Ein Schaltkreis im Gehirn, der uns den Appetit verdirbt
Spezialisierte Nervenzellen im Gehirn zügeln bei Übelkeit den Appetit
© MPI für biologische Intelligenz / Christina Bielmeier
Eine bevorstehende Prüfung, eine Schiffsfahrt auf hoher See oder der nächste Kita-Keim haben alle etwas gemeinsam: Sie können uns ziemlich auf den Magen schlagen. Denn Stress, die Reisekrankheit oder bestimmte Infektionen führen mitunter auch dazu, dass uns übel wird. Eigentlich logisch, dass wir in solchen Situationen erst einmal nichts essen und abwarten, bis sich die Lage bessert. Und so gehen Übelkeit und Appetitlosigkeit meist Hand in Hand. Oder war Ihnen schon mal schlecht und gleichzeitig hatten Sie richtig Lust zu essen?
Was logisch erscheint, ist ein gesunder Schutzmechanismus unseres Körpers. Doch dieser muss erst einmal aktiviert werden. Dass das Gehirn dabei eine zentrale Rolle spielt, liegt auf der Hand: Es ist die Schaltzentrale für den Energiehaushalt des Körpers und regelt das Essverhalten.
Wie verhindert also das Gehirn, dass wir essen, wenn uns schlecht ist? Forschende in der Abteilung von Rüdiger Klein haben dazu in Mäusen neue Erkenntnisse geliefert. Sie konzentrierten sich auf eine Gehirnregion, die bei Emotionen auch rund ums Essen mitwirkt: die Amygdala. Dort befinden sich Nervenzellen, die das Essen fördern und solche, die den Appetit zügeln. Ein bekannter, hemmender Zelltyp wird zum Beispiel bei Sättigung aktiviert – doch wie das ganze bei Übelkeit aussieht, war bisher nur unzureichend geklärt.
Wenyu Ding, Erstautorin der neuen Studie, entdeckte in der Amygdala nun eine weitere Zellgruppe mit negativem Einfluss auf den Appetit. Anders als bei dem bereits bekannten Zelltyp werden diese Zellen nicht bei Sättigung, sondern durch Übelkeit aktiviert. Schalteten die Forschenden die Zellen künstlich an, hörten selbst hungrige Mäuse auf zu essen. Im Gegenzug führte das Ausschalten der Zellen dazu, dass die Mäuse sogar aßen, wenn ihnen übel war.
Um besser zu verstehen, wie dieser Zelltyp seine appetithemmende Funktion ausübt, analysierten die Forschenden den dazugehörigen Schaltkreis: von wo erhalten die Zellen ihre Informationen und wohin erstrecken sich ihre Ausläufer? So ergab sich folgendes Bild: Ist der Maus schlecht, erreicht diese Information das Gehirn und schließlich die Amygdala. Dort wird der neue Zelltyp aktiviert und sendet seine hemmenden Signale in weit entfernte Gehirnregionen, unter anderem den sogenannten parabrachialen Nucleus, eine Hirnstammregion, wo viele Informationen über den aktuellen Zustand des Körpers zusammenlaufen.
Dies steht im Gegensatz zu dem Schaltkreis des zuvor bekannten Zelltyps, der hauptsächlich benachbarte Zellen innerhalb der Amygdala ansteuert. Damit wird klar: Appetitlosigkeit bei Sättigung ist nicht gleich Appetitlosigkeit bei Übelkeit. Im Gehirn sind dafür unterschiedliche Zellen und Schaltkreise verantwortlich – eine komplizierte Sache also und vielleicht ein kleiner Trost, wenn uns das nächste Mal schlecht ist.
Vor allem aber liefert die neue Studie wichtige Erkenntnisse, wie das Essverhalten im Gehirn und speziell in der Amygdala reguliert wird. Das ist die Voraussetzung, um zukünftig die zahlreichen Krankheiten in Verbindung mit fehlgeleitetem Essverhalten im Menschen besser zu verstehen.