Hoffnungsträger gegen Krebs: Sie bauen Proteine, welche die Natur nicht kennt
Basler Biotech-Start-up hat Grosses vor: Es möchte das Protein-Engineering in ein neues Zeitalter führen
ETH Zürich / Stefan Weiss
Jeffrey Bodes lange und kühne Reise begann bei einem Feierabendbier in Tokio. Ein befreundeter Biologe sagte zum damaligen Postdoktoranden: «Ihr Chemiker sagt, dass ihr alles selber herstellen könnt. Aber wenn ich ein Protein möchte, muss ich immer ein Bakterium darum bitten.» 20 Jahre später ist Bode Professor für synthetische Chemie an der ETH Zürich. Fragt man ihn, was ihn geprägt hat, dann erzählt er von ebendiesem Erlebnis in Japan. «Ich stellte fest, dass die Möglichkeiten der Chemie begrenzt sind.» Er beschloss, daran etwas zu ändern. «Ich wollte die Grenzen der chemischen Synthese überschreiten und natürliche Proteine verbessern.»
Bode startete ein Projekt, das ihn bis heute und noch weit in die Zukunft beschäftigen sollte: eine neue Technologie zur Herstellung von Proteinen. Nun steht er nach zwei Jahrzehnten Forschung kurz davor, sich einen Traum zu erfüllen, der nur sehr wenigen Chemikern vergönnt ist: dabei zu sein, wenn ein von ihm und seinem Team hergestelltes Molekül den Weg in die Klinik findet – als aussichtsreicher Kandidat für einen Wirkstoff zur Behandlung von Krebs.
Flexible Technologie-Plattform
Doch von vorne. Vor drei Jahren gründete Bode zusammen mit seinem langjährigen Teammitglied Vijaya Pattabiraman das Startup «Bright Peak Therapeutics». Möglich machte es eine Anschubfinanzierung der Investitionsfirma Versant Ventures, die auch Expertise in Biologie und Businessentwicklung einbrachte. Aufgrund der vielversprechenden Fortschritte nach der Startfinanzierung investierte Versant 35 Millionen Franken. Heute arbeiten rund 15 Forscher in Labors in Basel für Bright Peak; zudem hat die Firma auch einen Sitz in San Diego. Nun konnte die junge Firma kürzlich vermelden, dass sie eine Serie-B-Finanzierung von 107 Millionen US-Dollar zugesprochen erhielt. Damit will sie in Basel weiter expandieren und die klinische Forschung ausbauen.
Das Basler Biotech-Unternehmen hat Grosses vor: Es möchte das Protein-Engineering in ein neues Zeitalter führen. Natürliche Proteine werden dazu mittels chemischer Synthese von Grund auf so neu zusammengesetzt, dass sie sich besser als therapeutische Wirkstoffe eignen. Ziel ist die Entwicklung von Medikamenten.
Die Basis bildet eine Technologie-Plattform, die Bode und sein Team an der ETH Zürich über Jahre hinweg aufgebaut haben. Diese Plattform ermöglicht es, Proteine beliebig zu verändern. Im Gegensatz zu anderen biotechnologischen Verfahren sind die Eingriffe bei der neuen Methode nicht limitiert. «Wir können Moleküle so oft verändern wie nötig: einmal, fünfmal oder auch hundert Mal», sagt Bode. «Es ist möglich, jedes einzelne Atom anzupassen.» Möglich wird dies durch ein von Bode entdecktes Verfahren zur Synthese von Peptiden, also verbundenen Aminosäuren: die sogenannte KAHA-Ligation.
Hoffnungsträger gegen Krebs
Die Möglichkeiten mit der neuen Technologie sind praktisch grenzenlos. Zunächst fokussiert sich Bright Peak auf sogenannte Zytokine. Das sind Proteine, die das Wachstum und die Differenzierung der Zellen regulieren. «Zytokine sind sehr potent und führen im Gegensatz etwa zu Antibiotika meist mehrere biologische Aktivitäten gleichzeitig aus», erklärt Bode. Mit Hilfe der synthetischen Chemie bringt sie Bright Peak dazu, sich nur auf eine Aufgabe zu konzentrieren, was sie zu vielversprechenden Kandidaten in der Krebsimmuntherapie macht.
Drei Jahre nach dem Start kann Bright Peak erste Erfolge vorweisen. Mehrere selbst designte Moleküle haben das Potenzial, zu neuen Wirkstoffen zu werden – allen voran eine modifizierte Version des Zytokins Interleukin-2 (IL-2). «Bei diesem neuen Molekül ist geplant, in den nächsten ein, zwei Jahren mit klinischen Studien zu starten», so Bode. Das Protein befindet sich inzwischen in der Massenproduktion, was für die Forschenden ein grosser Erfolg ist. «Noch nie wurde ein solch ausgeklügeltes Molekül in Massenproduktion hergestellt», sagt Vijaya Pattabiraman, Senior Vice-President und Technologiechef von Bright Peak. «Über 300 chemische Schritte sind dafür notwendig.»
Die Intuition des Forschers
Die Zeichen stehen also gut, dass in einigen Jahren tatsächlich ein Medikament auf den Markt kommt, das seinen Ursprung in den Labors von Bright Peak hat. Der Weg vom Labor in die Klinik sei aber nicht nur lange, sondern manchmal auch beschwerlich, führt Bode aus. Im Jahr 2012 hätte man das Projekt gar beinahe aufgegeben. «Damals fanden wir schlicht keinen Weg, um einzelne Peptide mit unserer Methode zu grösseren Strukturen zu vereinen. Immer wenn wir es versuchten, fielen die zentralen chemischen Reaktionspartner auseinander.»
Schliesslich fand ein Mitarbeiter den stabilen Baustein, der schliesslich zum Erfolg führte. Er hatte mit einem Molekül experimentiert, dem er ein einziges Kohlenstoffatom hinzufügte. «Ein einziges Atom kann das Verhalten eines Moleküls komplett verändern», erklärt Bode. «Das ist das Faszinierende, gleichzeitig manchmal aber auch Frustrierende an unserem Beruf.» Es braucht manchmal also auch Glück, damit der Durchbruch gelingt. Oder Intuition. So nennt es Bodes Forscherkollege Pattabiraman: «Du hast ein Gefühl, dass etwas funktionieren sollte. Voraussagen lässt sich aber nichts. Dann gehst du ins Labor. Du scheiterst und scheiterst und scheiterst. Bis es eines Tages doch klappt.»
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