Therapie gegen Alzheimer: Göttinger Alzheimerforscher entwickeln neuen Ansatz für passive Immunisierung und Diagnose
Bisherige Behandlungsstrategien zielen in erster Linie auf die so genannten Plaques ab. Diese Alzheimer-typischen Eiweißablagerungen bilden sich außerhalb der Nervenzellen. Die Bedeutung der Plaques für den Krankheitsprozess wird jedoch in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Berühmtes Beispiel dafür ist die amerikanische Nonnenstudie geworden. Die mehr als 600 Nonnen wurden regelmäßig neuropsychologisch getestet. Einige von ihnen entwickelten auch Alzheimer. Überraschend war jedoch, dass sich auch viele "Plaques" im Gehirn von Nonnen befanden, deren Wahrnehmung und Lernfähigkeiten völlig normal waren und keine Anzeichen für Alzheimer hatten. "Wir gehen davon aus, dass Plaques eine Art Mülleimer für das giftige Abeta-Eiweiß sind. Man sollte zwar die Entstehung bekämpfen, aber wenn sie schon vorhanden sind, ist es therapeutisch sinnvoller sie in Ruhe zu lassen", sagt Prof. Bayer. "Genau da setzt unser Antikörper an".
Bereits in früheren Studien hatten die Göttinger Alzheimerforscher in verschiedenen Tiermodellen nachgewiesen, dass entgegen bisheriger Annahmen nicht die Plaques den Tod der Nervenzellen auslösen. Sie fanden Beweise dafür, dass die zerstörerische Kaskade bereits viel früher und im Inneren der Nervenzelle in Gang gesetzt wird.
In der nun veröffentlichen Studie haben die Göttinger Wissenschaftler in einem von Prof. Thomas Bayer geführten internationalen Konsortium mit Kollegen von Synaptic Systems GmbH (Göttingen) und Wissenschaftlern aus Amsterdam, Berlin, Bonn, Helsinki und Uppsala eine völlig neuartige Struktur des Pyroglutamat-Abeta-Peptids entdeckt und dagegen spezifische Antikörper entwickelt. "Diese Antikörper sind weltweit die ersten, die eine lösliche, besonders toxische Abeta-Variante erkennen. Anders als die bisherigen Antikörper, die für Immunisierungen benutzt wurden, binden sie vor allem nicht an Plaques", sagt Prof. Bayer.
Die neu entwickelten Antikörper erkennen besonders giftige Verklumpungen von Pyroglutamat-Abeta, so genannte "Oligomere". Diese Oligomere häufen sich im Gehirn von Alzheimer Patienten, dort vor allem in Nervenzellen und an Blutgefäßen an. Dies führt vermutlich zu Schädigungen der Blutgefäße. Die Folge: Die Oligomere können nicht mehr aus dem Gehirn abfließen. "Wir können feststellen, dass die Spiegel der Oligomere im Blut von gesunden Personen hoch sind. Bei Alzheimer-Patienten lassen sich nur niedrige Oligomere-Spiegel im Blut finden, dafür sind sie im Gehirn aber viel höher", sagt. Dr. Oliver Wirths: "Damit eignen sich diese Antikörper als potentielle Biomarker für die Diagnose von Alzheimer im Blut und im Gehirn."
In der aktuellen Studie konnten die Göttinger Forscher erstmals belegen, dass die passive Immunisierung mit einem Oligomer-spezifischen Antikörper, der Plaques nicht erkennt, erfolgreich war. Im Tiermodell war der Antikörper therapeutisch wirksam und stabilisierte das Lernverhalten. Durch die passive Immunisierung werden Antikörper zugeführt, binden die giftigen Oligomere und machen sie unschädlich. "Mit dieser Form der passiven Impfung können wir vermutlich keine Heilung erreichen, aber unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Antikörper offenbar das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit stoppen", sagt Prof. Bayer.
Originalveröffentlichung: Wirths et al. (2010) Journal of Biological Chemistry
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Themenwelt Antikörper
Antikörper sind spezialisierte Moleküle unseres Immunsystems, die gezielt Krankheitserreger oder körperfremde Substanzen erkennen und neutralisieren können. Die Antikörperforschung in Biotech und Pharma hat dieses natürliche Abwehrpotenzial erkannt und arbeitet intensiv daran, es therapeutisch nutzbar zu machen. Von monoklonalen Antikörpern, die gegen Krebs oder Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden, bis hin zu Antikörper-Drug-Konjugaten, die Medikamente gezielt zu Krankheitszellen transportieren – die Möglichkeiten sind enorm.
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