Stammzellforscher entlarven das Altern als sinnvollen Entwicklungsprozess
Arbeitsgruppe um Professor Wagner untersucht altersassoziierte Veränderungen an menschlichen Stammzellen
Das Altern des menschlichen Organismus ist unaufhaltsam. Mit dem Tag der Geburt wird der Mensch unwiderruflich älter. Aber ab wann beginnt der tatsächliche Alterungsprozess, der sich kontinuierlich und unwiderruflich fortsetzt? Das sei bei jedem Menschen unterschiedlich, erklärt Professor Wolfgang Wagner. Ab einem gewissen Alter, das jedoch bei jedem Menschen individuell ist, zeigen sich die Zeichen der Zeit beim Blick in den Spiegel deutlich: Die Haare werden grau und dünner oder fallen sogar komplett aus, die Zeichen der Zeit graben sich als Falten in die Haut. Dabei sind die äußerlich Anzeichen eher harmlos, denn mit zunehmendem Alter stellen sich sowohl körperliche als auch psychische Veränderungen ein: Die Organe funktionieren nicht mehr so gut wie in jungen Jahren, es kommt zu einer langsam fortschreitenden Verengung und Verkalkung der Arterien, die Gelenke verschleißen und die Knochen- und Muskelmasse nimmt ab, wodurch es zu Bewegungseinschränkungen kommen kann. Weitere Veränderungen, die mit dem Alterungsprozess einhergehen, betreffen das Immunsystem und die Sinnesorgane: Der Körper bildet nicht mehr so viele Immunzellen, so dass die Infektionsanfälligkeit steigt. Verständlich, dass jeder ein hohes Alter erreichen möchte, aber gleichzeitig mit den damit verbundenen Gebrechen hadert.
Warum wir altern, ist wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt. Klar ist aber, dass sich die menschlichen Zellen nicht unbegrenzt teilen können, irgendwann sind sie "erschöpft". Es liegt nah, den Begriff des "Verschleißes" heran zu ziehen. Und der Vergleich mit dem Auto, das sich mit der Zeit abnutzt, ist zunächst ebenfalls plausibel. Aber was passiert tatsächlich, wenn der Mensch altert? Jede Art von menschlichem Gewebe wird von adulten Zellen regeneriert, diese gewährleisten also zeitlebens die Erneuerung unserer Gewebe. Menschliche Zellen haben folglich ein hohes Selbsterhaltungspotenzial, wobei sie immer wieder Stammzellen hervorbringen, die das Regenerationspotenzial erhalten. Andererseits nimmt im Laufe des Lebens diese Fähigkeit zur Reparatur und Selbsterneuerung ab. Wissenschaftliche Untersuchungen nähren die Vermutung, dass Stammzellen und Alterung unmittelbar zusammenhängen. Die molekularen Zusammenhänge sind letztlich jedoch noch nicht geklärt.
Die Arbeitsgruppe um Professor Wagner untersucht altersassoziierte Veränderungen an zwei Arten menschlicher, adulter Stammzellen: Blutstammzellen (hämatopoetische Stammzellen - HSC) und mesenchymale Zellen (MSC), das sind die Vorläuferzellen für Knorpel-, Fett- und Knochengewebe. Diese Stammzellen werden aus dem Knochenmark von Spendern im Alter von 25 bis etwa 85 Jahren gewonnen. Aus den entnommenen Stammzellen werden Zellkulturen angelegt. Dabei ist zunächst ein sehr schnelles Zellwachstum zu beobachten; die Zellen teilen sich also, so dass aus einer kleinen Menge eine große Zellzahl heranwächst. Nach zwei bis drei Monaten stagniert die Teilung jedoch, die Zellen vermehren sich nicht mehr, leben aber weiter. Im Rahmen dieser Langzeit-Kultur, aber auch im Rahmen des Alterns verändert sich das Genexpressionsprofil von mesenchymalen und hämatopoetischen Stammzellen. Professor Wagner und seine Arbeitsgruppe konnten beobachten, dass die kulturbedingten Veränderungen bei jungen und alten Spendern sehr ähnlich verlaufen. Dabei werden vor allem zahlreiche Entwicklungsgene reguliert. Interessanterweise gibt es einen Zusammenhang zwischen den molekularen Veränderungen der in-vitro Kultur über zwei bis drei Monate sowie denen der jungen und alten Spender. Es konnte zudem gezeigt werden, dass bestimmte Entwicklungsgene durch Veränderungen an der DNA (DNA-Methylierung) langfristig reguliert werden.
Aus der Tatsache, dass in den Zellen während des Alterns bestimmte Entwicklungsgene gezielt modifiziert werden, schließt Wagner, dass das Altern keine rein zufällige Akkumulation von Zellschäden - also Verschleiß - ist, sondern zumindest einen Entwicklungsmechanismus beinhaltet. "Wir sehen nun, dass bestimmte Entwicklungsgene während des Alterns unterschiedlich reguliert werden, und dass dabei so genannte epigegenetische Regulationsmechanismen involviert sind, die bei der Entwicklung eine wesentliche Rolle spielen", so Wagner. "Wir wollen verstehen, warum wir nicht ewig leben. Wir wollen das Altern als Entwicklungsprozess begreifen, aber wir wollen es nicht regulieren und verändern", so der Stammzellforscher. Und vielleicht ist es für den Menschen sogar tröstlich zu wissen, dass Altern nicht ausschließlich auf Verschleißerscheinungen beruht, sondern einen Entwicklungsprozess beinhaltet, der für die menschliche Existenz und den Generationswechsel sinnvoll und notwendig ist.