Zwei auf einen Streich - wie Zellen sich vor Krebs schützen
Neue Erkenntnisse von MDC- und Charité-Forschern
Seit einiger Zeit wissen Forscher, dass krebsauslösende Gene (Onkogene) im Frühstadium der Entstehung einer Krebserkrankung paradoxerweise selbst diese Zellschutzprogramme aktivieren können. Das erklärt möglicherweise, weshalb manche Tumore Jahrzehnte brauchen, bis sie zum Ausbruch kommen. Das Krebsgen Myc löst den programmierten Zelltod oder Apoptose (griech.: fallende Blätter) aus. Das ist ein seit langem bekanntes Schutzprogramm, bei dem sich eine geschädigte Zelle umbringt, und damit den Körper als Ganzes vor Schaden bewahrt. Mit einer Chemotherapie aktivieren Ärzte dieses Schutzprogramm bei einer Krebsbehandlung.
Das zweite Sicherungsprogramm ist die Seneszens (lat.: senex für Alter, Greis). Es wird von einem anderen Krebsgen, dem ras-Onkogen, angeschaltet. Dieses Programm hält den Zellzyklus an, die Zelle kann sich nicht mehr teilen, lebt aber im Gegensatz zur Apoptose weiter und ist noch Stoffwechsel-aktiv. Prof. Schmitt, der in der Charité als Kliniker tätig ist und am MDC eine Forschungsgruppe leitet, hatte vor wenigen Jahren im Tierversuch an Hand eines Lymphdrüsenkrebs-Modells zeigen können, dass die Seneszenz die Entwicklung bösartiger Tumoren im Frühstadium blockieren kann.
Krebsgen Myc löst Kaskade zur Aktivierung beider Schutzprogramme aus
Jetzt konnten Dr. Reimann, Dr. Soyoung Lee, Dr. Christoph Loddenkemper, Dr. Jan R. Dörr, Dr. Vedrana Tabor und Prof. Schmitt erstmals nachweisen, dass das Krebsgen Myc eine Schlüsselrolle bei der Aktivierung beider Schutzprogramme spielt und zwar ohne Anwesenheit des ras-Onkogens. "Bemerkenswert an diesem Befund ist, dass ein Onkogen zunächst Apoptose auslösen kann und mit dem Tumorstroma - das ist das Gewebe, das den Tumor umgibt und auch gesunde Zellen enthält - sowie dem Immunsystem wechselwirkt und in der Lage ist, dort Signale anzuschalten, die dann zu Tumor-Seneszenz führen", erläutert Prof. Schmitt die Forschungsarbeit.
"Grundlegende Bedeutung"
Die Kaskade läuft nach den Erkenntnissen der Forscher wie folgt ab: erst löst das Myc-Onkogen in den Lymphomzellen Apoptose aus. Die absterbenden, apoptotischen Zellen locken Fresszellen (Makrophagen) des Immunsystems an, die die abgestorbenen Lymphomzellen entsorgen. Die so aktivierten Fresszellen wiederum setzen Botenstoffe (Zytokine) frei, darunter das Zytokin TGF-beta. Es kann im Frühstadium einer Tumorerkrankung das Wachstum von Krebszellen hemmen. Die MDC- und Charité-Forscher stellten fest, dass der Botenstoff in den Tumorzellen, die der Apoptose entkommen sind, das Seneszenz-Programm anschaltet und die Krebszellen damit stilllegt.
"Unsere Ergebnisse haben vermutlich über die Lymphomerkrankungen hinaus grundlegende Bedeutung für die Krebsentstehung. Weiter zeigen sie, dass die durch Botenstoffe des Immunsystens ausgelöste Seneszenz möglicherweise ein wichtiges weiteres Wirkprinzip neben der durch Chemotherapie ausgelösten Apoptose ist."
Gegenwärtig beschäftigen sich die Forscher in der Arbeitsgruppe von Prof. Schmitt intensiv mit Chemotherapie-vermittelter Seneszenz. "Wenn wir genauer verstanden haben, ob wir Krebszellen, die wir nicht mehr abtöten können, auch durch Seneszenz-Anschaltung langfristig unter Kontrolle bringen können, ergäben sich wichtige neue Therapiemöglichkeiten", sagte Prof. Schmitt.
Originalveröffentlichung: M. Reimann et al.; "Tumor Stroma-Derived TGF-beta Limits Myc-Driven Lymphomagenesis via Suv39h1-Dependent Senescence"; Cancer Cell