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Sepsis



Die Sepsis (gr. für Fäulnis), umgangssprachlich auch Blutvergiftung, ist eine außer Kontrolle geratene Infektion. Die Komplexität der pathophysiologischen Vorgänge macht eine Definition schwer. Seit 1992 werden SIRS, Sepsis, Schwere Sepsis und septischer Schock getrennt definiert. Danach ist Sepsis ein Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS) mit einer nachgewiesenen Infektion (siehe unten).

Die Intensivmedizin kann durch vorübergehenden Ersatz oder Unterstützung der Organfunktionen (Beatmung, Nierenersatztherapie, Kreislauftherapie, Gerinnungstherapie) kritische Phasen überbrücken, trotzdem ist aber die Sepsis als eine sehr schwere Erkrankung zu werten und die Prognose äußerst ernst: 30 - 50 % der Erkrankten sterben trotz maximaler Therapie. Der frühestmögliche Therapiebeginn ist entscheidend für ein Überleben.

Entgegen der verbreitetenen Ansicht (die auch in dem Kinderbuch Michel aus Lönneberga vertreten wird) ist ein roter Strich, der sich von einer Wunde in Richtung Herz ausweitet, kein Anzeichen für eine Sepsis, sondern für eine zunächst lokale Lymphangitis (Entzündung der Lymphbahnen). Diese kann sich zur Sepsis entwickeln, wenn sie sich bis über den Blutkreislauf ausbreitet, hat aber sonst allein noch nichts mit einer Sepsis nach obiger Definition zu tun.

Inhaltsverzeichnis

Epidemiologie

Die Häufigkeit (Inzidenz) der Sepsis hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte gesteigert und liegt bei etwa 300 pro 100.000 Einwohner im Jahr, wobei Frauen etwas seltener betroffen sind.[1] In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 154.000 Menschen an Sepsis.[2] In Deutschland stirbt etwa jeder zweite Erkrankte. Schnelle Behandlung erhöht die Überlebenschancen.

Definitionen

Die vielfältigen Vorgänge und Schädigungsmechanismen im Rahmen einer Sepsis machen eine Definition sehr schwer. Eine klassische Formulierung stammt von Schottmüller (1914):

„Eine Sepsis liegt dann vor, wenn sich innerhalb des Körpers ein Herd gebildet hat, von dem kontinuierlich oder periodisch pathogene Bakterien in den Kreislauf gelangen und zwar derart, daß durch diese Invasion subjektive und objektive Krankheitserscheinungen ausgelöst werden“[3]

Eine moderne Definition von Schuster und Werdan (2005):

„Sepsis ist die Gesamtheit der lebensbedrohlichen klinischen Krankheitserscheinungen und pathophysiologischen Veränderungen als Reaktion auf die Aktion pathogener Keime und ihrer Produkte, die aus einem Infektionsherd in den Blutstrom eindringen, die großen biologischen Kaskadensysteme und spezielle Zellsysteme aktivieren und die Bildung und Freisetzung humoraler und zellulärer Mediatoren auslösen.“[4]

Auf einer internationalen Konsensuskonferenz wurden 1992 Definition und Diagnosekriterien von SIRS, Sepsis, schwerer Sepsis und septischem Schock einheitlich definiert.[5][6]

Ein Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom SIRS ist demnach gegeben, wenn zwei Kriterien der untenstehenden Kriteriengruppierung II erfüllt sind. Eine Sepsis liegt bei einem zusätzlichen Nachweis einer Infektion vor (I und II). Kommt eine akute Organschädigung hinzu, spricht man von einer schweren Sepsis (I, II und III erfüllt).

Ein septischer Schock ist bei den Kriterien I und II sowie für wenigstens 1 Stunde ein systolischer arterieller Blutdruck unter 90 mmHg bzw. ein mittlerer arterieller Blutdruck < 65 mmHg oder notwendigem Vasopressoreinsatz, um den systolischen arteriellen Blutdruck > 90 mmHg oder den arteriellen Mitteldruck > 65mmHg zu halten, gegeben. Die Hypotonie besteht trotz adäquater Volumengabe und ist nicht durch andere Ursachen zu erklären.

Diagnosekriterien für SIRS, Sepsis und schwere Sepsis (ACCP/SCCM Konsensus-Konferenz)
I - Nachweis der Infektion
Diagnose einer Infektion über den mikrobiologischen Nachweis oder durch klinische Kriterien
II - Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS) (mindestens zwei Kriterien erfüllt)
- Körpertemperatur >38 °C oder <36 °C

- Tachykardie: Herzfrequenz >90/min

- Tachypnoe: Atemfrequenz >20 oder Hyperventilation (PaCO2 <4.3 kPa bzw. 33 mmHg)

- Leukozytose (>12.000 weiße Blutkörperchen/mm3) oder Leukopenie (<4000/mm3) oder >10 % unreife neutrophile Granulozyten im Differentialblutbild

III - Akute Organdysfunktion (mindestens ein Kriterium erfüllt)
- Hirnschädigung (Enzephalopathie): eingeschränkte Vigilanz, Desorientiertheit, Unruhe, Delirium

- Abfall der Blutplättchen (Thrombozytopenie): innerhalb von 24 Stunden Abfall der Thrombozyten um mehr als 30 % oder Thrombozytenzahl < 100.000/mm3 bei Ausschluss einer Erkrankung des Immunsystems oder einer akuten Blutung.

- Sauerstoffmangel (Hypoxie): PaO2 <10 kPa (75 mmHg) oder ein PaO2/FiO2 Verhältnis <33 kPa (250 mmHg) unter Sauerstoffverabreichung bei Ausschluss einer kardialen oder pulmonalen Vorerkrankung.

- Akutes Nierenversagen: Harnproduktion (Diurese) < 0.5 ml/kgKG/h für mindestens zwei Stunden, trotz ausreichender Volumensubstitution, und/oder Anstieg des Serumkreatinins um das Doppelte des lokal üblichen oberen Referenzbereichs.

- Metabolische Azidose: BE <-5mmol oder Laktat >1.5 facher Wert als der lokal übliche Referenzwert.

Pathophysiologie

Der Sepsis liegt ein Versagen des Immunsystems zugrunde. Pathogenetisch grundlegend ist das Eindringen (Invasion) von Erregern oder von deren Toxinen in den Kreislauf. Das Resultat dieses Vorgangs hängt von drei Faktoren ab:

  • Zahl, Pathogenität und Virulenz der Erreger
  • Zustand der körpereigenen Abwehrmechanismen
  • Reaktion des Wirtsorganismus

Unter normalen Umständen ist das Immunsystem des Körpers in der Lage, eingedrungene Erreger durch verschiedene Mechanismen in Schach zu halten. Selbst aus zunächst harmlosen infektiösen Entzündungen kann sich eine Sepsis entwickeln, wenn eine oder mehrere von vier Bedingungen vorliegen:

  • eingeschränkte Immunabwehr
  • massive Infektion mit vielen oder aggressiven Erregern
  • Eindringen der Erreger in strukturell schlecht geschützte Körperregionen (beispielsweise Bauchhöhle, Gehirn, Lunge)
  • fehlende Behandlung und schrittweises Überwinden der Immunabwehr

In der Folge kommt es, meist über den Blutkreislauf, zu einer Ausbreitung der Infektion auf den gesamten Körper. Die im Falle einer Lokalinfektion sinnvolle Entzündungsreaktion entwickelt sich nun zum eigentlichen Motor der Sepsis. In einer überschießenden Reaktion freigesetzte große Mengen an Überträgerstoffen führen zu einer Entzündung des gesamten Körpers unter anderem mit Schwellungen, Durchblutungsstörungen und Sauerstoffmangel, ohne dass sie der Erregerbekämpfung nützten. Sind einmal lebenswichtige Organe davon betroffen, kann der daraus folgende Verlust ihrer Funktionsfähigkeit schnell zum eigentlichen begrenzenden Faktor für das Überleben der Patienten werden.

Von Seiten des Wirtsorganismus wird heute eine initiale Reaktion von Monozyten und Makrophagen als gesichert angesehen. In deren Folge kommt es zur Freisetzung und Wirkung von Zytokinen (Tumor-Nekrose-Faktor (TNF), Interleukinen und Interferonen) und Lipidmediatoren (Thromboxan, Prostaglandine, Leukotriene und plättchenagglutinierender Faktor (PAF)). Direkt ursächlich für die Kreislaufdestabilisation sind unter anderem Gerinnungsstörung, Hemmung kathecholaminsensitiver Rezeptoren, Endothelzellschädigung und eine exzessive NO-Freisetzung. Dabei sind bei septischer Reaktion auf gramnegative Keime vor allem Makrophagen, auf grampositive Keime T-Lymphozyten maßgeblich.

Diagnostik

Zur Diagnosestellung Sepsis ist der Nachweis eines Erregers in Blutkultur, Trachealabstrich oder anderswo erforderlich. Mit Hilfe einer Untersuchung des Procalcitoninspiegels kann die Sepsis früh erkannt werden, allerdings ist dieser Test umstritten und kostenintensiv. Eine weitere Möglichkeit zur Früherkennung besteht durch die Bestimmung von Interleukin-6 oder Interleukin-8 und LBP (lipopolysaccharidbindendes Protein), wobei IL-6 der Hauptvermittler der Akutphasenreaktion ist und das LBP zur Differenzierung von bakteriellen und viralen Infektionen dient. Daneben ist die Bestimmung der Erreger auch mit der PCR-Methode möglich.

Bei Neugeborenen fällt die Sepsis oft durch Apathie und Trinkschwäche, blassen Teint und Blutdruckabfall mit kompensatorischer Steigerung der Herzfrequenz auf. Zur Diagnosesicherung kann man IL-6 oder IL-8, CRP (C-reaktives Protein) und PCT (Procalcitonin) bestimmen. Neuere Verfahren weisen ferner mögliche Erreger auf Basis einer PCR-Testung nach.

SIRS ist die unspezifische Systemreaktion, unter deren Zeichen ein Patient auffällig wird. Werden diese Zeichen gefunden, muss nach einem infektiösen Fokus gesucht werden. Gelingt es, in einem Untersuchungsverfahren Erreger (etwa durch Blutkultur, Trachealabstrich usw.) oder den Fokus direkt nachzuweisen, so ist die Diagnose "Sepsis" gestellt. Dieser Befund hat therapeutische Konsequenzen, unter anderem für die Verwendung von Antibiotika.

Therapie

Die schwere Sepsis mit Organbeteiligung und der septische Schock erfordern Behandlungsmethoden der Intensivmedizin.

Gesicherte (evidenzbasierte) Methoden sind:

  1. Sanierung des Fokus (beispielsweise auf chirurgischem Wege)
  2. Antibiotika: zuerst breite Abdeckung nach Verdacht; nach Vorliegen eines Antibiogramms (Resistenzprüfung) ggf. Wechsel auf eine spezifischere Antibiotikatherapie.
  3. reichliche Volumenzufuhr (kristalloide oder kolloide Flüssigkeiten ?) zur Einstellung eines ZVD > 8-12 mmHg [7][8] und Einstellung eines arteriellen Mitteldrucks auf > 75 mmHg. Falls die Volumensubstitution alleine nicht ausreicht, ist frühzeitig eine Therapie mit Vasopressoren und/ oder positiv inotropen Substanzen zu erwägen (Noradrenalin, Vasopressin); (Dobutamin [7] ,[9]) [7][8]. Die zentralvenöse Sauerstoffsättigung (wenn gemischtvenös nicht zur Verfügung steht) soll auf mindestens 70 % eingestellt bzw. gehalten werden [7].
  4. optimale Hb-Konzentration mit Hämatokrit >24-30 % (Hb 8-10g/dL). ggf. Gabe von Erythrozytenkonzentraten [8]
  5. Beatmung mit Tidalvolumen von 6 ml/kgKG [7] (Lungenprotektion). Strategie des "Open-Lung-Konzepts" mit Einstellung des PEEP oberhalb des Inflektionspunktes [10] mit Vermeidung der closing volume-Wirkung.
  6. intensivierte Insulintherapie durch engmaschige Überwachung und strenge Einstellung des Blutzuckers auf Werte von 80-110 mg/dl (4,4-6,1 mmol/l).

Weitere Therapieempfehlungen:

  1. Drotrecogin (Biotechnologisch rekombinant hergestelltes humanes aktiviertes Protein C) zur Modulation des Gerinnungssystems. Diese Therapieoption ist relativ neu und sehr teuer. Die Anwendung von Drotrecogin soll die Mortalität um 6 % senken (es müssen 16 Patienten behandelt werden, damit einer von ihnen auf der Grundlage von Drotrecogrin überlebt). In [11] werden die Voraussetzungen für eine Drotrecogin-Therapie genannt:
    1. Vorliegen eines SIRS
    2. Vorliegen einer bakteriellen Infektion
    3. Multiorganversagen durch Sepsis (mind. zwei Orgenversagen)
    4. Standardtherapie ist bereits eingeleitet.
  2. Hydrocortison bei V. a. Insuffizienz der Nebennierenrinde (Therapieempfehlung mit Evidenz, es gibt sinnvolle Anwendungstrategien [7][11]). Praktiker geben nach einem initialen Bolus von 100 mg dann 200mg Hydrocortison pro Tag als kontin. Infusion und finden ein besseres Ansprechen auf Katecholamine (Dobutamin, Noradrenalin) im septischen Schock.

Die jeweiligen Organbeteiligungen bei der schweren Sepsis erfordern oft unterstützend organersetzende Maßnahmen. Dazu gehören wie oben genannt die Beatmungstherapie und Nierenersatzverfahren.

Fachgesellschaften, Forschungsbereiche

Obwohl die Sepsis für viele Facharztgruppen ein relevantes Problem ist, wird Sepsis von keiner Medizin-Disziplin als Schwerpunktaufgabe begriffen. 2007 fand in München der "17th European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases" gemeinsam mit dem "25th International Congress of Chemotherapy" (ECCMID und ICC) statt. Wie schon in den Jahren zuvor war der ECCMID der bedeutendste Kongress zum Thema Infektionskrankheiten in Europa.

  • Deutsche Sepsis Gesellschaft
  • Europäische Gesellschaft für Intensivmedizin (ESICM)
  • Internationales Sepsis Forum (ISF)
  • Forschungsbereich „Infektionen und Sepsis“ im Genomforschungsnetz
  • Österreichische Sepsis Gesellschaft

Siehe auch

Bei der Abklärung folgender Krankheiten (bzw. Syndrom) ist auch an eine Sepsis zu denken:

Quellen

  1. Martin et al., The epidemiology of sepsis in the United States from 1979 through 2000. N Engl J Med 2003;248:1546-54
  2. Brunkhorst, FM: Epidemiologie, Ökonomie und Praxis - Ergebnisse der deutschen Prävalenzstudie des Kompetenznetzwerkes Sepsis (SepNet). Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie (AINS) 2006(41):43-44
  3. Schottmüller H. Verhandl dt Kongress Inn Med 1914; 31:257-80
  4. Schuster HP und Müller-Werdan U: Definition und Diagnose von Sepsis und Multiorganversagen in Sepsis und MODS, Springer Berlin Heidelberg (2005), ISBN 978-3-540-00004-4
  5. ACCP/SCCM Consensus Conference Committee. Definition for sepsis and organ failure and guidelines for the use of innovative therapies in sepsis. Crit Care Med 1992;20(6): 864-74.
  6. AWMF-Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), online
  7. a b c d e f A. Meier-Hellmann: Was ist gesichert an den neuen Sepsis-Medikamenten?, Anästh Intensivmed 2004;45;81-96
  8. a b c A. Sablotski und andere: Aktuelle Konzepte zur Reduktion der Mortalität bei schwerer Sepsis und Multiorganversagen, Anästh Intensivmed 2003;44;263-272
  9. E. Hüttemann und K. Reinhart: Pathogenese, Pathophysiologie der Sepsis als Grundlage der Therapie; in Eckart, Forst, Burchardi: Intensivmedizin, 2004, ecomed; ISBN 3-609-20177-0
  10. A. Sablotzki und andere: Sepsis - Die Behandlung: Tun wir das Richtige zur richtigen Zeit?, Journal für Anästhesie und Intensivbehandlung 2004;1;212
  11. a b C. Putensen, C. Thees und H. Wrigge: Aktiviertes Protein C - Was ist gesichert beim Patienten mit schwerer Sepsis?; in Eckart, Forst, Burchardi: Intensivmedizin, 2004, ecomed; ISBN 3-609-20177-0
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Sepsis aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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