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Schmerz
Ein veralteter Begriff für Schmerz ist die Pein (vergleiche englisch pain), fachsprachlich sagt man für physiologischen Schmerz auch die Algesie (Gegenwort: die Analgesie), in Wortverbindungen die -algie, die -algesie (alles von griechisch άλγος – Schmerz) oder die -odynie (von griechisch οδύνη – Schmerz). Die Sinneswahrnehmung des Schmerzes wird auch mit der lateinischen Nozizeption beschrieben. Die International Association for the Study of Pain definiert Schmerz folgendermaßen:
Diese für den Alltagsgebrauch ausreichende Beschreibung von akutem Schmerz ist inzwischen wesentlich erweitert worden. Bei chronischen Schmerzen werden komplexe Wechselwirkungen zwischen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren angenommen (biopsychosoziales Schmerzkonzept). Schmerz ist keine „Einbahnstraße“, bei der lediglich Signale aus dem Körper an das Gehirn übermittelt werden. Vielmehr sorgen Filterprozesse unseres Zentralnervensystems dafür, dass eine körperliche Schädigung nicht zwangsläufig zu Schmerz führt (Stressanalgesie; z. B. werden Verletzungen während eines Verkehrsunfalls, Wettkampfes, im Krieg oder beim Geschlechtsverkehr oft nicht bemerkt) und umgekehrt Schmerzen auch ohne körperliche Schädigung bestehen kann (z. B. Phantomschmerz). Schmerz ist demnach das, was der Patient als solchen empfindet. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
SchmerzentstehungNach ihrer Entstehung unterscheidet man Schmerzwahrnehmung durch Schmerzrezeptoren, Nervenschmerz, zentralen Schmerz und psychosomatischen Schmerz. Schmerzrezeptoren, meist freie Nervenenden, reagieren auf verschiedene Arten der Reizung:
Die Entstehung des Schmerzes läuft dabei folgendermaßen ab:
Alle Schmerzmediatoren erregen über spezifische Rezeptoren auch die Nozizeptoren, d. h. die freien Nervenendigungen, die für die Schmerzfortleitung verantwortlich sind. Durch diese Erregung kommt es zum Neurogenen Reflex, die Nozizeptoren schütten Nerve Growth Factor (NGF) und Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) (siehe: Nervenwachstumsfaktor) aus. Dies hat zwei Folgen:
Schmerzrezeptoren benötigen einen vergleichsweise starken Reiz um erregt zu werden und adaptieren nicht. Ein andauernder Reiz führt nicht zu einer Verminderung der Erregbarkeit. SchmerzleitungDie Nervenfasern, welche die Schmerzinformation weiterleiten, können in schnelle (A-Delta-Fasern, bis 20 m/s) und langsame (C-Fasern, ca. 2 m/s) unterteilt werden. C-Fasern sind entwicklungsgeschichtlich älter und besitzen keine isolierende Myelinscheide. Das erklärt die geringere Nervenleitungsgeschwindigkeit und die schwerer abgrenzbare Schmerzlokalisation („irgendwo am Unterschenkel“). Im Rückenmark kommt es einerseits zu Reflexverschaltungen, die eine Fluchtbewegung auslösen. Dabei ist der Schmerz noch nicht bewusst geworden (Zurückziehen der Hand, noch bevor die Herdplatte als heiß erkannt wurde). Andererseits gelangt die Information über den Vorderseitenstrang (Tractus spinothalamicus) in das Gehirn. In der Großhirnrinde (Kortex) wird der Schmerz bewusst und im limbischen System emotional bewertet. Die bewusste Schmerzwahrnehmung und genaue Lokalisation eines Schmerzes ist ein Lernprozess. Im sensiblen Cortex, genauer im Gyrus postcentralis, gibt es für jedes Hautareal repräsentative und zuständige Areale (sogenannter sensibler Homunculus), durch Erfahrungen wird ein Stich in den kleinen linken Finger auch sofort als ein solcher bewusst. Ein besonderes Phänomen ist der Übertragene Schmerz. Da auch die inneren Organe durch segmentale Spinalnerven (deren viszeroafferenter Anteil) innerviert sind, aber aufgrund der Seltenheit des Ereignisses und der Unkenntnis bzgl. der Lokalisation des tatsächlichen Schmerzortes (z. B. Gallenblase) ein Lernvorgang kaum stattfindet, werden Schmerzen aus inneren Organen vom Gehirn den Hautarealen (Dermatomen) oder der Muskulatur (Myotom) des entsprechenden Spinalnerven zugeordnet. Diese Bereiche an der Oberfläche werden auch als Headsche Zonen bezeichnet. Diese stimmen nicht immer mit der Lokalisation des entsprechenden Organs überein (die Gallenblase beispielsweise besitzt eine Headsche Zone in der rechten Schultergegend); ein ungefährer örtlicher Bezug ist jedoch die Regel (vgl. Brustschmerz beim Herzinfarkt). Während der Verschaltung im Rückenmark kann das Schmerzempfinden durch körpereigene Stoffe (Endorphine) reduziert werden. Einige Schmerzmittel, z. B. Opiate setzen an dieser Stelle an. SchmerzartenDie bisher beschriebene Schmerzart ist ein physiologischer Schmerz. Das bedeutet, dass das Schmerzempfinden als Warnsignal für die Körperfunktion sinnvoll ist. Dabei spricht man von Nozizeptorenschmerz. Davon abzugrenzen ist der neuropathische Schmerz, der auf Schädigungen des Nervensystems zurück geht (z. B. durch Amputation, Querschnittslähmung, virale Infektionskrankheiten oder Polyneuropathie, z. B. bei dauerhaft erhöhtem Blutzucker). Infolge reversibler funktioneller Störungen kommen Schmerzen ebenfalls vor. Teilsysteme des Körpers funktionieren fehlerhaft (z. B. Durchblutungsfehlregulation ist ein wesentlicher Faktor, der zu Migräne führt) oder die Reaktion des Körpers auf Einflüsse von außen (Stress, Angst, Ekel) ist unpassend. Weiterhin wird unterschieden in Deafferenzierungsschmerz (hemmende A-beta-Fasern fallen weg; vgl. Phantomschmerz), reflektorischen Schmerz (siehe auch chemisch-physiologischer Typ des RSI-Syndroms), psychosomatischen Schmerz (körperlicher Schmerz ist Ausdruck seelischer Belastung), viszeralen (dumpfer Schmerz, durch marklose C-Fasern aus den Eingeweiden übertragen) und somatischen Schmerz und oben kurz genanntem übertragenem Schmerz. Bei letzterem konvergieren Afferenzen aus der Haut und den Organen zusammen auf ein nach zentral ziehendes Neuron, so dass zentral keine Unterscheidung mehr möglich ist, ob der Schmerz aus der Körperoberfläche oder den Organen kommt. SchmerzqualitätenDas Schmerzempfinden ist immer subjektiv. Schmerzbeschreibungen lassen sich in affektive (ein Gefühl ausdrückend, z. B. quälend, marternd, lähmend, schrecklich, heftig) und sensorische (die Sinnesqualität betreffend: stechend, drückend, brennend) Aspekte unterteilen. Der affektive Aspekt kann weiterhin in eine unmittelbare emotionale Komponente und eine emotionale Langzeitkomponente aufgeteilt werden. Der Arzt fragt diese im Patientengespräch ab und erhält so Hinweise auf Art und Ursache des Schmerzes. Diese drei Qualitäten werden verschiedenen Hirnarealen zugeschrieben:
Mit einer Selbsteinschätzungsskala zur Beurteilung von Schmerzen lässt sich das im subjektiv vergleichbaren Bereich darstellen. Z. B. Numerische Rating-Skala (kurz: NRS) oder die Visual Analogue Scale (VAS). Bei der Fremdbeobachtung lassen sich (z. B. Doloplus-Skala, Saint-Antoine-QDSA) über Schmerzfragebogen subjektive und objektive Veränderungen erfassen (Muskelanspannung, Bewegungsabläufe verändert). Zwar gibt bis heute dafür keine validierten Skalen. Trotzdem ist es wichtig, die Schmerzen – auch von Patienten, die sich nicht äußern können – wiederholt zu beurteilen, um die Therapie zu verbessern. Dabei sind in der Regel mindestens zwei Erhebungen erforderlich: eine vor und eine während der Behandlung. Der relative Vergleich ist für den individuellen Patienten aussagekräftig. Chronischer SchmerzSchmerzen begleiten oft Erkrankungen oder Verletzungen, werden aber inzwischen selbst als Krankheit verstanden. Der Schmerz besteht dabei über Monate und das Grundleiden ist entweder schwer bzw. nicht therapierbar oder eine Ursache für den Schmerz nicht auffindbar (idiopathisch). Schmerzen ohne klare Ursache sind keine Ausnahme, sondern die Regel: Bei Rückenschmerzen lassen sich in 80 von 100 Fällen keine krankhaften körperlichen Veränderungen finden. Die „Bandscheibe“ ist selten (unter 10 von 100) die Ursache von Rückenschmerz. Die häufigsten Kopfschmerzen sind sog. „primäre“ Kopfschmerzen, d. h. sie sind ebenfalls nicht als Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung zu verstehen, sondern bestehen ohne klare krankhafte Veränderungen. Von chronischem Schmerz spricht man dann, wenn die Beschwerden länger als sechs Monate anhalten. Auswirkungen auf die psychische Verfassung des chronisch Schmerzkranken sind die Regel. Schmerzzustände sind für den Körper erlernbar. Wiederholt auftretende Schmerzen führen dabei zu intensiverem und längerem Schmerzempfinden, da dabei die Schmerzschwelle herabgesetzt wird. Deshalb ist eine frühzeitige und ausreichende Schmerzbekämpfung mit Medikamenten wichtig. Untersuchungen haben ergeben, dass in Deutschland gegenüber anderen Ländern Schmerzen oft unzureichend therapiert werden. Dies gilt vorwiegend für Patienten mit Schmerzen bei Krebserkrankungen und nach operativen Eingriffen. Dies geht wahrscheinlich auf die tief verwurzelte und oft überbewertete Angst vor Abhängigkeit von Schmerzmedikamenten zurück. Außerdem spielt sicherlich der im Vergleich zu anderen Ländern höhere „bürokratisch-organisatorische Aufwand“ bei der Anordnung/Gabe der Medikamente eine entscheidende Rolle (Pflegekraft-Arzt-Konflikt). Des weiteren existiert in Deutschland noch keine breite Evidenzbasis, auf die klare Standards zum Schmerzmanagement aufgebaut werden könnten. Es ist daher bei chronifizierten Schmerzen im besonderen Maße erforderlich, eine hoch individuelle (medikamentöse) Therapie zu entwickeln, die genügend Spielraum lässt, um auf variierende Schmerzzustände reagieren zu können. Eine andere Form der Bekämpfung von chronischen Schmerzen ist die Verhaltenstherapeutische Hypnose, die außerdem den Medikamentenkonsum der Patienten stark herabsetzt. Während der verhaltenstherapeutische Ansatz eher eine Schmerzbewältigungsstrategie bei organisch bedingten Schmerzen darstellt, ist die psychodynamisch-interaktionelle Gruppentherapie eine Möglichkeit zur ursächlichen Behandlung sog. somatoformer Schmerzstörungen. Jeder vierte Patient mit Angststörung klagt über chronische Schmerzen. [1] Beispiele von Erkrankungen mit SchmerzenKopfschmerzenFolgende Kopfschmerzen können unterschieden werden:
Gesichtsschmerzen
RückenschmerzenRückenschmerzen stellen die häufigste Ursache für eine vorzeitige Pensionierung dar und sind nach Problemen aufgrund Erkrankungen der Atemwege die zweithäufigste Ursache für Arztbesuche. Probleme im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) werden dabei als „Nackenschmerzen“ bezeichnet. Werden Schmerzen im Bereich der gesamten Wirbelsäule als Kriterium herangezogen, unterteilt man in
Gelenkschmerzen
Muskuläre SchmerzsyndromeEntzündliche Schmerzerkrankungen
NervenschädigungenVon erkrankten Nerven ausgehende Schmerzen heißen allgemein Neuralgien, einige spezielle sind:
Sympathalgien (vom sympathischen Nervensystem ausgehende Schmerzen)
Bauchschmerzen
Sonstige Schmerzarten
SchmerzbehandlungDie Algesiologie ist die Wissenschaft, die sich mit der Beseitigung von Schmerzen befasst. Die spezifische Behandlung von Schmerzen wird auch Schmerztherapie genannt. Die moderne Schmerztherapie basiert vor allem auf Forschungen der Hospizbewegung. Die Primärtherapie befasst sich sowohl mit physischen als auch psychischen Traumata und stellt daher insbesondere eine Spätbehandlung traumatischer Erlebnisse. Zur Akutbehandlung ist diese Therapieform allerdings nicht geeignet. Schmerztheorien
Literatur
Siehe auchQuellen
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- Eintrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (Englisch, inkl. Literaturangaben)
- www.wissenschaft.de: Warum positives Denken Schmerzen lindert
- EPIC-Studie: Schmerzbehandlung bei Krebspatienten ein Desaster. Quelle: LifeGen.de
- Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.
- Deutsche Schmerzliga e. V.
- Deutsche Schmerzhilfe e. V.: Schmerz – Symptom oder Krankheit?
- Gefangen im Schmerz – Übersetzung des Buchs Prisoners of Pain von Arthur Janov, in der die höchst umstrittene Hypothese einer psychischen Genese von Schmerz vertreten wird (vgl. Primärtherapie)
- Ein NZZ Folio zum Thema Schmerz. Unter anderem über die Geschichte des Morphiums, Schmerzkliniken und den Weltmeister im Chiliessen.
- Schmerz in der Medizin — Telepolis Artikel
Videos/Audio
- Manfred Spitzer: Tun Gefühle weh?. RealVideo aus der BR-alpha-Reihe Geist und Gehirn. (ca. 15 Minuten)
- Die peinliche Pein – vom gesellschaftlichen Umgang mit Schmerzen, HR2 – MP3 Beitrag
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Kategorien: Allgemeinmedizin | Schmerztherapie | Krankheitssymptom