microRNAs: neue Angriffspunkte für die Behandlung von Brustkrebs
Bei der Entstehung von Brustkrebs spielen bestimmte Wachstumsfaktoren (epidermaler Wachstumsfaktor, EGF) und deren spezifische Rezeptorproteine (EGF-Rezeptor) auf der Oberfläche der Krebszellen eine zentrale Rolle. Daher stehen diese wachstumsfördernden Proteine seit langem im Zentrum des Interesses der Arzneimittelentwicklung.
Seit dem Jahr 2000 ist in der Europäischen Union das Medikament Herceptin zugelassen, das sich gezielt gegen Tumorzellen richtet, die einen bestimmten Wachstumsfaktor-Rezeptor (Her2-NEU/ErbB2) verstärkt ausprägen. Herceptin blockiert die Wirkung des wachstumsfördernden Botenstoffs und hemmt so das Tumorwachstum. Jedoch wirkt das Medikament nur bei rund 30 Prozent der Tumoren, die diesen Rezeptor im Übermaß produzieren. Bei einem Teil der Patientinnen schlägt die Therapie trotz Überexpression des Rezeptors aus bisher ungeklärten Gründen gar nicht an.
Die Behandlung mit Herceptin führt oftmals zu schwerwiegenden unerwünschten Nebenwirkungen, etwa zur Schädigung des Herzmuskels, und ist zudem mit hohen Kosten verbunden. Daher wäre es wünschenswert, bereits vor Beginn einer Behandlung das Ansprechen auf Herceptin vorhersagen zu können. Darüber hinaus entwickelt die Mehrzahl der Tumoren im Verlauf der Therapie eine Resistenz gegen das Medikament. Um den betroffenen Frauen eine bessere Behandlungen anbieten zu können, ist es ist daher unerlässlich, die Regulation der Signalwege zu verstehen, über die die Wachstumsfaktoren und ihre Rezeptormoleküle den Krebszellen die Aufforderung zu Zellteilung und Wachstum übermitteln. So soll die Entstehung von Resistenzen gegen Herceptin entschlüsselt werden, um damit zu verbesserten Therapien zu gelangen.
Viele verschiedene Molekülklassen sind an der Antwort der Zelle auf äußere Signale beteiligt. Erst seit kurzem ist bekannt, dass auch microRNAs, kurze Ribonukleinsäuren (RNAs), die aus nur rund 22 Bausteinen bestehen, eine zentrale Rolle dabei spielen. Bisher wurden beim Menschen nahezu 1.000 miRNAs entdeckt. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass miRNAs sich an Genabschriften (Boten-RNAs) binden, die die Bauanleitung für neue Eiweißmoleküle tragen. Dies führt zum Abbau der Genabschriften, so dass das entsprechende Protein nicht produziert werden kann. Es wurde bereits eine ganze Reihe von miRNAs identifiziert, die das Tumorwachstum negativ oder positiv beeinflussen. Auch wurden bereits miRNAs gefunden, die gezielt Gene der Wachstumsfaktor-Familie regulieren. Einige darunter könnten sich eventuell direkt als Ansatzpunkte für Therapien anbieten. Andere miRNAs unterdrücken gezielt Signalwege, die zur Produktion bestimmter Proteine führen, die normalerweise das Zellwachstum ankurbeln. Forscher gehen davon aus, dass diese Proteine sich daher ebenfalls als Zielmoleküle für Therapien eignen könnten.
Die Wilhelm-Sander-Stiftung fördert nun ein Forschungsprojekt, das neue Erkenntnisse zur Regulation des ErbB-Signalweges durch miRNAs bei Brustkrebs zum Ziel hat. Unter der Leitung von Dr. Özgür Sahin sollen Mechanismen der Therapieresistenz gegen Herceptin untersucht werden mit dem Ziel, Wege zu finden diese Resistenz zu überkommen und dadurch den Therapieerfolg zu verbessern. Sahin und seine Gruppe wollen krebsrelevante miRNAs im ErbB-Signalling identifizieren und untersuchen, wie diese das Wachstumsverhalten der Krebszellen regulieren. So sollen neue potentielle Zielmoleküle für Therapien identifiziert werden.
Mit weltweit über einer Million Neuerkrankungen jährlich, davon über 57.000 allein in Deutschland, ist Brustkrebs die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen. Trotz der Verfügbarkeit einiger neuer Therapien ist die Sterblichkeit hoch, vor allem, wenn die Erkrankung erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt wird. Die Erforschung der molekularen Ursachen und Mechanismen des Brustkrebses ist daher eines der drängendsten Themen der Krebsforschung - die gezielte Untersuchung der Rolle der miRNAs könnte einen dringend erwarteten Fortschritt auf diesem Gebiet bedeuten.
Die Wilhelm Sander-Stiftung fördert dieses Forschungsprojekt mit über 100.000 €.