Hoffnung auf "maßgeschneiderte" MS-Therapie mit Mitoxantron

Genetische Informationen ermöglichen individuelles Therapieschema

01.09.2009 - Deutschland

Potentielle schwere Nebenwirkungen neuer Immuntherapien gegen Multiple Sklerose (MS) vor Augen konzentriert sich die Forschung darauf, den Einsatz bewährter Medikamente mit bekanntem Nebenwirkungsprofil zu optimieren. Bochumer Neurologen aus der Arbeitsgruppe von PD Dr. Andrew Chan (RUB-Klinik für Neurologie, St. Josef Hospital, Direktor: Prof. Dr. Ralf Gold) verfolgen dabei einen pharmakogenetischen Ansatz: Sie konnten nachweisen, dass der genetische Bauplan bestimmter Transportproteine Rückschlüsse auf die individuelle Wirksamkeit und das Nebenwirkungsrisiko der hochwirksamen Substanz Mitoxantron zulässt. Sie hoffen, künftig anhand genetischer Informationen das optimale Therapieschema mit Mitoxantron für jeden einzelnen Patienten bestimmen zu können.

Mitoxantron: hocheffiziente Eskalationstherapie der Multiplen Sklerose

Bis zu 10% der deutschen MS-Patienten wurden laut Daten des nationalen MS-Registers der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft in den letzten Jahren mit Mitoxantron behandelt. Mitoxantron, das in mehreren Studien sehr effizient die Erkrankungsaktivität unterdrückte, wird dabei als so genannte Eskalationstherapie bei Versagen anderer Therapeutika bzw. bei besonders schweren Verläufen eingesetzt. Gegen die hohe therapeutische Effizienz der Substanz, die ursprünglich aus der Onkologie stammt, sind potentielle, teils dosisabhängige Nebenwirkungen am Herzen, in den Fortpflanzungsorganen, aber auch auf das Knochenmark abzuwägen. "Aus diesen Gründen ist die lebenslange Gesamtdosis des Mitoxantrons auf 140mg je m² Körperoberfläche begrenzt", berichtet Prof. Gold.

Hinweise für die Beteiligung von Medikamententransportern in der Effektivität

Bereits in früheren Untersuchungen aus der Arbeitsgruppe von Dr. Chan und Prof. Gold war aufgefallen, dass verschiedene Immunzellen unterschiedlich auf Mitoxantron reagieren. Hieraus ergab sich die Hypothese, dass bestimmte Medikamententransporter - Proteine, die das Mitoxantron aus der Zelle hinaus schleusen - in unterschiedlichen Zellen, aber auch bei unterschiedlichen Patienten die Wirkeffekte individuell beeinflussen. Diese Transportproteine, sog. ATP-binding-cassette- = ABC-Transporter, rückten also in den Mittelpunkt des Interesses. Die Forscher nahmen an, dass weniger leistungsstarke Transporter mit einer höheren Mitoxantronkonzentration in den Zellen und somit einer stärkeren Wirksamkeit einhergehen, und umgekehrt hochfunktionelle Transporter mit einer abgeschwächten Wirksamkeit verbunden sind.

Genetischer Bauplan der Transporter beeinflusst die Wirksamkeit

Diese Hypothese prüften sie jetzt an einer Gruppe von MS-Patienten aus ganz Europa (Kooperationen mit Kliniken in Dresden, Berg, Göttingen, Barcelona). Es zeigte sich, dass unterschiedliche genetische Baupläne von ABC-Transportern tatsächlich mit dem therapeutischen Ansprechen auf Mitoxantron zusammenhängen. In der Patientengruppe mit der genetischen Veranlagung einer niedrigen Transporteraktivität war die Wahrscheinlichkeit, positiv auf das Mitoxantron anzusprechen 3,5-mal höher als bei der Gruppe mit genetisch bedingter hoher Transporteraktivität. Die funktionellen Auswirkungen dieser Genotypen wurden zusätzlich in Zellkulturexperimenten und im Tiermodell der MS bestätigt. "Erste Daten deuten darüber hinaus auch auf einen Zusammenhang des genetischen Bauplans der Transportproteine mit Mitoxantron-Nebenwirkungen hin", sagt Dr. Chan, "zum Beispiel in vereinzelten Fällen mit Herznebenwirkungen."

Große Studie im Kompetenznetzwerk MS soll Ergebnisse bestätigen

"Diese Ergebnisse wecken die Hoffnung auf individualisierte Mitoxantron-Behandlungsschemata, beispielsweise mit abgestimmten Einzeldosierungen", kommentiert Dr. Chan. "Das könnte auch dazu führen, dass längere Gesamttherapiezeiten möglich werden, was besonders wichtig ist, weil entsprechenden Anschlusstherapien zurzeit noch nicht eindeutig etabliert sind." Vorher aber müssen die Ergebnisse der retrospektiven Studie in prospektiver Form an einer größeren Gruppe von Patienten bestätigt werden. In der entsprechenden Studie im Rahmen des deutschlandweiten Kompetenznetzwerkes MS, das vom Bundesforschungsministerium (BMBF) gefördert wird, werden zudem noch weitere potentielle pharmakogenetische Marker im Zusammenhang mit der Mitoxantrontherapie untersucht. "Insgesamt wünschen wir uns in der Behandlung der MS möglichst maßgeschneiderte, auf die individuellen Besonderheiten des einzelnen Patienten abzielende Therapieschemata" sagt Prof. Gold und Dr. Chan. "Diese Untersuchungen eröffnen die Möglichkeit, individuelle genetische Muster in Therapieentscheidungen mit einzubinden".

Originalveröffentlichung: Cotte S. et al.; "ABC-transporter gene-polymorphisms are potential pharmacogenetic markers for mitoxantrone response in multiple sclerosis"; Brain, epub ahead of print, Jul 15

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