Lässt sich der Verlauf von COVID-19 anhand des Blutes vorhersagen?
Studie entdeckt Unterschiede im Blut schwer und leicht Erkrankter
Arne Sattler/Charité
Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2. Während bei einigen Patienten keine Symptome auftreten, verläuft die Erkrankung in anderen Fällen schwerwiegender und zum Teil tödlich. Es besteht deshalb ein dringender Bedarf nach biologischen Merkmalen – den sogenannten Biomarkern –, die eine zuverlässige Vorhersage des Erkrankungsverlaufs und eine genaue Bestimmung des Schweregrads erlauben. Für die Suche nach geeigneten Biomarkern nutzte eine Forschungsgruppe unter Leitung von Prof. Dr. Markus Ralser, Direktor des Instituts für Biochemie der Charité und Einstein-Professor, nun modernste Analysemethoden, um die Menge verschiedener Proteine im Blutplasma in großer Geschwindigkeit zu bestimmen. Mit diesem Ansatz gelang es den Wissenschaftlern, eine größere Zahl von Protein-Biomarkern im Blutplasma von COVID-19-Patienten zu erkennen, die mit der Schwere der Erkrankung zusammenhingen.
Für ihre Analyse entwickelten die Forscher eine Massenspektrometrie-Plattform zur Hochdurchsatz-Analyse, mit der das Proteom – also die Gesamtheit aller vorhandenen Proteine – von 180 Proben pro Tag sehr präzise gemessen werden kann. Mit dieser Technologie untersuchte das Team das Blutplasma von 31 Frauen und Männern mit unterschiedlich stark ausgeprägten COVID-19-Symptomen, die an der Charité behandelt wurden. So konnten die Forscher 27 Proteine identifizieren, deren Konzentration im Blut abhängig von der Schwere des Krankheitsverlaufs erhöht oder verringert war. Diese molekularen Signaturen validierten sie dann bei einer Gruppe von 17 COVID-19-Patienten und 15 gesunden Probanden. Dabei zeigte sich, dass die Protein-Signaturen den Schweregrad der Erkrankung – gemäß den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation – bei den Patienten korrekt beschrieben.
„Diese Ergebnisse legen die Basis für zweierlei Anwendungsmöglichkeiten: Zum einen könnte unsere Methode in Zukunft zur Vorhersage der Krankheitsprognose genutzt werden“, erklärt Prof. Ralser, der auch Gruppenleiter am Francis Crick Institute in London ist. „Sie soll also behandelnden Medizinern ermöglichen, anhand einer frühen Blutuntersuchung abschätzen zu können, ob ein COVID-19-Patient schwere Symptome entwickeln wird oder nicht. Und das kann potenziell Leben retten: Je früher Ärztinnen und Ärzte wissen, welche Patienten intensive medizinische Behandlung benötigen, desto schneller können sie die verfügbaren Therapiemöglichkeiten ausschöpfen.“ Um diesem Ziel näher zu kommen, werden die Wissenschaftler nun untersuchen, wie sich die Signaturen der Biomarker über den zeitlichen Verlauf der Krankheit verändern.
„Zum anderen liegt die Nutzung unserer Technologie als diagnostischer Test nahe, der im Krankenhaus Klarheit über den Zustand des Patienten gibt – unabhängig davon, wie der Kranke selbst seine Verfassung beschreibt“, ergänzt der Biochemiker. „Unter Umständen scheinen die Symptome des Patienten nämlich besser, als sein Gesundheitszustand eigentlich ist – da kann eine objektive Einschätzung per Biomarker-Profil sehr wertvoll sein“. Das Forschungsteam wird das Verfahren nun an einer größeren Anzahl von Patienten prüfen, um weiter auf einen solchen diagnostischen Test hinzuarbeiten.
Die Veränderungen im Protein-Profil
Unter den 27 Proteinen, die den Schweregrad einer COVID-19-Erkrankung anzeigen, fanden sich einige, die bisher nicht mit einer Immunantwort in Verbindung gebracht worden waren. Zu den identifizierten Biomarkern gehörten aber beispielsweise auch Gerinnungsfaktoren und Entzündungsregulatoren. Einige dieser Proteine wirken auf molekularer Ebene auf das entzündungsfördernde Interleukin 6 ein, das ersten Studien zufolge mit schweren COVID-19-Symptomen zusammenhängt. Eine Reihe der jetzt identifizierten Biomarker könnten daher geeignete Angriffspunkte für neue Therapien darstellen.
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