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Verlauf der SchizophrenieDer Krankheitsverlauf von Schizophrenien ist seit mehreren Jahrzehnten Gegenstand intensiver Forschungsarbeit und kontroverser Debatten. Trotz großer methodischer Einschränkungen bei der Vergleichbarkeit der durchgeführten Studien ergab sich eine gewisse Regelmäßigkeit in den Verlaufsbeschreibungen der Erkrankung. Diese Erkenntnisse sind für die Behandlung und Beratung der Patienten von großer Bedeutung. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Historische AspekteKraepelin hat in seiner grundlegenden Studie von 1893 [1] erstmals die „Dementia Praecox“ (Schizophrenie) vom „Manisch-depressiven Irresein“ (Affektive Störung) unterschieden. Kraepelin unterstellte dabei eine ungünstige Prognose für die Schizophrenie. Diese Vermutung wurde schon bald kritisiert. Bleuler wies in seiner Studie von 1911 [2] schon zu Recht auf die Heterogenität der Erkrankung ihn. In seinen späteren Arbeiten nahm Kraepelin noch Bezug auf diese Kritik.[3] Andere Autoren bestätigten die Vermutung, das eine vereinfachende Dichotomisierung der klinischen Realität nicht gerecht würde.[4][5] Kritik an Kraepelin kam nicht nur aus den Reihen seiner eigenen Schüler (Robert Gaupp (1870-1953) war Oberarzt bei Kraepelin[6]) sondern auch aus konkurrierenden Schulen. Carl Wernicke (1848-1905) unternahm den Versuch die endogenen Psychosen ähnlich wie neurologische Erkrankungen zu systematisieren. Sein Schüler Karl Kleist (1879-1960), der sich vor allem mit der Erforschung der Katatonie befasste, sowie der sich der Schule Wernickes verbunden verstehende Karl Leonhard (1904-1988) erarbeiteten ein Klassifikationsschema in dem die Gruppe von Erkrankungen Gestalt annahm, die sie „Zykloide Psychosen“ nannten. [7][8] Das uns heute geläufige Spektrum der „Endogenen Psychosen“ sieht eine Gruppe von Erkrankungen vor, die erstmals Robert Gaupp in der oben zitierten Arbeit als „Mischpsychose“ bezeichnet hatte und die wir heute als „Schizoaffektive Psychose“ kennen (ICD 10 F 25). Diese Erkrankungen unterscheiden sich nicht nur in ihrem Querschnittsbild, sondern auch in ihrem Verlauf und der Prognose. Obwohl diese Tatsachen schon in den 20er Jahren des 20. Jh. in der Psychiatrie hinlänglich bekannt waren, änderte sich an der Hospitalisierungspraxis schizophrener Patienten nichts. Retrospektive Untersuchungen zeigten, dass in der 30er Jahren des 20.Jh. 40-50% der schizophrenen Patienten länger als 5 Jahre hospitalisiert waren.[9] Langzeitstudien zur SchizophrenieDie Hospitalisierungsdauer schizophrener Patienten verändert sich ab ca. 1960. Dafür sind zwei Dinge maßgeblich verantwortlich. Einerseits die Entwicklung von Neuroleptika, mit denen erstmals die Positivsymptome einer Schizophrenie vergleichsweise nebenwirkungsarm behandelt werden konnten. Andererseits werden ab 1960 die ersten großen empirischen Verlaufsstudien zu schizophrenen Psychosen veröffentlicht, die bewiesen, dass die pessimistische Prognosevermutung Kraepelins bezüglich der „Dementia präcox“ falsch war. Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht dieser Studien:
Vergleichbarkeit der StudienDie Ergebnisse dieser Untersuchungen sind teilweise sehr unterschiedlich. So wurde der Anteil der Patienten mit einem eher günstigen Verlauf in einer Studie mit 50% (Marinow 1986) angegeben und in einer anderen Studie mit 0% (Faergemann 1963). Die Studie von Faergemann enthielt nur 23 Patienten. In ihr wurde die Diagnosestellung vom Verlauf abhängig gemacht: Patienten mit einem günstigen Verlauf wurden nicht als Schizophrenie klassifiziert. Ein Vergleich aller hier vorgestellten Studien zeigt, wie unterschiedlich das Studiendesign war:
Deutsche LangzeitstudienDie für den deutschsprachigen Raum bedeutenden Studien sollen hier ausführlicher erwähnt werden:
Wie man allein schon anhand der Tabelle erkennen kann, sind auch die Verlaufstudien in Deutschland von der Zielsetzung und dem Studiendesign kaum vergleichbar. VerlaufsparameterIn Verlaufsstudien können zahlreiche Parameter berücksichtigt werden. Im Falle der Schizophreniestudien werden an das Studiendesign hohe Anforderungen gestellt. Die Dokumentation der Verläufe muss ausreichend gut sein, um valide Aussagen machen zu können. Dem steht heute schon die Tatsache entgegen, dass Krankenakten nicht länger als 20 Jahre archiviert werden müssen. Für aussagekräftige Langzeitstudien im Falle der Schizophrenie ist ein Verlauf von 20 Jahren allerdings die untere Grenze. Zunächst muss die Zahl der Krankheitsepisoden gut dokumentiert sein. Eine Zusammenführung von Patientendaten aus unterschiedlichen Einrichtungen ist heute dazu unumgänglich, da die Patienten nicht mehr wie früher in Landeskrankenhäusern behandelt werden, die große Regionen versorgt haben. Die Dauer der Krankheitsepisoden korreliert heute nicht mehr mit der Dauer der Hospitalisierung: die Patienten sind mit Sicherheit länger erkrankt, als sie stationär behandelt werden. Dies bedingt, das auch die Dauer der Krankheitszyklen nur dann angegeben werden kann, wenn die Patienten regelmäßig standardisiert untersucht werden. Aufgrund stark vereinheitlichter Untersuchungsverfahren (ICD- oder DSM-Diagnosen, AMPD-System, PANSS-Score, einheitliche Ausbildung der Untersucher etc.) werden in den modernen Studien Aussagen zum Querschnittsbefund besser vergleichbar sein. Auch wird in modernen Studien aufgrund neuerer Forschungen zunehmend mehr Wert gelegt auf die Dokumentation von Prodromi, Residuen und Negativsymptomen. Die Zahl und Dauer der Hospitalisierungen ist nicht mehr gut zwischen den Studien vergleichbar. Generell hat die Dauer der Krankenhausbehandlungen abgenommen. Andererseits kann durch eine gemeindenahe Versorgung die Anzahl kurzzeitiger Hospitalisierungen zunehmen. Hinzu kommt, das es heute eine Anzahl von Behandlungsangeboten gibt, die institutionell zwischen dem klassischen Krankenhausaufenthalt und der ambulanten Versorgung stehen: Tagesklinik, Tagesklinik mit Übernachtungsmöglichkeit, tagesklinische Angebote mit ganztags- oder halbtags-Versorgung, ambulante Ergotherapie, niedrigschwellige Therapieangebote in Tagesstätten, hochfrequente ambulante Behandlungen (Home-Treatment) etc. Vergleich hierzu den Artikel Sozialpsychiatrie. Die soziale Behinderung der Patienten kann heute teilweise besser beurteilt werden, da vielfältige soziale Hilfsangebote bestehen, die untereinander gut vergleichbar sind: Wohnheim, Betreutes Wohnen, Behinderten-Werkstatt. Die Messung oder Abschätzung des Therapieresponse beschränkt sich heute nicht mehr nur auf die Feststellung, ob eine psychotische Episode vorüber ist und wie lange sie ggf. gedauert hat. Auch die Wirkung unterschiedlicher Medikamente oder einer Kombination von verschiedenen Behandlungsverfahren auf psychopathologische Items, kognitive Leistungen, soziale Fertigkeiten und den Grad der Alltagsintegration kann abgeschätzt werden. Damit verlieren aber wiederum die modernen Studien eine Vergleichbarkeit mit älteren Untersuchungen, in denen solch vielfältige Verfahren nicht zur Verfügung standen. Schließlich gehört auch die Abschätzung direkter und indirekter Kosten zu einem wichtigen Parameter des Langzeitverlaufs von Schizophrenien. Ein wesentliches Argument für die Einrichtung von psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern war, das sich die Behandlungszeiten im Gegensatz zu denen der Landeskrankenhäuser verkürzen werden und deshalb die Versorgung der Patienten billiger werden würde. Dies muss man natürlich empirisch beweisen, wenn die Psychiatriereform auch in Zukunft weiter gehen soll. In Deutschland stehen heute immer noch 60% aller Psychiatriebetten in Landeskrankenhäusern. ErkrankungsbeginnDer Beginn und Frühverlauf der Schizophrenie ist Gegenstand eines eigenständigen Artikels. An dieser Stelle sei nur auf die wesentlichen zusammenfassenden Punkte hingewiesen: Die Schizophrenie beginnt in der Regel chronisch, unbehandelt und mit unspezifischen Vorläufersymptomen. Es dauert im Durchschnitt fünf Jahre von den ersten Vorpostensymptomen bis zum Beginn der ersten psychotischen Symptome und sodann noch einmal ca. ein Jahr bis zur ersten Hospitalisierung im Rahmen einer schweren psychotischen Krise. Die meisten Patienten haben bis zu diesem Zeitpunkt bereits eine soziale Behinderung entwickelt. Episodenzahl und –frequenzWenn man repräsentative Untersuchungen des Verlaufes von Patienten mit einer Schizophrenie nach der Zahl der Episoden gliedert ergibt sich folgendes Bild:
In der Studie von Mernerso betrug die durchschnittliche Frequenz der psychotischen Episoden 0,2 = eine Episode alle fünf Jahre. Die durchschnittliche Hospitalisierungsdauer pro Episode betrug 60 Tage die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit pro Episode 76 Tage. Diese Zahlen zeigen eine hohe Schwankungsbreite. Da in den drei Studien von Bleuler, Ciompi und Huber ca 25% der untersuchten Patienten nur eine psychotische Episode gezeigt hat, wurde der Begriff der Drittelregel eingeführt: ein Drittel der Patienten kann geheilt werden, ein Drittel erleidet einen chronischen Verlauf mit schwerer Krankheits-Ausprägung, ein Drittel einen rezidivierenden Verlauf mit mittelschwerer Krankheits-Ausprägung. Langzeitverlauf und QuerschnittsbildDer Gegensatz von Langzeitverlauf (Wie hat sich die Krankheit entwickelt, wenn man das ganze Leben eines Patienten retrospektiv überblicken kann?) und der Beobachtung des Querschnittsbildes (Wie sieht das Krankheitsbild zu einem konkreten Untersuchungszeitpunkt aus?) prägt die Diskussion über die Natur der Erkrankung seit Kraepelin und Bleuler. In den modernen Langzeitstudien können beide Sichtweisen miteinander verbunden werden. Fasst man die Befunde zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:
Von besonderer Bedeutung ist die Frage des Therapieerfolges im Rahmen von Langzeitbeobachtungen.
Die Prodromalphase zu Beginn eines Rezidivs (erneuter Krankheitsschub) ist gegenwärtig Gegenstand intensiver Forschungen. Das große Interesse an den Vorpostensymptomen, die einen erneuten psychotischen Schub einleiten ist darin begründet, das alle Verlaufsstudien zeigen, das die Prognose der Erkrankung mit der Anzahl der Krankheitsepisoden schlechter wird. Parallel zur Anzahl der Episoden steigt die zeitliche Dauer der Episoden und verkürzt sich das Episodenintervall. Damit steigt das Risiko des Übergangs in eine chronische Form der Erkrankung im Falle der phasenhaften Verlaufsformen der Schizophrenie. VerlaufsformenDie Langzeit- und Verlaufsstudien der Schizophrenie erlauben es heute, eine Unterteilung der Verlaufsformen der Schizophrenie nach bestimmten Typen vorzunehmen. Schon Manfred Bleuler hat in seiner Langzeitstudie von 1972 Vorschläge für eine solche Typisierung gemacht.[14] Demnach können zwei Verlaufsformen unterschieden werden. Ein Drittel der Patienten zeigt einfache Verlaufsformen, die jeweils in eine chronische Schizophrenie münden. Zwei Drittel der Patienten zeigen wellenförmige Verläufe. Dieses Drittel zeigt eine grobe Zweiteilung in eine Gruppe mit Heilung und eine Gruppe, deren Erkrankung in einem leichten chronischen Zustand endet. Heute werden teilweise bis zu zehn oder mehr verschiedene Verlaufstypen unterschieden. ZusammenfassungIm Gegensatz zu den eher optimistischeren Ergebnissen der Verlaufsstudien von Manfred Bleuler (Drittelregel) hat sich in jüngeren Verlaufsstudien gezeigt, das Vollremissionen (Heilungen) seltener sind als noch vor einigen Jahrzehnten angenommen. Der Grund liegt vor allem darin, das in den älteren Studien Patienten mit schizoaffektiven Störungen eingeschlossen waren. Studien, die keine so engen Diagnosekriterien anlegten, zeigten Raten an Vollremissionen bis zu 22%.[20] Neure Studien, die enge Diagnosekriterien verwenden zeigen, dass Vollremissionen in weniger als 10% der Fälle auftraten. Zudem fanden sich überdurchschnittlich viele Patienten, die reine Negativsymptome zeigten (48%).[24] Trotz der erheblichen Verbesserungen der Versorgungsmöglichkeiten bleibt somit die Langzeitprognose bei einem Teil der Schizophrenie-Patienten ungünstig. Siehe auch
Quellen
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Verlauf_der_Schizophrenie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |