“

Ein weiteres Forschungsergebnis unterstützt diese Vermutung: das Teilungsmuster der „intermediate progenitors“ korreliert eng mit der Höhe der Intelligenz. Außer beim Menschen kommt es in dieser Form nur bei anderen Primaten vor. Ohne „Inscuteable“ wären wir ohne Zweifel nicht das, was wir sind.

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