Abschalten hilft: Pentagone verleiht Flügel
Egal, ob es sich um unsere Hand oder den evolutionär so weit entfernten Insektenflügel handelt: Um aus vielen Zellen ein Organ zu machen, müssen Zellen wissen, wo sie sich während der Entwicklung des noch wachsenden Organs befinden. Zellen entscheiden aufgrund dieser Information, ob sie zum Beispiel später einmal Teil des Daumens oder des kleinen Fingers werden. Seit längerem ist bekannt, dass Positionsinformation sowie Wachstumsstimuli durch im Gewebe vorhandene Signalmoleküle, so genannte Morphogene, vermittelt werden – echte Tausendsassas, die immer wieder während der Entwicklung eingesetzt werden. Sie werden nur von einer kleinen Gruppe der Zellen produziert und besitzen die Fähigkeit, sich in der Form eines Konzentrationsgradienten im Gewebe auszubreiten.
Als Signalmoleküle können sie hierdurch Gene selbst in weit entfernt liegenden Zellen an- oder ausschalten. Hierbei ist entscheidend, dass Morphogene in der Lage sind, in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Konzentration die Aktivität von unterschiedlichen Genen zu regulieren. Somit werden durch ihr Wirken während der Entwicklung regional verschiedene Genprodukte hergestellt, die entscheiden, welcher Teil eines Organs entsteht.
Morphogene müssen dabei die Aufgabe meistern, sich einerseits im Gewebe fortzubewegen, andererseits aber ihrer Rolle als Signalmoleküle gerecht zu werden. Letzteres wird durch das Binden an Rezeptoren realisiert, was das An- oder Ausschalten von Genen bewirkt. Da sich an Rezeptoren gebundene Morphogene nicht mehr ausbreiten können, muss es Mechanismen geben, die der Rezeptorbindung entgegenwirken, jedoch hinreichend dosiert sind, um die Signalgebung nicht völlig zu unterbinden.
Ein solcher Mechanismus wurde nun von Mitarbeitern um Dr. Georgios Pyrowolakis aus dem Institut für Biologie I durch Studien in der Fruchtfliege Drosophila melanogaster aufgedeckt. Die Ergebnisse sind in „Nature Cell Biology“ unter dem Titel „Control of Dpp Morphogen signalling by a secreted feedback regulator“ veröffentlicht. Neben Dr. Robin Vuilleumier, Alexander Springhorn, Stefanie Koidl und Dr. Giorgos Pyrowolakis aus der Biologie I der Universität Freiburg, sind auch Prof. Dr. Markus Affolter vom Biozentrum Basel, sowie Prof. Dr. Matthias Hammerschmidt und Dr. Lucy Patterson von der Universität Köln an der Studie beteiligt.
Experimente wurden im Flügelvorläufer der Fruchtfliege durchgeführt, in dem das Morphogen mit dem Namen „Dpp“ wirksam ist. Die Forscher entdeckten nun das extrazelluläre Protein Pentagone, das Dpp hilft, sich auszubreiten und die Balance zwischen Mobilität und Rezeptorbindung aufrechtzuerhalten. Fehlt Pentagone, bleibt Dpp nahe dem Ort seiner Produktion stecken und wird hier verstärkt der Signalgebung zugeführt. Dies führt zu fehlerhaftem Wachstum sowie zum Verlust von Organbestandteilen.
Interessanterweise wird das für Pentagone kodierende Gen direkt durch die Signalgebung von Dpp abgeschaltet. Pentagone wird somit nur in Zellen produziert, die weit vom Produktionsort von Dpp entfernt liegen. Von hier aus breitet es sich in Richtung der Dpp-Quelle aus und verleiht Dpp durch Wechselwirkung mit der extrazellulären Matrix Mobilität. Wie die Autoren durch Experimente zeigen, ist die negative Regulation des Pentagone-Gens für die korrekte Ausformung des Dpp-Gradienten essentiell. Wird die Pentagone-Synthese von der Dpp-Signalgebung entkoppelt, also in andere Regionen des Flügelvorläufers verlegt, führt dies zu disproportionierten Flügeln.
Dpp schaltet also das ab, was ihm hilft, mobil zu sein und über lange Distanzen zu wirken? Diese Taktik könnte der Schlüssel für die Robustheit eines Gradienten sein, der in der Lage sein muss, im Verlauf der Organentwicklung etwaigen Schwankungen in der Morphogenproduktionsrate oder Mobilität entgegenzuwirken. Zu viel Dpp würde zu weniger Pentagone und somit zu verringerter Mobilität des Morphogens führen. Ein Dpp-Mangel hingegen würde verstärkte Pentagone-Produktion nach sich ziehen und durch die daraus resultierende erhöhte Dpp-Mobilität kompensiert werden. Somit wären Zellen mit einem System ausgestattet, das ihnen erlaubt, beständig die Form des Morphogengradienten zu überwachen und Abweichungen zu korrigieren. Erste Hinweise deuten auf eine evolutionäre Konservierung dieses Systems hin.
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