Wer bin ich? Wie Zellen zu ihrer Identität kommen
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Der Ursprung jeder Zelle unseres Körpers ist eine einzige Zelle, die befruchtete Eizelle. Auf dem Weg zur spezialisierten Körperzelle, sei es Blut-, Herz- oder Nervenzelle, durchlaufen ihre Nachfahren ein genetisches Programm. Dieses bestimmt die Identität einer Zelle, ihre Merkmale und Funktion.
Das Forschungsteam von Alex Schier, Direktor des Biozentrums der Universität Basel und derzeit noch Forschungsgruppenleiter an der Harvard University in Cambridge (USA), entwickelte nun eine Methode, mit der sich erstmals die gesamte Entwicklungsgeschichte einzelner Zellen nachvollziehen lässt. Fügt man die Gesamtheit aller Werdegänge der Zellen zu einem grossen Ganzen zusammen, so lässt sich daraus ein vollumfänglicher Baum zur Zellentwicklung konstruieren. Zudem fand das Team heraus, dass Zellen im Laufe ihrer Spezialisierung einen bereits eingeschlagenen Weg wieder verlassen und sie damit ihre Identität noch einmal ändern können.
Ein weit verzweigter Baum zur Zellentwicklung
Das Forschungsteam hat in seiner Studie rund 40'000 Zellen und 25 verschiedene Zelltypen im Zebrafisch über einen Zeitraum von neun Stunden hinweg untersucht und die RNA, eine Kopie des Erbmaterials dieser Zellen, genauer analysiert. «Die RNA zeigt uns, welche Gene aktiv sind, und bestimmt Funktion und Merkmale der Zelle», so Schier.
Um die Daten zusammenführen und miteinander vergleichen zu können, entwickelte Schiers Team eine neue Software (URD). Während sich bisherige Studien auf diesem Gebiet auf die Untersuchung einer Handvoll Gene stützen, ermöglicht diese neue Hochdurchsatz-Einzelzell-RNA-Sequenzierung eine Analyse der Gesamtheit aller aktiven Gene während der Zellentwicklung. Mit dieser neuen Technologie konnte das Team nun zum ersten Mal einen weit verzweigten Baum rekonstruieren, der die Entwicklung jeder einzelnen Zelle, angefangen von der befruchteten Eizelle, nachzeichnet. Auch räumlich lässt sich nachvollziehen, wohin sich die Zellen im Lauf ihrer Entwicklung hinbewegen.
Identitätsfindung von Zellen flexibler als gedacht
Die Ergebnisse zeigten, dass das genetische Programm, das eine Zelle auf ihrem Weg zur reifen Zelle durchläuft, keinesfalls in Stein gemeisselt ist. «Es sieht so aus, als ob der Entwicklungsweg einer Zelle flexibler ist, als wir bislang angenommen hatten», so Alex Schier. Bislang ging man davon aus, dass sich die Entwicklung der Zellen wie Murmeln verhalten, die geradlinig einen Hang hinab ihren jeweils vorbestimmten Weg ins Tal rollen bis sie an ihrem Bestimmungsort liegen bleiben. Die Ergebnisse der Studie geben nun Hinweise, dass Signale aus der Nachbarschaft so starken Einfluss auf die Zellen haben, dass diese ihre Bahn ins Tal verlassen, in eine andere Spur wechseln und eine neue Identität annehmen können.
Gesamtentwicklung als zellulärer Stammbaum
In einem nächsten Schritt möchte die Forschungsgruppe den Stammbaum der Zellen erweitern, weitere Zelltypen untersuchen und die Zellentwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgen. «Mein Ziel ist es, die Entwicklungswege und Stammbäume zu einem grossen Ganzen zusammenzufügen», so Schier. «Wenn wir die Logik der Zelldifferenzierung erkennen, können wir vielleicht irgendwann die Frage beantworten: Wie viele Wege gibt es, ein Herz oder ein Gehirn zu bauen?»
Originalveröffentlichung
Jeffrey A. Farrell, Yiqun Wang, Samantha J. Riesenfeld, Karthik Shekhar, Aviv Regev and Alexander F. Schier; "Single-cell reconstruction of developmental trajectories during zebrafish embryogenesis"; Science; 2018