Was bei Stress im Hirn abläuft

26.07.2019 - Schweiz

Forschende der ETH Zürich zeigen erstmals, dass eine gezielte Ausschüttung des Stress-Botenstoffs Noradrenalin die Kommuni­kation zwischen grossflächigen Netzwerken im Gehirn reorganisiert. Ihre Ergebnisse geben Einblicke in die neuronalen Prozesse, die im Gehirn bei akuten Stresssituationen automatisch ablaufen.

In akuten Stressmomenten – zum Beispiel in einer lebensgefährlichen Situation im Strassenverkehr - muss unser Gehirn blitzschnell reagieren. Es richtet die Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Umgebungsreize, um in Sekundenbruchteilen lebenswichtige Entscheidungen zu treffen. Um dies zu bewerkstelligen, müssen verschiedene Hirnareale optimal miteinander kommunizieren und sogenannte funktionelle Netzwerke bilden.

Wie das Gehirn solche raschen Prozesse steuert, war bisher unklar. Versuche in Menschen deuteten auf eine Beteiligung des Botenstoffs Noradrenalin hin, der bei Stress in erster Linie im Gehirn ausgeschüttet wird. Dies am Menschen detailliert zu untersuchen, ist allerdings nicht direkt möglich.

Locus coeruleus anregen

Um dieses schwierige Rätsel zu knacken, schlossen sich zwei Forscher­teams der ETH Zürich zusammen, die Gruppen von Johannes Bohacek und Nicole Wenderoth. In Tierversuchen gelang es den Forschenden erstmals nachzuweisen, dass eine Noradrenalin-Ausschüttung alleine ausreicht, um unterschiedliche Gebiete des Gehirns sehr schnell miteinander zu vernetzen. Um dies zu untersuchen, regten die Wissenschaftler mit modernsten genetischen Tricks ein winziges Zentrum im Gehirn der Mäuse, den Locus Coeruleus, an. Dieser versorgt das gesamte Gehirn mit Noradrenalin.

Während dieser Aktivierung des Locus Coeruleus zeichneten die ETH-Forschenden in Echtzeit die Gehirnaktivität der betäubten Tiere mit einem Magnetresonanztomographen (MRT) auf.

Die Resultate haben die Wissenschaftler verblüfft: Die Netzwerke in Mäusehirnen, in denen die Noradrenalin-Ausschüttung selektiv aktiviert wurde, ähnelten stark denjenigen von Menschen, die akuten Stressreizen ausgesetzt wurden. Am stärksten stieg die Aktivierung jener Netzwerke, die sensorische Aufmerksamkeitsreize verarbeiten, wie etwa das Seh- und Hörzentrum des Gehirns. Ebenfalls stark aktiviert wurde ein Netzwerk rund um die Amygdala, welches mit Angstzuständen in Verbindung gebracht wird.

Unglaublich starker Effekt

Valerio Zerbi, Erstautor der veröffentlichten Studie und Experte für bildgebende Verfahren in Mäusen staunte: «Ich konnte es kaum glauben, dass derart starke Effekte aufgetreten sind.» Die Forscher konnten ausserdem aufzeigen, dass Hirnareale, die besonders stark auf die stressähnliche Noradrenalin-Ausschüttung reagieren, auch eine hohe Anzahl entsprechender Rezeptoren haben, um Noradrenalin zu erkennen.

«Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass moderne bildgebende Verfahren im Tiermodell Zusammenhänge aufdecken können, die es uns erlauben, fundamentale Hirnfunktionen beim Menschen zu verstehen», sagt Bohacek. Die Forscher hoffen, ähnliche Analysen in der Klinik zur Anwendung zu bringen, um krankhafte Hyperaktivität des Noradrenalin-Systems zu diagnostizieren, welche mit Angst und Panikstörungen in Verbindung steht.

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