Ein wichtiger Schritt in der Antibiotika-Synthese gelingt im Labor
Forscher der Universität Tübingen können eine besonders interessante Phase des in der Natur ablaufenden Herstellungsprozesses nachbilden
Diplom-Biologin Ewa Maria Musiol, die Erstautorin der Studie, ist Doktorandin bei Dr. Tilmann Weber, der eine Nachwuchsgruppe am Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin in der Abteilung Mikrobiologie/Biotechnologie der Universität Tübingen leitet. Die Arbeit, an der auch Wissenschaftler des Kekulé-Instituts für Organische Chemie und Biochemie der Universität Bonn beteiligt waren, ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Chemistry & Biology“ erschienen.
Die Funktion der Polyketidsynthasen als „Antibiotika-Fertigungsstraße“ spiegelt sich in ihrem molekularen Aufbau wider: Sie bestehen aus einer Aneinanderreihung enzymatischer Domänen, die fließbandartig die Biosyntheseschritte katalysieren. Um so überraschender war es, als sich vor wenigen Jahren herausstellte, dass es Abweichungen vom Lehrbuchwissen über diese Enzyme gibt. Dr. Tilmann Weber: „Vor einigen Jahren sind die ersten Biosynthesewege gefunden worden, in deren Polyketidsynthasen keine Acyltransferase (AT)-Domänen enthalten sind.“ AT-Domänen sind dafür verantwortlich, dass die Grundbausteine der Polyketid-Antibiotika an das PKS-Megaenzym gebunden werden. Es fanden sich Fälle, in denen externe, eigenständige Enzyme, sogenannte trans-ATs, diese Aufgabe übernahmen.
Bis vor kurzem war allerdings Stand des Wissens, dass solche trans-ATs ausschließlich den Baustein Malonyl-CoA für ihren Beitrag zur Biosynthese verwenden. An einer Position im Molekül des Antibiotikums Kirromycin findet sich jedoch eine Verzweigung, die nicht aus Malonyl-CoA stammen kann. Weil diese Stelle so ungewöhnlich ist, hatte Ewa Maria Musiol sich vorgenommen herauszufinden, welcher Baustein dort verwendet wird und wie der Einbau erfolgt.
Das Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht verblüffend. Die Tübinger Forscher identifizierten in DNA-Sequenzdaten ein diskretes AT-Enzym, dem sie den Namen „KirCII“ gaben. Sie vermuteten, dass KirCII den ungewöhnlichen Baustein Ethylmalonyl-CoA an den richtigen Punkt der Kirromycin-Fertigungslinie bringt und es an eine spezifische Reaktionsstelle, welche die Wissenschaftler ACP5 nennen, bindet. Musiol gelang es in einem aufwendigen Laborverfahren, alle beteiligten Komponenten zu isolieren und den Prozess des Zusammenwirkens im Reagenzglas durchzuführen. Sie konnte nachweisen, dass die externe Acyltransferase KirCII spezifisch ACP5 erkennen kann. Das ebenfalls getestete ACP4, das sich benachbart zu ACP5 in der „Kirromycin-Fertigungslinie“ befindet, wird von KirCII nicht mit Ethymalonyl beladen. Der Prozess ist also zur Überraschung der Forscher hoch spezifisch für Ethylmalonyl-CoA, KirCII und ACP5.
Musiol betont: „Das Faszinierende ist, dass die AT KirCII eben nicht in die ,Antibiotika-Fertigungslinie‘ integriert ist, sondern extern hinzukommt. Wenn es gelingen würde, ACP5 in andere Biosynthesewege zu integrieren, dann könnte man solche Verzweigungen auch in andere Antibiotika einführen. Die dabei entstehenden Modifikationen könnten die Aktivität des neuen Antibiotikums verbessern oder seine Toxizität verringern.“ Und Weber ergänzt: „Im Endeffekt ist das ein ganz neuer Mechanismus, wie Diversität in solchen Molekülen erzeugt werden kann.“
Originalveröffentlichung
Ewa Maria Musiol et al.; Supramolecular templating in kirromycin biosynthesis – the acyltransferase KirCII loads ethylmalonyl-CoA extender onto a specific ACP of the trans-AT PKS. Chemistry & Biology, Volume 18, Issue 4, 438-444, 22 April 2011