Temperaturschalter für negative Erinnerungen
Neurobiologen können einzelne Nervenzellen gezielt aktivieren und so die Verknüpfung von Sinneseindrücken und negativen Erfahrungen studieren
Max Planck Society
Die Vorteile der Fruchtfliege
Am Modell der Fruchtfliege untersucht die Max-Planck-Forschungsgruppe "Verhaltensgenetik" unter der Leitung von Hiromu Tanimoto, was im Gehirn passiert, wenn die Tiere lernen etwas zu vermeiden. Die Frage drängt sich auf, warum die Wissenschaftler dies ausgerechnet an der Fruchtfliege untersuchen, deren Gehirn zugegebenermaßen winzig ist. Das hat zweierlei Gründe: Zum einen ist das Gehirn dieser Tiere mit knapp Hunderttausend Nervenzellen deutlich einfacher aufgebaut, als zum Beispiel ein menschliches Gehirn mit rund hundert Milliarden Nervenzellen. In der Fruchtfliege ist es daher deutlich einfacher, die Zellen zu identifizieren, die für das Entstehen von Vermeidungsverhalten wichtig sind. Zum anderen gibt es für die Fruchtfliege eine große Bandbreite an genetischen Werkzeugen, mit denen zum Beispiel bestimmte Gehirnfunktionen gezielt aktiviert oder ausgeschaltet werden können.
"Genau diese Vorteile haben wir uns zunutze gemacht", berichtet Hiromu Tanimoto. Die Wissenschaftler wussten, dass die Verknüpfung von Geruch und Stromimpuls innerhalb des Pilzkörpers geschieht - einer Struktur im Fliegenhirn mit rund 2.000 Nervenzellen. Zudem ist bekannt, dass der Botenstoff Dopamin wichtig ist, damit die Fliegen lernen können, eine potenzielle Gefahr mit einem Geruch zu verknüpfen. Welche Dopamin-ausschüttenden Zellen dies jedoch genau ermöglichten, das blieb weiterhin unklar.
Manipulation ohne direkten Eingriff
"Die Schwierigkeit bestand darin, dass wir wissen mussten, welche Nervenzellen Dopamin ausschütten, während die Fliegen herumrennen und lernen, einen Duft zu vermeiden", fasst Tanimoto die Herausforderung zusammen. Genau das ist den Neurobiologen nun gelungen. Sie bauten einen "Temperaturschalter" in die Dopamin-ausschüttenden Nervenzellen ein, die mit den Zellen des Pilzkörpers in Kontakt stehen. "In der einen Gruppe von Fliegen führte das eingeschleuste Gen dazu, dass eine leichte Erhöhung der Raumtemperatur die Nervenzellen aktivierte, sodass diese Dopamin freisetzten; in einer zweiten Fliegengruppe führte ein anderes Gen dazu, dass die Temperaturerhöhung die Nervenzellen inaktivierte, egal welche Reize wir den Tieren anboten", so Tanimoto. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler zeigen, dass drei Dopamin-ausschüttende Zellen aktiv sein müssen, damit ein wahrgenommener Duft mit einem negativen Erlebnis verknüpft wird. Die entscheidende Rolle dieser Zellen war eindeutig: Wurden die drei Nervenzellen über eine Temperaturerhöhung aktiviert während die Fliegen einen Duft wahrnahmen, so lernten die Tiere den Duft zu vermeiden - und das selbst dann, wenn der Stromimpuls als negative Beziehung zu dem Duft fehlte.
"Wir können jetzt tatsächlich die Funktion einzelner Nervenzellen in einem sich frei bewegenden Tier untersuchen - das eröffnet ganz neue Möglichkeiten", freut sich Yoshinori Aso über den Erfolg seiner Arbeit. Nun wollen die Wissenschaftler Schritt zu Schritt entschlüsseln, wie Erlebnisse miteinander verknüpft werden, und wie daraus eine Verhaltensänderung entsteht.
Originalveröffentlichung: Yoshinori Aso, Igor Siwanowicz, Lasse Bräcker, Kei Ito, Toshihiro Kitamoto, Hiromu Tanimoto; "Specific dopaminergic neurons for the formation of labile aversive memory"; Current Biology, online Veröffentlichung vom 15. Juli 2010