Meine Merkliste
my.bionity.com  
Login  

Schreibaby



  Schreibaby, manchmal auch Schreikind wird ein sonst gesunder Säugling genannt, der überdurchschnittlich oft und lange schreit. Das Schreien wird außerdem als unstillbar eingestuft. Da das Phänomen zumeist nach den ersten drei Lebensmonaten verschwindet und kolikartige Bauchbeschwerden als Ursache unterstellt werden, wird es häufig auch mit den Bezeichnungen Dreimonatskolik, Trimenonkolik oder Säuglingskolik benannt. Zur Ursache gibt es bisher nur Theorien und keine bewiesenen Tatsachen. Das außergewöhnliche Schreien belastet aber die betroffenen Familien sehr. Daher ist eine Behandlung im wesentlichen in Form einer Strukturierung des Tagesablaufes und Entlastung der Eltern wichtig.

Inhaltsverzeichnis

Definition und Epidemiologie

Alle Säuglinge schreien in den ersten Lebensmonaten eine gewisse Zeit des Tages. Eine Gesamtdauer von 60 Minuten am Tag gilt als normal. Bis zum Alter von sechs Wochen nimmt die Schreidauer zunächst zu und dann bis zum Alter von drei Monaten allmählich wieder ab. Als Schreibabys werden Kinder eingestuft, die über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen an mindestens drei Tagen pro Woche mehr als 3 Stunden pro Tag schreien und sich nicht beruhigen lassen [1]. Eine solche einheitliche Definition ist zur Vergleichbarkeit von Studien unabdingbar. Von verschiedenen Therapeuten wird die Berücksichtigung allein der Schreidauer jedoch als problematisch angesehen, da es für betroffene Eltern eher auf die subjektiv empfundene Belastung als auf die objektiv messbare Schreidauer ankommt. Je nach Studie sind von diesem Problem 8–29 % aller gesunden Säuglinge betroffen. [2] Die überwiegende Zahl der Kinder verliert die Symptomatik entsprechend dem Rückgang der normalen Schreiphasen im Alter von drei Monaten. Bei etwa 4 % bleibt sie aber bestehen. Dies gilt als ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung weiterer Verhaltensauffälligkeiten. [3]

Schreibaby oder Dreimonatskolik?

Die von Wessel 1954 formulierten und nach ihm benannten Kriterien werden auch heute noch in der englischsprachigen Literatur allgemein zur Definition von Dreimonatskoliken (englisch infant colic) herangezogen. Der Titel der Originalarbeit lautet übersetzt soviel wie Anfallsartige Aufregungszustände im Säuglingsalter, manchmal „Kolik“ genannt. Dies legt nahe, dass sich hinter dem Begriff der Dreimonatskolik eben zunächst einmal nichts anderes verbirgt, als ein Säugling, der aus unerklärlichen Gründen überdurchschnittlich viel schreit. Der Begriff „Kolik“ suggeriert aber eine konkrete Ursache für die Symptomatik, obwohl keineswegs schlüssig nachgewiesen ist, dass das übermäßige Schreien tatsächlich in der Mehrzahl der Fälle durch kolikartige Beschwerden hervorgerufen wird.

Ursache

Eine klare Ursache für das Auftreten von exzessivem Schreien ist nirgends wirklich belegt. Vermutlich spielen viele verschiedene Faktoren zusammen, die dazu führen, dass das eine Baby vermehrt schreit und das andere nicht. Grundsätzlich gehört Schreien zur normalen Entwicklung eines Säuglings. Daher stellen verschiedene Autoren mittlerweile die These auf, dass übermäßiges Schreien als eine Anpassungsstörung des Säuglings an das Leben außerhalb des Mutterleibes aufzufassen ist. [4] Diese Auffassung wird dadurch gestützt, dass mit dem Abklingen der Schreiphasen ein sichtbarer Entwicklungsschub einhergeht. Jede Störung der normalen Anpassung des Neugeborenen an das Leben außerhalb des Mutterleibs könnte demnach prinzipiell auch zur Entwicklung exzessiven Schreiens beitragen. Eine Münchner Arbeitsgruppe konnte aktuell in einer Studie zeigen, dass negative lebensverändernde Erfahrungen der Mütter während der Schwangerschaft mit vermehrtem exzessiven Schreien der Kinder nach der Geburt einhergeht.[5]

Die Häufigkeit unstillbaren Schreiens ist andererseits in der Regel nicht durch die Art der elterlichen Zuwendung beeinflussbar und daher nicht durch mangelhafte elterliche Fürsorge erklärbar. [6] Dennoch haben Eltern von Schreibabys oft Schuldgefühle, da sie das Kind nicht beruhigen können. Häufig werden die vermehrten Schreiphasen der Babys als kolikartige Störungen der noch unreifen Magen-Darm-Funktion gedeutet, was in der verbreiteten „Diagnose“ Dreimonatskoliken zum Ausdruck kommt. Erklärungsmodelle beziehen sich dementsprechend beispielsweise auf Blähungen (Meteorismus) oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Seit den 1990er Jahren werden solch einseitige Erklärungsmodelle aber zunehmend in Frage gestellt. In einer Münchner Studie fanden die Forscher nur bei jedem fünften Schreikind einen exzessiven Meteorismus. Zwischen einer Kontrollgruppe und den betreuten Schreikindern bestand kein Unterschied bezüglich der Häufigkeit einer Unverträglichkeit von Kuhmilchbestandteilen, atopischer Erkrankungen oder eines Rückflusses von saurem Magensaft in die Speiseröhre (gastroösophagealer Reflux)[2]. Eine häufige alternativmedizinische Auffassung besagt, das Schreien werde durch eine Blockierung von Wirbelgelenken im Bereich der Halswirbelsäule verursacht. Diese Störung wird als KISS-Syndrom bezeichnet und soll sich durch manuelle Therapie beheben lassen. Jedoch ist innerhalb der wissenschaftlichen Medizin weder anerkannt, dass es eine solche Störung tatsächlich gibt noch dass sie eine Ursache für vermehrtes Schreien darstellt.

Übermüdung ist eine weitere Ursache für häufiges Schreien. Wenn der richtige Zeitpunkt zum Einschlafen verpasst wird, beginnt oft eine Schreiphase, während der es besonders schwierig ist, das Baby zum Schlafen zu bewegen[7]. Hier ist es vorrangig nötig, das Schlafproblem zu beheben, meist reduziert dies die Schreiphasen erheblich. Manche Babys können in der heute empfohlenen Rückenlage nur schlecht ein- und durchschlafen. Hier kann Pucken in vielen Fällen helfen, und verhindert, dass die Eltern zur Bauchlage des Babys wechseln, welche das Risiko des plötzlichen Kindstods erheblich erhöht. Auch ist ein eindeutiger, für das Baby verlässlicher Rhythmus hilfreich, der aussehen könnte wie folgt:[8]
• Aufwachen, hochgenommen werden
• Stillen/füttern
• Wickeln, spielen mit Eltern
• Alleine spielen
• Bei den ersten Müdigkeitszeichen (quengeln, gähnen, Augen reiben, blass werden, lebhafter werden, Blickkontakt abbrechen, ...) wach ins Bett legen, dabei ggf. pucken. Das Pucktuch erinnert das Baby an die Gebärmutter und wird in den meisten Fällen schon bald vom Baby als eindeutiges Zeichen erkannt, dass nun Schlafenszeit ist.

Symptome

Definitionsgemäß besteht das führende Symptom in übermäßigem unstillbarem Schreien für mehr als drei Stunden an mindestens drei Tagen in der Woche über mindestens drei Wochen. Ein Grund für das Schreien ist nicht erkennbar. Das Gesicht läuft rot an, der Rumpf wird nach hinten überstreckt und Arme und Beine mit erhöhter Muskelspannung angewinkelt. Typischerweise treten die Schreiphasen gehäuft in den Abendstunden auf. Daneben werden gegenüber einer Kontrollgruppe mit normalem Schreiverhalten gehäuft Probleme bei der Nahrungsaufnahme, kürzere Schlafdauer und Auffälligkeiten bei der Untersuchung des motorischen Entwicklungsstandes beobachtet. [2] Diese Entwicklungsdefizite waren allerdings im Alter von einem Jahr nicht mehr erkennbar.

Diagnose

Da das übermäßige Schreien natürlich auch verschiedene durch krankhaft Organveränderungen bedingte Ursachen haben kann, sollen Schreikinder auf jeden Fall bei einem Kinderarzt vorgestellt werden. Kann keine zugrundeliegende Krankheit festgestellt werden, sollte besonders auf Mängel in der motorischen Entwicklung geachtet werden, wie sie bei Schreibabys gehäuft vorkommen. Verhaltensprotokolle dienen nicht nur der Dokumentation von Schrei- und Unruhephasen sondern sollen auch Schlafphasen, Art und Weise, in der die Eltern die Babys zu beruhigen versuchen, und spielerische Interaktionen erfassen. Eine Verhaltensbeobachtung idealerweise auch während einer Füttersituation vervollständigt die Diagnostik. Besonderes Augenmerk sollte auch auf die seelische und soziale Belastungssituation der Familie gerichtet sein, die durch die Schreiphasen erheblich sein kann.

Therapie

Wie bei vielen Krankheitsbildern, für die eine Ursache noch nicht eindeutig geklärt ist, gibt es auch für Schreibabys beziehungsweise Dreimonatskoliken zahlreiche unterschiedliche Therapieempfehlungen. Da verschieden Autoren vermehrtes Schreien als Risikofaktor für die spätere Entwicklung von weiteren Verhaltensauffälligkeiten wie Schlaf- und Essstörungen identifiziert haben,[9] ist eine unterstützende Behandlung der Eltern auch unter prophylaktischen Gesichtspunkten dringend erforderlich. Andererseits sollten die ohnehin belasteten Eltern vor unsinnigen, weil wirkungslosen Maßnahmen geschützt werden.

Eine amerikanische Übersichtsarbeit hat versucht, alle verfügbaren Therapiestudien daraufhin zu analysieren, welche Behandlung nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten tatsächlich wirksam ist [10]. Unter verschiedenen zum Einsatz kommenden Medikamenten zeigte lediglich Dicyclomin, eine Substanz aus der Gruppe der Anticholinergika, einen messbaren Effekt. Allerdings ist es in Deutschland nicht erhältlich und hat selbst in den USA und Kanada wegen vereinzelter ernsthafter Nebenwirkungen für die entscheidende Altersgruppe unter sechs Monaten keine Zulassung. Als wirkungslos wurden die auch in Deutschland weit verbreiteten Simeticon-Präparate wie auch das ebenfalls zu den Anticholinergika gehörende Scopolamin eingestuft. Besser als die Medikamente schneiden tatsächlich Kräutertees ab. Eine Teemischung aus Kamille, Süßholz, Eisenkraut, Fenchel und Zitronenmelisse konnte in einer Studie gegenüber Placebo eine mehr als doppelt so häufige Reduktion der Schreiphasen zeigen.[11] Einen gewissen Erfolg - möglicherweise in besonderem Ausmaß in einer bestimmten Untergruppe der betroffenen Säuglinge mit allergischer Veranlagung - versprechen auch diätetische Maßnahmen in Form einer Vermeidung von Kuhmilch. Hierbei scheinen die in ihrer allergieauslösenden Eigenschaft abgeschwächten hypoallergenen Flaschennahrungen den Soja-Milch-Zubereitungen überlegen zu sein [10]. Auch eine besondere Wickelmethode, das Pucken, bei dem die Säuglinge eng in ein oder zwei Tücher eingewickelt werden, kann nicht nur die Schlafdauer verbessern, sondern auch die Schreidauer reduzieren.[12] Übliche verhaltensbeeinflussende Behandlungskonzepte, die auf eine Beratung über die normale Entwicklung und die Möglichkeiten, diese zu fördern sowie eine Strukturierung des Tagesablaufs abzielen, konnten ihre alleinige Wirksamkeit nicht unter Beweis stellen. Genauso unwirksam sind andere verhaltensändernde Maßnahmen wie vermehrtes Tragen oder Einsatz eines Autofahrt-Simulators [10].

Dennoch zielen die derzeitigen Therapieempfehlungen darauf ab, durch angemessenes Handling - damit ist eine bewusste, entwicklungsfördernde Art des Umganges mit dem Säugling in Alltagssituationen gemeint - die motorischen Defizite auszugleichen. Durch einen regelmäßig strukturierten Tagesablauf mit gleichmäßigem Wechsel von Wach-, Ruhe- und Schlafphasen soll eine Reizreduktion erreicht werden. Diese kann die Schreiphasen signifikant reduzieren. Die kritischen Abendstunden können gegebenenfalls durch Spaziergänge überbrückt werden. Die durch das Schreien ohnehin stark belasteten Mütter und Väter sollen lernen, sich selbst eine Auszeit zu nehmen, während deren sie sich selbst bewusst entspannen, bevor sie das Kind beruhigen. Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass es kein Patentrezept für die Beruhigung des Säuglings gibt und die Maßnahmen auf die individuelle Belastungssituation abgestimmt sein sollten.[2] In vielen Städten sind mittlerweile Schreiambulanzen eingerichtet worden, an die sich betroffene Eltern wenden können. Jegliche Schuldzuweisung in Form von Erklärungsversuchen, das übermäßige Schreien sei Folge einer belasteten Schwangerschaft oder Geburt, sind kontraproduktiv.

Quellen

  1. M. Wessel et al.: Paroxysmal fussing in infancy, sometimes called “colic.” In: Pediatrics 1954; 14:421–435
  2. a b c d N. von Hofacker et. Al.: Rätsel der Säuglingskoliken. In: Monatsschrift Kinderheilkunde 1999; 147:244-253
  3. Kein Bagatellfall: Das Schreikind. In: pädiatrie hautnah 2000; 9:363 (Bericht einer Sitzung auf der 49. Jahrestagung der Süddeutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin 20.05.200, München)
  4. K. Betke: Rezidivierendes Bauchweh bei Kindern und die sogenannte Dreimonatskolik. In: pädiatrische praxis 1997/98; 53:473-480
  5. H. Wurmser et al.: Association between life stress during pregnancy and infant crying in the first six months postpartum: a prospective longitudinal study. In: Early Hum Dev. 2006; 82:641-649 PMID 16472948
  6. I. St James-Roberts et al.: Infant crying and sleeping in London, Copenhagen and when parents adopt a "proximal" form of care. In: Pediatrics. 2006; 117(6):e1147-1155 PMID 16740816
  7. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Gute Voraussetzungen für den Schlaf Ihres Babys http://www.kindergesundheit-info.de/581.0.html
  8. Ria Blom: Wenn Babys häufig schreien, ISBN 3-7725-5020-7
  9. R. von Kries et al.: Excessive crying beyond 3 months may herald other features of multiple regulatory problems. In: Arch Pediatr Adolesc Med. 2006 1605:508-511. PMID 16651494
  10. a b c M. Garrison, D. Christakis: A Systematic Review of Treatments for Infant Colic. In: Pediatrics 2000; 106:184-190 Volltext online (englisch)
  11. Z. Weizman et al.: Efficacy of herbal tea preparation in infantile colic. In: J Pediatr. 1993;122:650–652
  12. S. Ohgi et al.: Randomised controlled trial of swaddling versus massage in the management of excessive crying in infants with cerebral injuries In: Arch. Dis. Child. 2004; 89:212-216
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Schreibaby aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
Ihr Bowser ist nicht aktuell. Microsoft Internet Explorer 6.0 unterstützt einige Funktionen auf ie.DE nicht.