Deutschland und andere sichern sich 300 Millionen Corona-Impfdosen für EU
Was weiß man über den Wirkstoff?
(dpa) Lockdown, Schutzmasken, Abstand halten: Um die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zu beenden, hoffen Menschen weltweit auf einen Impfstoff. Nun haben Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande mit einem Hersteller einen Vertrag über mindestens 300 Millionen Impfdosen gegen das Coronavirus geschlossen, wie das Bundesgesundheitsministerium am Samstag in Berlin mitteilte. Die Entwicklung eines Impfstoffs könnte im günstigen Fall schon Ende des Jahres abgeschlossen sein, hieß es aus dem Ministerium.
Caniceus, pixabay.com, CC0
Profitieren sollen demnach alle EU-Staaten, die dabei sein wollen. Die Impfdosen würden relativ zur Bevölkerungsgröße aufgeteilt. Der Vertragspartner AstraZeneca nannte sogar eine Größenordnung von «bis zu 400 Millionen Dosen». Das Pharmaunternehmen hatte nach eigenen Angaben zuvor schon ähnliche Vereinbarungen unter anderem mit Großbritannien, den USA und Indien über insgesamt 1,7 Milliarden Impfdosen abgeschlossen.
Dabei geht es um den an der britischen Universität Oxford entwickelten Covid-19-Impfstoff AZD1222. Der beruht auf einer abgeschwächten Version eines Erkältungsvirus von Schimpansen. Es enthält genetisches Material eines Oberflächenproteins, mit dem das Virus Sars-CoV-2 an menschliche Zellen andockt. Die Impfung soll das Immunsystem auf Trab bringen, damit es den Erreger im Falle einer Infektion unschädlich machen kann. In den kommenden Monaten soll der Impfstoff in einer Studie, die im Mai begonnen hat, an insgesamt gut 10.000 Erwachsenen geprüft werden.
«Dieses Projekt ist momentan am weitesten fortgeschritten», sagt der Leiter des Instituts für Virologie der Universität Marburg, Stephan Becker, der selbst einen ähnlichen Impfstoff erforscht. «Die bisherigen Daten zeigen, dass AZD1222 eine Immunantwort auslöst. Ob der Impfstoff tatsächlich vor Sars-CoV-2 schützt, kann man noch nicht genau sagen.»
«Viele Länder der Welt haben sich schon Impfstoffe gesichert, Europa noch nicht», erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Samstag zum Vertragsabschluss. «Durch das zügige koordinierte Agieren einer Gruppe von Mitgliedsstaaten entsteht in dieser Krise Mehrwert für alle EU-Bürger.»
Der italienische Gesundheitsminister Roberto Speranza betonte, der Versuchsprozess sei in einem «fortgeschrittenen Stadium» und werde im Herbst abgeschlossen. Dann könne bis Ende des Jahres mit der Verteilung der ersten Tranche begonnen werden. «Der Impfstoff ist die einzige endgültige Lösung für Covid-19», schrieb er auf Facebook.
Die vier EU-Staaten haben sich laut Bundesgesundheitsministerium zu einer Impfallianz zusammengeschlossen und sind mit mehreren Unternehmen im Gespräch, die an Impfstoffen forschen. «Damit Impfstoffe sehr zügig nach einer möglichen Zulassung in diesem oder im nächsten Jahr in großer Zahl verfügbar sind, müssen Produktionskapazitäten schon jetzt vertraglich gesichert werden», hieß es.
Weltweit gab es nach Angaben des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa) vom Mai mehr als 120 Impfstoff-Projekte, von kleinen Firmen wie Biontech aus Mainz oder Curevac in Tübingen bis zu Konzernen wie Sanofi und GlaxoSmithKline. Doch wann eine Impfung zugelassen wird, weiß derzeit niemand.
Noch vor kurzem wurden für die Entwicklung solcher Wirkstoffe Zeiträume von vielen Jahren veranschlagt. Neue Technologien und Vorgehensweisen können den Prozess beschleunigen: So bereitet etwa AstraZeneca schon jetzt die Massenproduktion des Präparats vor. «Man muss möglichst viele Prozesse parallelisieren, damit ein Impfstoff möglichst schnell verfügbar ist», sagt der Marburger Virologe Becker.
Wie lange die britische Studie braucht, um belastbare Resultate zu erbringen, hängt auch vom Verlauf der Pandemie ab: «Wenn die Übertragungsrate hoch bleibt, könnten wir in einigen Monaten genug Daten haben, um zu beurteilen, ob die Impfung funktioniert», schrieb die Universität Oxford. «Aber wenn die Übertragung abfällt, könnte dies bis zu sechs Monate dauern.»
Daher würden in der Studie vor allem Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko wie etwa Mitarbeiter im Gesundheitswesen getestet. Möglicherweise, so der Experte Becker, sei es sinnvoll, Teile der Studie in Regionen auszulagern, in denen die Epidemie noch akut sei.
Und wenn die Impfung doch nicht schützt oder andere Hersteller schneller sind? Die Uni Oxford räumt ein, dass ein beträchtlicher Teil der Impfstoffe in klinischen Studien scheitert. Dafür, so das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage, gebe es Vertragsklauseln.
Auf jeden Fall, sagt der Virologe Becker, sollten Staaten mehrere Impfstoff-Projekte im Auge behalten: «Es macht Sinn, seine Eier nicht nur in ein Nest zu legen.»