Ein neues Peptidsystem für den zielgenauen Molekültransport in lebende Säugetierzellen

19.07.2022 - Deutschland

Ein neuartiges, an den Universitäten Bayreuth und Bristol entwickeltes Peptid eignet sich hervorragend zum zielgenauen Transport von Molekülen, beispielsweise von Wirk- und Farbstoffen, in die Zellen von Säugetieren. Das Peptid zeichnet sich durch eine Doppelfunktion aus: Es kann von außen in die Zelle eindringen und hier mit einem Partnerpeptid interagieren. Das Partnerpeptid wird zuvor im Zellinneren exakt dort platziert, wo die transportierten Moleküle wirksam werden sollen. Das in der Zeitschrift „Nature Chemical Biology“ vorgestellte Transportsystem zeigt beispielhaft die vielversprechenden Potenziale eines de-novo-Designs von Peptiden und Proteinen.

UBT / C. Wißler

Das Bayreuther Autorenteam: Prof. Dr. Birte Höcker, Sooruban Shanmugaratnam und Dr. Guto Rhys (v.l.).

Biomedizin und Pharmakologie haben in den letzten Jahren eine Vielzahl von Wirkstoffen entwickelt, die imstande sind, Prozesse in Säugetierzellen auszulösen, zu steigern oder zu hemmen. Diese Substanzen genau dorthin zu transportieren, wo sie ihre Wirkung entfalten sollen, ist jedoch in vielen Fällen noch eine Herausforderung. Ähnlich verhält es sich, wenn es darum geht, bestimmte Strukturen im Zellinneren zu Forschungs- oder Diagnosezwecken farblich zu markieren. Zwar besitzen Säugetierzellen die Fähigkeit, sich fremde Substanzen durch Endozytose einzuverleiben. Doch damit ist ein Transport an den gewünschten Wirkungsort keineswegs gewährleistet. Ein neuer Forschungsansatz, den die Bayreuther Biochemikerin Prof. Dr. Birte Höcker mit ihrer Arbeitsgruppe verfolgt, ist der gezielte, auf aktuellen Erkenntnissen der Proteinforschung basierende Entwurf (engl. „rational design“) von Peptiden. Diese sollen von außen ins Zellinnere eindringen und angehängte Wirkstoff- oder Farbstoffmoleküle dorthin mitnehmen können. Peptide, die sich hierfür eignen, sind klein: Sie bestehen in der Regel aus weniger als 30 Aminosäuren.

Bisher stellte sich allerdings das Problem, dass solche Peptide – eben wegen ihrer Einfachheit und geringen Größe – nicht viele Anwendungsmöglichkeiten bieten. Denn in den vielfältigen Strukturen des Zellinneren gibt es nur wenige Bereiche, wo sie andocken und die von ihnen transportierten Moleküle abliefern können. Dieser Nachteil wird durch das in Bayreuth und Bristol entwickelte Peptid überwunden. Es handelt sich um ein basisches Peptid mit einem hohen Anteil an Arginin-Aminosäuren, und es besitzt zwei für seine Funktionalität wesentliche Komponenten: Die eine ermöglicht dem Peptid das Eindringen ins Zellinnere, die andere ist in der Lage, mit einem sauren Partnerpeptid zu interagieren. Dieses Partnerpeptid ist so beschaffen, dass es mit etablierten biochemischen Verfahren an sehr verschiedenen Orten im Zellinneren platziert werden kann. Sobald Proteine, größere Molekülkomplexe oder Organellen mit dem Partnerpeptid markiert worden sind, können sie von dem in die Zelle eingedrungenen basischen Peptid angesteuert werden. Wie der Schlüssel ins Schloss, passt das basische ins saure Peptid. Die gezielte Platzierung des sauren Partnerpeptids geschieht dadurch, dass es mit Molekülen gekoppelt wird, die ihrerseits durch Transfektion in die DNA der Zelle eingeschleust werden.

Das deutsch-britische Forschungsteam hat die beiden bisher unbekannten Peptide mit Verfahren des computergestützten Proteindesigns de novo konzipiert. Grundlage für diese Arbeiten waren Peptide mit der Struktur gewickelter Spulen (coiled coils), die in einer Strukturdatenbank beschrieben waren. Die am Rechner entworfenen Peptide wurden anschließend im Labor synthetisiert. Hier kamen biophysikalische Methoden und die Röntgenkristallographie zum Einsatz, um die realen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Peptide zu identifizieren. Bei Experimenten mit E. Coli-Bakterien und eukaryontischen Zellen stellte sich heraus, dass sich das neue Peptidsystem sogar für den Transport anderer Peptide und Proteine eignet.

„Unsere Untersuchungen zeigen beispielhaft, wie das computergestützte Design von Peptiden und Proteinen, die anschließende Synthese und Charakterisierung im Labor sowie die Erprobung in lebenden Zellen ineinandergreifen können, wenn innovative Lösungen für biochemische oder biomedizinische Fragen gesucht werden“, sagt Prof. Dr. Birte Höcker, Leiterin der Arbeitsgruppe für Proteindesign an der Universität Bayreuth und korrespondierende Autorin der neuen Studie. „Das neue Peptidsystem macht deutlich, dass das de-novo-Design ein vielversprechender Forschungsansatz bei der Suche nach Verfahren ist, die es ermöglichen, Wirkstoff- oder Farbstoffmoleküle zielgenau und schonend in die Zellen von Säugetieren einzuschleusen“, ergänzt Dr. Guto Rhys, Postdoc am Lehrstuhl für Proteindesign und einer der drei Erstautoren.

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