Fett-weg-Spritze: Ein Gamechanger bei starkem Übergewicht?

Zum Jahresbeginn nehmen sich viele Menschen vor, ein wenig abzunehmen. Sind die derzeit viel diskutierten Medikamente, die man sich unter die Haut spritzt, eine gute Idee?

24.01.2023 - Deutschland

(dpa) Bei manchen Menschen mit starkem Übergewicht bis hin zur Fettleibigkeit bleibt die Mühe vergebens: Auch wenn sie ihre Ernährung umstellen und Sport treiben, wollen die Pfunde nicht so recht purzeln. Das bedeutet Frust, gerade wenn das Gewicht auch noch mit anderen Gesundheitsproblemen wie Diabetes zusammenhängt. Für solche Menschen sind neuartige Adipositas-Medikamente gedacht, die man sich zusätzlich zu Lebensstiländerungen selbst unter die Haut spritzt. Zur Wirkung eines bestimmten Präparats schreibt die Europäische Arzneimittelagentur Ema etwa: Der Appetit werde reguliert, das Sättigungsgefühl erhöht, der Hunger verringert.

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In jüngster Zeit haben die verschreibungspflichtigen Mittel in sozialen Netzwerken für Aufsehen gesorgt. Auch weil manche Promis so abgenommen haben sollen. Tech-Milliardär Elon Musk erwähnte auf die Frage nach dem Geheimnis seines Aussehens auf Twitter das Fasten sowie den Namen einer solchen Arznei. Auch weil gesunde Menschen in den USA offenbar zunehmend zu den Injektionsstiften greifen, um ein bisschen abzuspecken, ist das Thema zuletzt öfter in deutschen Medien aufgetaucht. «Meine Patienten fragen verstärkt danach», sagte der Hamburger Endokrinologe Stephan Petersenn, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).

Der Wirkstoff, um den es aktuell geht, heißt Semaglutid. In Europa ist er seit 2018 als Diabetes-Medikament («Ozempic») zugelassen - es geht etwa darum, den Blutzuckerspiegel zu senken. Neuer, von Anfang 2022, ist eine Zulassung in der EU speziell mit dem Einsatzgebiet Gewichtsverlust und -kontrolle («Wegovy»): Gedacht ist es für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30, also Adipositas. Und für Übergewichtige (BMI ab 27) mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung.

«Wegovy» ist in Deutschland, wo etwa jeder vierte Erwachsene als adipös gilt, bisher jedoch nicht erhältlich. Auf Anfrage nennt der Hersteller Novo Nordisk Pharma weder einen Termin noch einen geplanten Preis. Er sichert jedoch Arbeiten «mit Hochdruck» zu, um das Präparat auch hierzulande für die bestimmten Patientengruppen zugänglich zu machen.

Angesichts bisheriger Daten erwarten Fachleute einen Nutzen für bestimmte Betroffene. In einer Studie verloren Patienten, die begleitend zu Lebensstiländerungen auch eine Dosis Semaglutid pro Woche erhalten hatten, im Schnitt nach 68 Wochen fast 15 Prozent Gewicht. Eine Vergleichsgruppe, die ein Scheinmedikament bekam, nahm im gleichen Zeitraum nur gut zwei Prozent ab, heißt es im «New England Journal of Medicine». Rund 1960 Menschen mit Adipositas oder Übergewicht mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung waren auf zwei Gruppen aufgeteilt worden.

Semaglutid ist nicht der einzige gewichtsreduzierende Wirkstoff, den es gibt - laut der Studie müssen andere aber ein- bis dreimal täglich verabreicht werden. Semaglutid weise mit die höchste Effektivität unter den derzeit zugelassenen Wirkstoffen der Substanzklasse in Bezug auf eine Gewichtsreduktion auf, so die DGE.

So gut das klingt, in der Praxis sehen Experten noch Hindernisse und auch Gefahren. Die DGE warnte vor Risiken und Nebenwirkungen und «einer von den Zulassungsbehörden nicht freigegebenen, unkontrollierten Anwendung». Da «Wegovy» bisher nicht verfügbar ist, werde stattdessen das geringer dosierte «Ozempic» bei Übergewichtigen als Lifestyle-Medikament zum Abnehmen eingesetzt. In sogenanntem Off-Label-Use: Patienten müssten dann für den Effekt der Abnehm-Arznei mehr Wirkstoff spritzen, sagte Petersenn. Die Kosten könnten sich je nach verabreichter Dosis auf 80 bis rund 200 Euro pro Woche belaufen.

«Eines der Probleme dabei ist, dass eine Lifestyle-Anwendung nicht untersucht ist», sagt Petersenn. «Es ist unklar, ob ein übergewichtiger Patient, der aber nicht adipös ist, überhaupt Gewicht verliert.» Auch Nebenwirkungen wie Übelkeit und Durchfall seien möglich. Generell solle die Anwendung eingebettet sein in ein Gesamt-Therapiekonzept mit Ernährung und Sport unter ärztlicher Überwachung. Eine weitere Befürchtung ist eine erschwerte Versorgung von Menschen mit Diabetes durch hohe Nachfrage von Gesunden, die nur etwas abnehmen wollen.

Selbst für Menschen, die unter die Zulassungskriterien fallen, bedeuten die Spritzen nicht automatisch dauerhaftes Normalgewicht. Das Medikament könne nur solange wirken, wie man es einnimmt, betonte Petersenn. «Es ist keine Wunderwaffe und ändert nichts an genetischen Faktoren oder dem Lebensstil.» Wer Adipositas habe, müsse also entweder eine Einnahme auf Jahre einkalkulieren - oder «erhebliche Disziplin» nach dem Absetzen aufbringen, um das Gewicht zu halten. Etwaige Effekte einer Langzeiteinnahme seien jedoch unerforscht. Für manche Betroffene könnten Medikamente aus Petersenns Sicht in Zukunft aber eine Magen-OP hinfällig machen, was bislang bei massiver Adipositas und erheblichen Begleiterkrankungen bewährt ist.

Die Abnehm-Spritzen sind bislang zudem auch noch eine Frage des Geldbeutels. Die Kosten würden nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, bemängeln Fachleute. «Die neuen Wirkstoffe könnten zu Gamechangern in der Behandlung von Adipositas werden, wenn der Gesetzgeber den Weg dafür freimacht», sagte Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. Dass Menschen mit starkem Übergewicht ihre Behandlung aus eigener Tasche bezahlen sollen, wertet er als «Ausdruck der allgegenwärtigen Stigmatisierung der Betroffenen».

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