For­schen­de kul­ti­vie­ren Ar­chae­en, die auf neu­en We­gen Erd­öl ab­bau­en

Wie tief im Mee­res­bo­den Mi­kro­or­ga­nis­men Erd­öl un­schäd­lich ma­chen

05.06.2023 - Deutschland

Der Mee­res­bo­den be­her­bergt rund ein Drit­tel al­ler Mi­kro­or­ga­nis­men der Erde und ist auch in ei­ner Tie­fe von meh­re­ren Ki­lo­me­tern noch be­sie­delt. Nur wenn es zu heiß wird, schei­nen die Mi­kro­or­ga­nis­men pas­sen zu müs­sen. Aber wie und wo­von le­ben Mi­kro­or­ga­nis­men in den Bö­den der Tief­see? Wie funk­tio­nie­ren Stoff­wech­sel­kreis­läu­fe und wie in­ter­agie­ren die ein­zel­nen Mit­glie­der die­ser ver­bor­ge­nen Ge­mein­schaf­ten? For­schen­de am MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men und des Max-Planck-In­sti­tuts für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie Bre­men konn­ten nun in La­bor­kul­tu­ren nach­wei­sen, wie Erd­öl­be­stand­tei­le durch Ar­chae­en – eine Grup­pe von Mi­kro­or­ga­nis­men – mit­hil­fe ei­nes neu­en Me­cha­nis­mus ab­ge­baut wer­den. Die Er­geb­nis­se sind jetzt im Fach­jour­nal Nature Microbiology er­schie­nen.

Woods Hole Ocea­no­gra­phic In­sti­tu­ti­on

Im Schein­wer­fer­licht des US-ame­ri­ka­ni­schen Tief­see­tauch­boots AL­VIN ist ein klei­nes rot­brau­nes Mas­siv am Bo­den des Gu­ay­mas-Be­cken zu er­ken­nen. Die­se For­ma­ti­on ist um­ge­ben von reich­lich hydro­ther­ma­len Se­di­men­ten, die von wei­ßen und oran­gen Bak­te­ri­en-Mat­ten be­deckt sind. Durch das Team des be­mann­ten Tief­see­tauch­boots wur­de hier der Kern ge­nom­men, aus de­nen die Ar­chae­en Can­di­da­tus Al­ka­no­pha­ga letzt­lich stam­men.

Hanna Zehnle

Die mikrobiellen Gemeinschaften wurden in unterschiedlichen flüssigen Alkanen kultiviert, hier eine Hexan-Kultur. Auf der Oberfläche ist eine Ölschicht zu erkennen.

Woods Hole Ocea­no­gra­phic In­sti­tu­ti­on
Hanna Zehnle

In der Nähe von Hydro­ther­mal­quel­len, etwa im Gu­ay­mas-Be­cken im Golf von Ka­li­for­ni­en, sind die mi­kro­bi­el­len Ge­mein­schaf­ten be­son­ders ak­tiv. Das Team der For­schen­den ar­bei­tet seit vie­len Jah­ren dar­an, die­se Ge­mein­schaf­ten zu ent­schlüs­seln. Im Gu­ay­mas-Be­cken wird durch die Wär­me aus dem Erd­in­ne­ren ab­ge­la­ger­tes or­ga­ni­sches Ma­te­ri­al auf­ge­heizt, und zer­fällt so zu Erd­öl und Erd­gas. De­ren Be­stand­tei­le sind für Mikroorganismen die Haupt­ener­gie­quel­le in ei­ner an­sons­ten le­bens­feind­li­chen Um­welt. In ih­rer jüngs­ten Stu­die wei­sen die For­schen­den Ar­chae­en nach, die in der Lage sind, bei ho­hen Tem­pe­ra­tu­ren ohne Sau­er­stoff mit­hil­fe ei­nes neu­en Me­cha­nis­mus Erd­öl-Al­ka­ne ab­zu­bau­en.

Al­ka­ne sind sehr sta­bi­le Ver­bin­dun­gen aus Koh­len­stoff und Was­ser­stoff. Sie sind ein na­tür­li­cher Be­stand­teil von Erd­gas und Erd­öl. Letz­te­res wird vom Men­schen zu Treib­stof­fen wie Ben­zin und Ke­ro­sin wei­ter­ver­ar­bei­tet. In Fol­ge von Un­fäl­len bei der För­de­rung von Erd­öl kommt es im­mer wie­der zu Um­welt­ka­ta­stro­phen, wie zum Bei­spiel bei der Ha­va­rie der Bohr­platt­form De­ep­wa­ter Ho­ri­zon, die auf­grund der gif­ti­gen Wir­kung un­ter an­de­rem flüs­si­ger Al­ka­ne ver­hee­ren­de Schä­den im Golf von Me­xi­ko ver­ur­sach­te. Ist Sau­er­stoff vor­han­den, bau­en Mi­kro­or­ga­nis­men vie­le der Erd­öl­be­stand­tei­le, vor al­lem Al­ka­ne, schnell ab. Ohne den re­ak­ti­ven Sau­er­stoff ist der Ab­bau un­gleich schwe­rer. Or­ga­nis­men, die die­se Leis­tung voll­brin­gen, sind weit­ge­hend un­er­forscht. In den letz­ten Jah­ren gab es aber Hin­wei­se dar­auf, dass Ar­chae­en ei­nen über­ra­schen­den Me­cha­nis­mus da­für nut­zen könn­ten. Er be­ruht auf neu­en Va­ri­an­ten des Schlüs­se­len­zyms der Me­tha­no­ge­ne­se und des an­ae­ro­ben Me­than­ab­baus, der Me­thyl-Co­en­zym-M-Re­duk­ta­se (MCR). Die die­se En­zy­me ko­die­ren­den Gene wur­den schon in vie­len Um­welt­pro­ben ge­fun­den. Noch fehl­ten aber Kul­tu­ren der Mi­kro­ben im La­bor, um fest­zu­stel­len, was die­se En­zy­me leis­ten. Hier setzt die La­bor­stu­die von Han­na Zehn­le und ih­ren Kol­leg:in­nen an.

Da­für hat das Team Se­di­ment aus dem 2000 Me­ter tie­fen Gu­ay­mas-Be­cken im Golf von Ka­li­for­ni­en ge­nutzt. Hier fin­den sich auf­grund von geo­lo­gi­schen Be­son­der­hei­ten hohe Tem­pe­ra­tu­ren, flüs­si­ge Erd­öl­be­stand­tei­le und an­ae­ro­be Be­din­gun­gen in ge­rin­ge­ren Se­di­ment­tie­fen, wie sie sonst nur in tief­lie­gen­den Ölre­ser­voirs zu fin­den und so­mit für For­schen­de deut­lich schwie­ri­ger er­reich­bar sind.

Im Bre­mer La­bor ha­ben die For­schen­den Kul­tu­ren mit flüs­si­gen Al­ka­nen an­ge­setzt und ohne Sau­er­stoff, also an­ae­rob, bei ho­hen Tem­pe­ra­tu­ren (70 Grad Cel­si­us) wach­sen las­sen. „In den Kul­tu­ren“, er­klärt Er­st­au­to­rin Han­na Zehn­le, „ent­steht nach ei­ner Zeit Sul­fid. Das gilt als Be­weis, dass sie ak­tiv sind.“ An­hand von DNA- und RNA-Pro­ben wird die Zu­sam­men­set­zung der Kul­tu­ren un­ter­sucht. „Wir möch­ten so her­aus­fin­den, wel­che Or­ga­nis­men in die­sem Sys­tem le­ben und wel­che Stoff­wech­sel­we­ge sie nut­zen“, er­klärt Zehn­le. Dazu zäh­len che­mi­sche Re­ak­tio­nen, bei de­nen Stof­fe um­ge­wan­delt wer­den. In den Kul­tu­ren fan­den sich Ar­chae­en der Gat­tung Candidatus Alkanophaga. Die­se nut­zen Va­ri­an­ten der MCR für den Al­kan-Ab­bau. Das be­leg­ten die For­schen­den durch Tran­skrip­tom­da­ten, Mes­sun­gen des Pro­dukts des En­zyms und durch die nach­ge­wie­se­ne In­ak­ti­vi­tät der Kul­tu­ren bei Hem­mung des En­zyms. Al­lei­ne kön­nen sie das Erd­öl aber nicht ab­bau­en. Die At­mung, hier in Form von Sul­fat­re­duk­ti­on (da kein Sau­er­stoff vor­han­den ist), über­neh­men Bak­te­ri­en der Gat­tung Thermodesulfobacterium, die dich­te Kon­sor­ti­en mit den Ar­chae­en for­men.

Die Me­tha­no­ge­ne­se ist ei­ner der äl­tes­ten be­kann­ten Stoff­wech­sel­pro­zes­se und Teil des glo­ba­len Koh­len­stoff­kreis­laufs. Die La­bor­stu­die von Han­na Zehn­le und ih­ren Kol­leg:in­nen zeigt, dass die be­tei­lig­ten En­zy­me auch auf flüs­si­ge und da­mit to­xi­sche Koh­len­was­ser­stof­fe wir­ken kön­nen, was die Be­deu­tung die­ses Stoff­wech­sel­we­ges für den glo­ba­len Koh­len­stoff­kreis­lauf zeigt.

„Dank ih­rer neu­ent­deck­ten Fä­hig­kei­ten ha­ben es Al­ka­no­pha­ga und ihre Ver­wand­ten auf die Koh­len­was­ser­stof­fe in den Ölre­ser­voirs ab­ge­se­hen. Das rest­li­che Öl wird im­mer fes­ter und ver­bleibt so im Mee­res­bo­den“, er­läu­tert Gun­ter We­ge­ner, der Se­nior­au­tor der Stu­die. „Noch ha­ben wir kei­ne tie­fen Ölre­ser­voirs un­ter­su­chen kön­nen – aber da­mit är­gern die Ar­chae­en si­cher die Ölin­dus­trie. Sie leis­ten aber auch ei­nen wich­ti­gen Bei­trag da­für, dass na­tür­li­che Ölaus­trit­te sel­ten sind.“

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