Kleine Moleküle ganz groß – neue Therapieansätze gegen Viren, Bakterien und Krebs

15.08.2011 - Deutschland

Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und des Exzellenzclusters NeuroCure um den Biochemiker Prof. Dr. Volker Haucke haben in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Australien und dem Leibniz Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin kleine Moleküle entwickelt, welche die zelluläre Aufnahme wichtiger Signalmoleküle aber auch krankheitserregende Organismen wie das menschliche Immunschwäche-Virus (HIV) oder Bakterien hemmen. Diese Substanzen stören die Funktion des zellulären Gitterproteins Clathrin und könnten so als Ausgangspunkt für neue therapeutische Ansätze zur Behandlung von Krebs, viralen oder bakteriellen Infektionen oder neurologischen Störungen dienen.

Die Aufnahme wichtiger Signalmoleküle wie Wachstumsfaktoren, aber auch die Kommunikation im Nervensystem werden durch das zelluläre Gitterprotein Clathrin vermittelt. Es erzeugt kleine, nur rund 100 Nanometer große Bläschen (ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter). Diese Bläschen schleusen Signalmoleküle in das Zellinnere oder dienen als Pakete zur gezielten Freisetzung von Botenstoffen im Nervensystem. Die Forscher benutzten niedermolekulare Substanzbibliotheken, welche rund zwanzigtausend verschiedene chemische Substanzen umfassen, verbunden mit medizinalchemischen Syntheseverfahren, um kleine Moleküle zu identifizieren, welche verhindern, dass Clathrin an seine Partnerproteine bindet. Diese als Pitstop bezeichneten Moleküle können binnen Minuten verhindern, dass Signalmoleküle, die das Zellwachstum fördern, oder Viren wie das Humane Immunschwäche-Virus (HIV) in die Zellen aufgenommen werden.

Als Ursache dieser Blockade haben die Forscher mithilfe leuchtender Proteine eine Störung der Dynamik von Clathrin und seinen Partnern ausgemacht. „Die Bildung der Membranbläschen wird gleichsam eingefroren, als ob man die Zellen in die Tiefkühltruhe gelegt hätte“, erläutert NeuroCure-Mitglied Professor Haucke. Ähnliche Effekte ließen sich im Nervensystem von Flußneunaugen oder in kultivierten Nervenzellen aus Mäusen oder Ratten dann beobachten, wenn Clathrin durch Anwendung von Pitstops keine Membranbläschen bilden kann und damit die Weiterleitung von Botenstoff unterbunden wird. Da neurologische Störungen – etwa Epilepsie – oftmals durch eine Übererregbarkeit von Nervenzellen verursacht werden, könnte die gezielte Dämpfung der Übertragung von Erregung im Nervensystem durch Pitstops und ähnliche Substanzen neue Therapiewege zur Behandlung von Krankheiten wie Epilepsie eröffnen. „Clathrin-vermittelte zelluläre Aufnahme ist von so fundamentaler Bedeutung“, führt Biochemiker Haucke aus, „dass wir hoffen, durch die Entwicklung dieser Inhibitoren ganz neue Konzepte zur Behandlung bislang nur schwer therapierbarer Krebsarten wie Hirntumoren zu erhalten – Tumore, deren Wachstum eng mit der Aufnahme von Signalmolekülen zusammenhängt, die die Zellteilung fördern.“

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