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Sterbehilfe



Sterbehilfe (griech. εὐθανασία, von εὔ, „gut” und θάνατος, „Tod” = Euthanasie) ist die von einem Menschen bewusst gewollte Unterstützung durch eine andere Person bei der Herbeiführung des eigenen Todes.

Inhaltsverzeichnis

Begriffserklärung

Sterbehilfe in diesem Sinne kann sich aber nicht nur auf unheilbar Kranke im Endstadium des Lebens beziehen, beispielsweise Patienten mit Krebs-Erkrankungen, sondern auch auf Menschen mit schweren Behinderungen, beispielsweise anenzephale Neugeborene, Menschen im Wachkoma, Patienten mit Alzheimer-Krankheit im fortgeschrittenen Stadium oder Patienten im Locked-in-Syndrom, die sich nicht selbst zu einem Sterbewunsch geäußert haben. Diese Ausweitung des Begriffs ist umstritten. Manche Positionen sehen darin die Abgrenzung zu den Mord-Delikten. Dieser Artikel beschäftigt sich auch mit diesem weiten Begriff der Sterbehilfe. Für Palliation (Schmerzbekämpfung bei Sterbenden, insbesondere in Hospizen) und Sterbebegleitung im Sinne von Pflege und Betreuung Sterbender siehe dort.

Ein Unterlassen medizinischer Eingriffe auf Wunsch des Patienten durch Beachtung einer Patientenverfügung ist nach verbreiteter juristischer Auffassung keine passive Sterbehilfe.[1] Ein Behandeln entgegen dem mutmaßlichen Willen des Patienten, also das einfache Missachten einer Patientenverfügung, erfüllt den Straftatbestand der Körperverletzung. Das Sterbenlassen einer Person durch Unterlassen von medizinischer Hilfeleistung bzw. technischen Möglichkeiten entgegen den Therapiewünschen der betroffenen Person erfüllt den Straftatbestand eines Tötungsdeliktes oder der unterlassenen Hilfeleistung (BVerfG 2 BvR 1451/01).[2] Als verbotene passive Sterbehilfe kann dies aber nicht definiert werden, da ein Handeln gegen den Willen des Patienten nicht als Hilfe erachtet werden kann (siehe Absatz "Abgrenzung zur Euthanasie"). Die Beihilfe zum Suizid kann straffrei sein und könnte dann als passive Sterbehilfe bezeichnet werden, sie kann aber auch den Umständen nach als aktive Sterbehilfe den Straftatbestand der Tötung auf Verlangen erfüllen.

Abgrenzung zur Euthanasie

Sterbehilfe bedeutet im heutigen Sprachgebrauch, den Tod eines Menschen durch fachkundige Behandlungen herbeizuführen, zu erleichtern oder nicht hinauszuzögern. In der Regel wird dabei vom Einverständnis bzw. Wunsch der betroffenene Person ausgegangen (Abweichung siehe vorstehenden Absatz). Der früher gebräuchliche Begriff Euthanasie wird aufgrund seines Bedeutungswandels durch die so genannte Rassenhygiene und die Patientenmorde im nationalsozialistischen Deutschland heute im deutschen Sprachgebrauch im Unterschied zu anderen Ländern nicht mehr im gleichen Wortsinn (synonym) gebraucht.

Gesetzliche Regelungen

In Europa haben die Niederlande, Belgien und die Schweiz Sterbehilfe in unterschiedlichem Ausmaß legal zugelassen; in anderen europäischen Ländern, wie Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland, wird dies kontrovers diskutiert.

Arten der Sterbehilfe

Zu unterscheiden ist die Sterbehilfe von

  • der in Deutschland je nach Umständen straflosen oder strafbaren Beihilfe zum Suizid (anders in den Niederlanden; dort ist der assistierte Suizid aktive Sterbehilfe),
  • dem ärztlichen Behandlungsabbruch auf Verlangen des betroffenen Patienten (evtl. auch durch eine dazu bevollmächtigte Person),
  • dem in Deutschland straflosen Ausschalten von Geräten (wie Beatmungsgeräten) oder das Unterlassen von Reanimationsversuchen nachdem der Hirntod bereits eingetreten ist,
  • der in Deutschland straflosen Hilfe im Sterbeprozess: Verabreichen von Medikamenten, die schmerzstillend sind und das Leben nicht vorsätzlich verkürzen.

Man unterscheidet bei der Sterbehilfe zumeist grob die drei Formen aktive, indirekte und passive Sterbehilfe. Dazu können gehören:

  • Aktive Sterbehilfe („Tötung auf Verlangen”, „erweiterte Selbsttötung"; Schweiz: aktive direkte Sterbehilfe, Niederlande: Euthanasie),
  • Passive Sterbehilfe: „Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen bei Schwerkranken“ (nach juristischer Auffassung nicht immer[3] oder nie[1] passive Sterbehilfe),
  • Indirekte Sterbehilfe: in der Schweiz: indirekte aktive Sterbehilfe, Niederlande: Double-effect.

Aktive Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe ist die Durchführung von lebensverkürzenden Maßnahmen auf Grund des tatsächlichen oder mutmaßlichen Wunsches einer Person.

Gabe von direkt tödlichen Medikamenten

Aktive Sterbehilfe erfolgt oft durch Verabreichung einer Überdosis eines Schmerz- und Beruhigungsmittels, Narkosemittels, Muskelrelaxans, Insulin, durch Kaliuminjektion oder eine Kombination davon.

Ist der tatsächliche Wille der Person nicht zu ermitteln, kann eine Patientenverfügung oder der früher geäußerte Wille hierfür Anhaltspunkte geben. Eine Tötung ohne Vorliegen einer Willensäußerung des Betroffenen wird allgemein nicht als aktive Sterbehilfe, sondern als Totschlag oder Mord aufgefasst.

Die aktive Sterbehilfe ist verboten:

  • in Deutschland: (§ 216 des Strafgesetzbuches),
  • in Österreich: (§ 75, § 77, § 78 des Strafgesetzbuches)
  • in der Schweiz: (Art. 111, Art. 113, Art. 114 des Strafgesetzbuches).

In den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe ebenfalls verboten (Art. 293 des Strafgesetzbuches), allerdings nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt unter Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflichten begangen wurde und dem Leichenbeschauer Meldung erstattet wurde.


Passive Sterbehilfe

Passive Sterbehilfe (bewusstes Sterbenlassen) - nach juristischer Auffassung nicht immer[3] oder nie[1] passive Sterbehilfe - nennt man die Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen bei Schwerkranken oder Unfallopfern, bei denen keine Hoffnung auf Besserung mehr besteht.

Hierzu zählt das Einstellen von lebenserhaltenden Maßnahmen wie z. B.:

  • Abbruch von künstlicher Ernährung, Flüssigkeitszufuhr oder Medikamentengaben,
  • Abbruch von Beatmung oder Intubation,
  • Abbruch von Dialyse,
  • Abbruch von Reanimation nach einem Unfall vor Eintritt des Hirntodes.

Diese Form der Sterbehilfe ist strafgesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, jedoch durch richterliche Rechtsfortschreibung hinreichend geklärt (z. B. durch Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 8. Juni 2005, XII ZR 177/ 03).

Der Begriff der passiven Sterbehilfe ist juristisch teils widersinnig. Jede ärztliche Behandlung ist ein Eingriff in das Grundrecht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit, auch wenn die Behandlung medizinisch angezeigt ist und sich nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird (vgl. BVerfG NJW 2002, 206, 207). Dieser Eingriff ist allerdings dann gerechtfertigt, wenn der Patient zustimmt oder der Eingriff dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, es also anzunehmen ist, dass der Patient der Behandlung zugestimmt hätte (BGH XII ZB 2/03).

Häufig ist in Bezug auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 17. 3. 2003 (Az: XII ZB 2/ 03) zu lesen, dass Patientenverfügungen nur im Fall des irreversiblen Verlaufs verbindlich wären. Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung ist aber unabhängig davon, in welchem Stadium sich die Krankheit befindet (BVerfG 1 BvR 618/93; BGH 1 StR 357/94; BGH XII ZB 2/03).

Befürworter einer Reichweitenbeschränkung argumentieren, dass Sterbesituationen nicht vorhersehbar seinen und daher der Wille nicht sicher festgestellt werden könne. Kann aber kein sicherer Wille festgestellt werden, ist nach dem mutmaßlichen Willen zu entscheiden, der nach den Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen des Patienten zu ermitteln ist (BGH 1 StR 357/94; BGH XII ZB 2/ 03). "Den mutmaßlichen Willen des Patienten zu erforschen bedeutet, nach bestem Wissen und Gewissen zu beurteilen, was der Patient für sich selbst in der Situation entscheiden würde, wenn er es könnte" formuliert die Bundesärztekammer.

"An die Voraussetzungen für die Annahme eines solchen mutmaßlichen Einverständnisses des entscheidungsunfähigen Patienten sind - im Interesse des Schutzes menschlichen Lebens - in tatsächlicher Hinsicht allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Patienten im Tatzeitpunkt, wie er sich nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände darstellt. Hierbei sind frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Kranken ebenso zu berücksichtigen wie seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen (vgl. BGHSt 35, 246, 249). Objektive Kriterien, insbesondere die Beurteilung einer Maßnahme als gemeinhin "vernünftig" oder "normal" sowie den Interessen eines verständigen Patienten üblicherweise entsprechend, haben keine eigenständige Bedeutung; sie können lediglich Anhaltspunkte für die Ermittlung des individuellen hypothetischen Willens sein." - BGH 1 StR 357/94[3]

Auch aus der Gewissensfreiheit ergibt sich kein Recht, sich durch aktives Handeln über das Selbstbestimmungsrecht des durch seinen Bevollmächtigen oder Betreuer vertretenen Patienten hinwegzusetzen und seinerseits in dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit einzugreifen (BGH Beschluss XII ZR 177/03; Hufen NJW 2001, 849, 853).

Eine gegen den z.B. in einer Patientenverfügung erklärten Willen des Patienten durchgeführte Behandlung ist eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Patient analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB verlangen kann. Dies gilt auch dann, wenn die begehrte Unterlassung zum Tode des Patienten führen würde. Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirken, unzulässig (BGH Beschluss XII ZR 177/03 mit Verweis auf Senatsbeschluß aaO 751).

Für den Fall, dass eine Patientenverfügung das Unterlassen von Maßnahmen bei einer Erkrankung vorsieht, die noch nicht in ein Stadium des unumkehrbaren tödlichen Verlauf getreten ist, das Befolgen der Patientenverfügung aber zum Tod führen würde obwohl noch realistische Aussichten auf Heilung bestehen, ist nach derzeitiger Rechtslage die Patientenverfügung für einen Betreuer/Bevollmächtigten nicht zwingend verbindlich, wenn der Wille des Patienten für die konkrete Behandlungssituation nicht eindeutig und sicher festgestellt werden kann (BVerfG 1 BvR 618/93, Beschluss vom 2. 8. 2001).

Im Fall, dass der Wille nicht eindeutig und sicher festgestellt werden kann, liegt es also im Ermessen des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten, zu entscheiden, ob eine Behandlung abgebrochen oder fortgesetzt wird, und zwar unabhängig davon, in welchem Stadium sich die Krankheit befindet. Hat das Gericht Kenntnis von einer Bevollmächtigung, darf es auch dann keinen Betreuer bestellen, wenn der Betroffene mittels Patientenverfügung lebensrettende Behandlungen ausschließt (BVerfG 1 BvR 618/93).

"Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muß auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, des Angehörigen oder einer anderen beteiligten Person. Im Einzelfall wird die Entscheidung naturgemäß auch davon abhängen, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tode ist: je weniger die Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens zu erwarten ist und je kürzer der Tod bevorsteht, um so eher wird ein Behandlungsabbruch vertretbar erscheinen (vgl. BGHSt aaO S. 250)." - BGH 1 StR 357/94[3]

Im Fall des irreversiblen tödlichen Verlaufs ist eine auf die Situation bezogene Patientenverfügung auf jeden Fall verbindlich. Ein Betreuer oder Bevollmächtigter darf dann nicht einen anderen Willen annehmen (BGH XII ZB 2/ 03).

Ein Behandeln entgegen dem mutmaßlichen Willen des Patienten, also das einfache Missachten einer Patientenverfügung, erfüllt den Straftatbestand der Körperverletzung. Erfolgt die passive Sterbehilfe hingegen ohne wenigstens ausreichende mutmaßliche Einwilligung der Person ist sie als Tötung durch Unterlassen strafbar. [2]Sterben lassen durch Unterlassen ist in der BRD zumindest nach § 323c StGB wegen unterlassener Hilfeleistung oder § 225 StGB, Misshandlung von Schutzbefohlenen, strafbar. Evtl. kommen auch andere Tötungsdelikte in Betracht.

Hierbei ist zu unterscheiden:

  • Ein einvernehmlicher Verzicht auf weitere Maßnahmen wird nicht bestraft wenn sie auf Verlangen eines einwilligungsfähigen Patienten erfolgt. Bei nicht einwilligungsfähigen Patienten gelten frühere Patientenverfügungen als wichtige Informationsquelle für den dann Ausschlag gebenden „mutmaßlichen Willen“ des Patienten. In Deutschland wird diese Fallgruppe strafrechtlich nicht von § 216 StGB sondern von § 212, § 213 StGB erfasst. Die Einwilligung führt zu einer Rechtfertigung des Arztes, da dieser die Ablehnung einer weiteren Behandlung durch den Patienten angesichts des bevorstehenden Todes im Sinne der Menschenwürde (Art. 1 GG) respektieren muss.
  • Äußerst problematisch ist der einseitige Verzicht auf weitere Maßnahmen (sowohl Nichtaufnahme als auch Nichtfortführung) durch den Arzt. Dieser wird aber in der Praxis recht häufig auftreten. Der Abbruch ist einseitig, wenn ihn der Patient ablehnt oder sich dazu nicht geäußert hat und dies auch nicht mehr kann. Hier sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
    • Die erste typische Situation ist ein Unfallopfer, das sich nicht mehr äußern kann aber große Schmerzen hat. Hier darf der Arzt die Schmerzen auch mit Medikamenten lindern, die möglicherweise lebensverkürzend sind, wenn andere Medikamente keine ausreichende Wirkung haben. In Deutschland wird auch diese Fallgruppe wie der einvernehmliche Verzicht strafrechtlich nicht von § 212 StGB sondern von §§ 212, 213 StGB erfasst. Die Einwilligung führt zu einer Rechtfertigung des Arztes, da dieser die Ablehnung einer weiteren Behandlung durch den Patienten angesichts des bevorstehenden Todes im Sinne der Menschenwürde (Art. 1 GG) respektieren muss.
    • Eine andere typische Situation ist der einige Jahre im Koma liegende Patient, bei dem die Chance auf ein Wiedererwachen medizinisch gegen Null tendiert. Die juristische Diskussion bezieht sich hier auf ethische Kategorien: So wird vorgetragen, Aufgabe des Arztes sei die Erhaltung und Sicherung der menschlichen Selbstverwirklichungsfähigkeit. Da wo keine Kommunikation mehr möglich sei und es am Bewusstsein fehle, ende die ärztliche Garantenpflicht für das Leben des Patienten. Andere nennen Stichworte wie „Schicksalhaftigkeit“, „Sinnlosigkeit weiterer Behandlung“ oder die „Natürlichkeit des Todes“. Letztlich muss aber auch hier die Menschenwürde (Art. 1 GG für Deutschland) in den Blick genommen werden, die neben dem Recht auf ein würdevolles Leben auch das Recht auf einen würdigen Tod beinhaltet.

Der deutsche Bundesgerichtshof fordert in diesen lebensbedrohlichen Fällen, bei denen die Eilentscheidungen durch den Arzt nicht geboten sind (weil irreversiblen Schädigungen vorzubeugen ist), die Einholung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (analog zu § 1904 BGB) als notwendig an. Hierzu ist zunächst die Bestellung eines rechtlichen Betreuers nötig, sofern kein Bevollmächtigter aufgrund einer allgemeinen oder einer Vorsorgevollmacht tätig ist. Evtl. ist ein Verfahrensbetreuer einzusetzen.

Indirekte Sterbehilfe (Gabe von schmerzstillenden, aber evtl. lebensverkürzenden Medikamenten)

Indirekte Sterbehilfe ist der Einsatz von Medikamenten zur Linderung von Beschwerden, die als Nebenwirkung die Lebensdauer evtl. verkürzen können. Dies erfolgt in Krankenhäusern regelmäßig mit Morphium im Endstadium der Krebserkrankungen. Dieser Fall ist in der Strafrechtswissenschaft in Deutschland höchst kontrovers diskutiert worden. Im Ergebnis sind sich alle Meinungen einig, dass der Arzt hier straffrei bleiben muss. Eine Mindermeinung will die Tötungsrelevanz eines auf Schmerzmilderung zielenden Verhaltens bereits im Tatbestand verneinen. Die überwiegende Ansicht sieht den Arzt gerechtfertigt durch eine Mischung von Notstand und rechtfertigender Pflichtenkollision. Dadurch wird ausgeschlossen, dass der Arzt „Exzesse“ vollführen kann, sich also außerhalb der notwendigen Sorgfalt und damit des erlaubten Risikos bewegt. Nach Ansicht des höchsten deutschen Strafgerichts kann sogar die Nichtverabreichung notwendiger Schmerzmittel mit der Begründung, keinen vorzeitigen Tod herbeiführen zu wollen, als Körperverletzung (§ 223 bis § 233 Strafgesetzbuch) oder unterlassene Hilfeleistung (§ 323c Strafgesetzbuch) bestraft werden (vgl. Palliativmedizin).

Auch die terminale Sedierung wird als indirekte Sterbehilfe angesehen werden.

Aus medizinischer Sicht ist die "indirekte Sterbehilfe" in der Praxis sehr selten, weil korrekt eingesetzte Opiate (z. B. Morphium) oder Benzodiazepine das Sterben entgegen früheren Ansichten in der Regel nicht verkürzen, sondern sogar leicht verlängern. Die juristische Diskussion zu diesem Thema erscheint deshalb manchen Palliativmedizinern als eher akademische Debatte.

Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid)

Selbsttötung mit Hilfe einer Person, welche ein Mittel zur Selbsttötung bereitstellt; dies geschieht oft in der Form, dass ein Arzt eine tödliche Dosis eines Barbiturats verschreibt und sie dem Patienten zur Verfügung stellt. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar, die dafür geeigneten Wirkstoffe dürfen aber für diesen Zweck nicht verordnet werden, es handelt sich deshalb u. U. um einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz.

In der Schweiz ist Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar, sofern kein egoistisches Motiv vorliegt (Art. 115 des Strafgesetzbuches), ist aber gemäß den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) nicht „Teil der ärztlichen Tätigkeit“. Bekannt sind in der Schweiz die Organisationen Dignitas und EXIT, welche Hilfestellung und Ärzte gegen Entgelt vermitteln, um bei der Selbsttötung zu assistieren.

In den Niederlanden ist die vorsätzliche Hilfe zur Selbsttötung verboten (Art. 294 des Strafgesetzbuches), allerdings nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt unter Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflichten begangen wurde und dem Leichenbeschauer Meldung erstattet wurde.

Im US-Bundesstaat Oregon ist der ärztlich assistierte Suizid zugelassen und im Death with Dignity Act geregelt.

Bekannte Fälle von Sterbehilfe

  • Emily Gilbert: Die 73jährige US-Amerikanerin aus Fort Lauderdale (Florida) bat ihren Ehemann Roswell Gilbert im März 1985 wegen eines unheilbaren Knochenleidens um Sterbehilfe. Ihr Mann gab ihr zunächst Schmerztabletten und erschoss seine Frau mit einer Pistole. Der 76jährige Roswell Gilbert wurde von einem Gericht zu 25 Jahren Haft verurteilt.
  • Ramón Sampedro: Der Spanier war 30 Jahre lang mit einem hohen Querschnitt vom Hals abwärts gelähmt. Seine Geschichte wurde in dem Film Das Meer in mir verfilmt. Dem Spanier wurde auf seinen Wunsch hin von einer Freundin ein Glas Wasser mit Zyankali so in die Nähe seines Mundes gestellt, dass er selbst mit einem Strohhalm daraus trinken konnte und daraufhin starb (1998). Mehrere seiner Freunde zeigten sich selbst der Beihilfe an, woraufhin das Verfahren eingestellt wurde.
  • Terri Schiavo: Eine US-Amerikanerin aus Saint Petersburg (Florida), die bei einem Zusammenbruch eine durch Sauerstoffmangel ausgelöste schwere Gehirnschädigung erlitten hatte und sich in der Folge von 1990 bis zu ihrem Tod 15 Jahre lang im Wachkoma befand. Terris Ehemann klagte seit 1998 durch mehrere Instanzen die Einstellung der künstlichen Ernährung ein. Dem wurde letztendlich im Februar 2005 statt gegeben.
  • Vincent Humbert: Ein Franzose, der seit September 2000 gelähmt und blind war, bat im Dezember 2002 um Sterbehilfe. Diese wurde ihm von offizieller französischer Seite nicht gewährt. Seine Mutter spritzte ihm daraufhin im September 2003 Natriumpentobarbital. Er fiel in ein Koma und von den Ärzten wurden die lebenserhaltenden Maschinen daraufhin abgeschaltet. Sein Fall führte in Frankreich zu einer Änderung der Gesetzeslage.
  • Piergiorgio Welby (* 26. Dezember 1945 in Rom; † 20. Dezember 2006 ebd.) war ein Italiener, seit seinem 18 Lebensjahr an Muskeldystrophie leidend, der im Jahr 2006 um Sterbehilfe bat. Diese Hilfe wurde ihm von dem Anästhesisten Mario Riccio am 20. Dezember 2006 gewährt, nachdem ein Gericht es abgelehnt hatte den Fall zu behandeln. Der später erhobene Mordvorwurf gegen Mario Riccio wurde von einem Gericht in Rom abgewiesen.
  • Inmaculada Echevarria war eine Spanierin, die seit ihrem elften Lebensjahr an Muskelschwund litt und die letzten zehn Jahre gelähmt im Krankenhaus verbracht hatte. Die Ärzte des Krankenhauses San Juan de Dios in Granada stellten im März 2007 das Beatmungsgerät der 51-Jährigen ab.

Von diesen Fällen der individuellen Sterbehilfe (bzw. Tötungen) müssen unterschieden werden die einzelnen oder teilweise in Serie durchgeführten Tötungen von Patienten durch professionelle Pflegekräfte, die sich im anschließenden Strafverfahren auf „mutmaßliche Sterbehilfe“ als Entschuldigungsgrund berufen haben. Dabei handelte es sich nicht um eine länger bestehende vertrauensvolle Beziehung zwischen zwei Personen - zum Teil konnten, im juristischen Sinne, niedere Beweggründe als Motiv der Handlungen vermutet oder sogar bewiesen werden.

Probleme der Sterbehilfe

Die Abgrenzung der aktiven zur passiven Sterbehilfe oder auch der indirekten Sterbehilfe ist im Einzelfall äußerst schwierig. Die Sterbehilfe steht im Spannungsfeld zwischen

  • Gesetz und Selbstbestimmung,
  • staatlichem Anspruch und individuellen Persönlichkeitsrechten,
  • staatlichem Strafanspruch und Rechtfertigungsgründe wie Notstand oder Pflichtenkollision,
  • medizinischen Möglichkeiten und Menschenwürde und
  • Selbstbestimmung und religiösen Aspekten.

Die stärksten Konflikte existieren bei der aktiven Sterbehilfe und hier besonders in der unterschiedlichen Gewichtung des Willens eines schwer leidenden Menschen. Hierbei ist zu beachten, dass nicht jedes diskutierte Beispiel einer aktiven Sterbehilfe auch hierunter fällt. So ist das Vorbereiten einer Suizidsituation, die der Patient eigenständig nutzt, in Deutschland eine straflose Beihilfe zum Suizid. (Beispiel: Ein Patient schluckt selbst ein nicht verschreibungspflichtiges Gift, das ihm jemand auf Verlangen besorgt hat.)

Befürworter der aktiven Sterbehilfe betonen, dass der Wille des Patienten in allen Fällen die Zulässigkeit einer medizinischen Maßnahme definiert, dass aber ausgerechnet in der Frage, wie und wann zu sterben, diese Entscheidungshoheit genommen würde. Mit Blick auf bestimmte Erkrankungen wird auch die als unmenschlich und sinnlos empfundene Sterbephase hervorgehoben, der die Erkrankten dann hilflos ausgeliefert seien. Als Argument wird hier oft angeführt, dass Menschen etwas verwehrt wird, was jedem leidenden Hund selbstverständlich zukomme. Gegner der aktiven Sterbehilfe betonen dagegen, dass es eine Pflicht zur Leidensminderung nur als Teil der Pflicht zur Lebenserhaltung gibt, jedoch kein Recht auf Tötung, der dann eine Pflicht zur Tötung eines Anderen entsprechen müsste. Außerdem sei die existentielle Bedrohung gerade geeignet, eine rationale Entscheidung unmöglich zu machen. Die Erkenntnisse über die Psychologie Sterbender zeigten eine fast regelmäßig auftretende Depressionsphase, welche den geäußerten Sterbewunsch zum Teil als Ausdruck einer vorübergehenden Störung erscheinen ließen.

Gegen die Extrembeispiele hoffnungslos schwer Leidender wird vor allem auf die Erfahrungen der Palliativmedizin und der Hospizbewegung verwiesen, die zeigten, dass zum Teil auch schwerstleidende Menschen ihr Leben nicht vorzeitig beenden wollten, solange ihre Leiden gelindert würden und sie menschliche Zuwendung und Geborgenheit erfahren könnten. Daneben werden auch verschiedene Dammbruchargumente beispielsweise in Bezug auf den Lebensschutz und das ärztliche Selbstverständnis vorgebracht. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass durch eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ein gesellschaftlicher Druck auf schwerkranke und sterbende Menschen entstehen könnte, um ihren eigenen Tod zu bitten. Ökonomische Zwänge im Gesundheitsbereich und schwindende familiäre und soziale Bindungen könnten diesen Druck zusätzlich verstärken.

Auf der anderen Seite sind lebensverlängernde Maßnahmen sehr kostenintensiv, was in manchen Fällen für die Einrichtung in der der Patient betreut wird zu einem Interesse an deren Fortsetzung führt.

Katholischer Standpunkt zur aktiven Sterbehilfe

Stellvertretend für die katholischen Christen hat die holländische Katholische Bischofskonferenz mit ihrer „Pastoralen Handreichung” gegen aktive Sterbehilfe protestiert, in der sie festschreibt:

„Das Ersuchen um aktive Sterbehilfe ist der Versuch, den letzten Gang des Lebens vollständig in die eigene Hand zu nehmen. Dies ist nicht vereinbar mit der Übergabe seiner selbst in die liebende Hand Gottes, wie sie sich in den kirchlichen Sakramenten ausdrückt ...
Euthanasie ist keine Lösung für das Leiden, sondern eine Auslöschung des leidenden Menschen.”

Johannes Paul II., erklärte am 24. März 2002, drei Jahre vor seinem Tod, vor Medizinern und Gesundheitsfachleuten aus aller Welt:

„Die Komplexität des Menschen fordert bei der Verabreichung der notwendigen Heilmethoden, daß man nicht nur seinen Körper berücksichtigt, sondern auch seinen Geist. Es wäre anmaßend, allein auf die Technik zu setzen. Und in dieser Sicht würde sich eine Intensivmedizin um jeden Preis bis zum Letzten schließlich nicht nur als unnütz erweisen. Sie würde auch nicht völlig den Kranken respektieren, der nun an sein Ende gelangt ist.“


Aktuelles

Deutschland
Der 66. Deutsche Juristentag hat sich am 20. September 2006 mit großer Mehrheit für eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe und der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ausgesprochen. Das bedeutet, dass Behandlungsabbrüche und das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen auch schon vor der Sterbephase rechtlich erlaubt sein sollen. Im Strafgesetzbuch soll ausdrücklich klar gestellt werden, dass sich Ärzte in solchen Fällen nicht strafbar machen. Hierzu hat sich unverzüglich eine kontroverse Debatte in der Öffentlichkeit ergeben. Ende 2006 wurde aus den Reihen des Bundestags die Vorlage zweier Gesetzesentwürfe zur gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe und der Patientenverfügung angekündigt.
  • Webseite des Deutschen Juristentags
  • Stellungnahme der Deutschen Hospiz Stiftung zum Gutachten „Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung“ für den 66. Deutschen Juristentag,Stuttgart 2006

Der Bundestag hat sich am 29. März 2007 in Vorbereitung einer gesetzlichen Neuregelung mit der Patientenverfügung befasst. Hierzu werden mehrere Gesetzesentwürfe aus den Reihen des Bundestags vorgelegt, die eine unterschiedliche Reichweite beinhalten:

  • Synopse der 3 vorliegenden Gesetzentwürfe (PDF)
  • Volltexte aller Gesetzentwürfe
  • Stellungnahme des Vormundschaftsgerichtstages e.V. (PDF)
  • Übersicht über die Gesetzentwürfe
  • Protokoll der Bundestagsdiskussion vom 29.3.2007 (PDF)
  • Die derzeitige Rechtslage im Vergleich zum Gruppenantrag Bosbach, Röspel, Winkler, Fricke MdB et.al
Frankreich
Über 2000 französische Ärzte, Schwestern und Pfleger erklärten im März 2007 öffentlich, Patienten beim Sterben geholfen zu haben. Dieser Schritt wird als ein Hilferuf an Öffentlichkeit und Gesetzgeber betrachtet.

Siehe auch

Literatur

  • Betty Rollin (1985, Neuauflage Oktober 1998): "Last Wish", ISBN 1891620010 Public Affairs, deutsche Ausgabe (1986): "Der letzte Wunsch", ISBN 3502186359, Verlag Scherz, München
  • Karl Beine (1998): "Sehen, Hören, Schweigen ... " Lambertus-Verlag, Freiburg, 348 S. ISBN 3-7841-1049-5 (Die erste Untersuchung der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe bei ärztlichem und Pflegepersonal in Deutschland im Jahr 1993).
  • Helga Kuhse, Peter Singer (1993): Muß dieses Kind am Leben bleiben?, ISBN 3891311109
  • Peter Singer (1994): Praktische Ethik, Ditzingen, ISBN 3-15-008033-9
  • Wilhelm Uhlenbruck (1997): Selbstbestimmtes Sterben, Berlin, ISBN 3-926445-15-7
  • Norbert Hoerster (1998): Sterbehilfe im säkularen Staat. Frankfurt am Main, ISBN 3-518-28977-2
  • Udo Benzenhöfer: Der gute Tod. Euthanasie und Sterbehilfe in Geschichte und Gegenwart. Beck, München 1999, ISBN 3-406-42128-8
  • Björn Kern: Die Erlöser AG. C. H. Beck, 2007, 256 Seiten. ISBN 978-3-406-56374-4 (Roman, literarische Auseinandersetzung mit dem Thema)
  • Thomas Klie, Johann-Christoph Student (2001): Die Patientenverfügung – was Sie tun können, um richtig vorzusorgen. 7. Auflage. Herder, Freiburg, ISBN 3-451050-44-7
  • Eva Schumann (2006): Dignitas - Voluntas - Vita. Überlegungen zur Sterbehilfe aus rechtshistorischer, interdisziplinärer und rechtsvergleichender Sicht. Göttinger Antrittsvorlesung im Januar 2006. Universitätsverlag, Göttingen, ISBN 3-938616-49-0 (Volltext, PDF)
  • Edgar Dahl (Juli 2006): Dem Tod zur Hand gehen. Der ärztlich-assistierte Suizid in Oregon. In: Spektrum der Wissenschaft, S. 116–120
  • Oliver Tolmein (2006): Keiner stirbt für sich allein - Sterbehilfe, Pflegenotstand und das Recht auf Selbstbestimmung. C. Bertelsmann, München 2006; 255 S. ISBN 3-570008-97-5. Dazu Rezension von Elisabeth Wehrmann in Die Zeit, Nr. 03 vom 11.01.2007
  • Weitere Literatur, insbes. Zeitschriftenbeiträge

Quellen

  1. a b c [http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=30619 Böckenförde: Aktive Sterbehilfe wäre Dammbruch für Lebensschutz (Ärzteblatt vom 29.11.2007)]
  2. a b BVerfG 2 BvR 1451/01
  3. a b c d BGH 1 StR 357/94


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