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Sándor Ferenczi



 

Sándor Ferenczi (* 7. Juli 1873 Miskolc, † 22. Mai 1933 Budapest) war ein ungarischer Nervenarzt und Psychoanalytiker. Er war der fünfte von sieben Söhnen des Baruch Fränkel und seiner Ehefrau Rosa (geb. Eibenschütz) und hatte vier Schwestern. Sein Vater, der aus dem polnischen Galizien stammte, ließ seinen Namen 1879 zu Bernát Ferenczi magyarisieren.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ferenczi absolvierte die protestantische Schule in Budapest und studierte anschließend in Wien Medizin. Nach der Promotion 1894 war er am Budapester Hospital Szent Erzsébet als Neurologe tätig. Er hatte sich längere Zeit mit den psychoanalytischen Schriften Freuds auseinandergesetzt, bevor er Freud Anfang 1908 in Wien aufsuchte und dessen Schüler wurde.

Auf dem ersten Kongress, den die junge, sich gerade erst organisierende psychoanalytische Bewegung am 27. April 1908 in Salzburg veranstaltete, hielt Ferenczi einen Vortrag, Psychoanalyse und Pädagogik, in dem er eine revolutionäre Programmatik als Konsequenz der Freudschen Psychoanalyse entwarf. Die durch Freuds Erkenntnisse ermöglichte "innere Revolution", meinte er damals, könne "die erste Revolution [sein], die der Menschheit eine wirkliche Erleichterung schüfe." Die gleiche Position vertrat auf diesem Kongress auch Otto Gross. Freud war allerdings strikt gegen eine solche Perspektive und wollte sich auf keine Diskussion einlassen: "Wir sind Ärzte und wollen Ärzte bleiben." Gross insistierte und wurde exmittiert; Ferenczi konzentrierte sich fortan auf die klinische Arbeit und wurde zum engsten Mitarbeiter und persönlichen Freund Freuds.

Ferenczi entwickelte sich zu einem der produktivsten und kreativsten Psychoanalytiker. Er hat viele Ideen der erst Jahrzehnte später ausgearbeiteten Objektbeziehungstheorie und Psychotraumatologie in seinen Schriften vorweggenommen. Einen bedeutenden Stellenwert in seiner Theorie haben die Betonung der wichtigen Rolle realer Kindheitserfahrungen in der Ätiologie von psychischen Störungen sowie die Entstehung des archaischen Über-Ichs durch Introjektion des traumatisierenden Objekts (Super-Ego-Intropression). Als Erster thematisierte und beschrieb Ferenczi 1932 - unbenannt im Gegensatz zu Freud - in einem seiner letzten Vorträge mit dem Titel Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind den Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor um schwere traumatisierende Gewalterfahrungen zu überleben. Gemeinsam mit dem Wiener Psychoanalytiker Otto Rank propagierte er in der Schrift Entwicklungsziele der Psychoanalyse (1924) eine aktivere Behandlungstechnik mit stärkerem Engagement des Psychoanalytikers.

  • siehe auch Reparenting

Ferenczis eigenständige Entwicklungen in der therapeutischen Technik führten in den 20er Jahren zur Trübung seines guten Verhältnisses zu Freud. In seinen letzten Lebensjahren kam er auch auf das einst aufgegebene Programm zurück, mittels der psychoanalytischen Erkenntnisse eine "innere Revolution" als neue Etappe der Aufklärung zu konzipieren. Einst hatte er die dem Kinde erzieherisch introjizierten "inappellierbaren Prinzipien" als Nährboden der Neurose und deshalb als untaugliche Instanz zur Verhaltenssteuerung des Erwachsenen angesehen. Daraus wäre eine Pädagogik der Neurosenprophylaxe zu entwickeln gewesen. Gegen Ende seines Lebens wagte er nun, mit einem neuen Freudschen Begriff gegen Freuds Intentionen, den "Abbau des Über-Ich" als Ziel einer konsequenten Analyse zu postulieren. Den nächsten Schritt, die Forderung aufzustellen, dass der Aufbau dieses Über-Ichs, d.h. die Introjektion "inappellierbarer Prinzipien", von vornherein zu verhindern sei, tat er nicht mehr.

1993 wurde zum Ferenczi-Jahr ausgerufen. [1]

Schriften und Briefe

  • Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen (Sammelband mit Beiträgen von Ferenczi und anderen), Wien : Internat. Psychoanalyt. Verl., 1919
  • Sándor Ferenczi : Populäre Vorträge über Psychoanalyse, Leipzig ; Wien ; Zürich : Internationaler psychoanalytischer Verlag, 1922 - 9 Vorträge wurden wieder aufgenommen in: Zur Erkenntnis des Unbewussten, Schriften zur Psychoanalyse III, hrg. von Helmut Dahmer, Frankfurt am Main: Fischer, Neuaufl.: Giessen: Psychosozial-Verlag 2005
  • Sándor Ferenczi / Otto Rank: Entwicklungsziele der Psychoanalyse : zur Wechselbeziehung von Theorie und Praxis, Wien : Internat. Psychoanalyt. Verl., 1924; Neuausgabe: Wien : Turia und Kant, 1995
  • Sándor Ferenczi: Versuch einer Genitaltheorie, Wien : Internationaler Psychoanalyt. Verlag, 1924
  • Sándor Ferenczi: Zur Psychoanalyse von Sexualgewohnheiten (mit Beiträgen zur therapeutischen Technik), Wien : Internat. Psychoanalyt. Verlag, 1925
  • Sandor Ferenczi, Bausteine zur Psychoanalyse, Vier Bände, Leipzig - Wien - Zürich und Bern , Internationaler Psychoanalytischer Verlag und Huber Verlag. 1927-1939
  • Sándor Ferenczi: Schriften zur Psychoanalyse, Auswahl in 2 Bden., Hrsg. u. eingel. von Michael Balint. - Frankfurt a.M. : S. Fischer, 1970, Letzter Nachdruck: Giessen: Psychosozial Verlag, 2004
  • Sigmund Freud / Sándor Ferenczi: Briefwechsel. Herausgegeben von Ernst Falzeder und Eva Brabant. Wien (u.a.): Böhlau-Verlag.
    • Band I/1, 1908-1911 (1993)
    • Band I/2, 1912-1914 (1993)
    • Band II/1, 1914-1916 (1996)
    • Band II/2, 1917-1919 (1996)
    • Band III/1, 1920-1924 (2003)
    • Band III/2, 1925-1933 (2005)
  • Sandor Ferenczi/Georg Groddeck: Briefwechsel 1921 - 1933., dt. Erstausgabe: Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1986, ISBN 3-596-26786-2
  • Sandor Ferenczi: Ohne Sympathie keine Heilung: Das klinische Tagebuch von 1932, Frankfurt am Main : S. Fischer, 1988, Taschenbuchausgabe: 1999, ISBN 3596142695

Sekundärliteratur

  • Ferenczi's Turn in Psychoanalysis, hrg. von Peter L. Rudnytsky, Patrizia Giampieri-Deutsch und Antal Bokay, New York University Press, New Ed. 2000
  • Michael Balint: "Die technischen Experimente Sandor Ferenczis" in Psyche, 20. Jahrgang, S. 904 – 925
  • Paul Harmat: Freud, Ferenczi und die ungarische Psychoanalyse, Tübingen: Ed. Diskord 1988. ISBN 3-89295-530-1
    (ung. Original: Harmat Pál: Freud, Ferenczi és a magyarországi pszichoanalísis, Bern 1986)
  • Andre Haynal, Die Technik- Debatte in der Psychoanalyse. Freud, Ferenczi, Balint, ( Geist und Psyche). Frankfurt am Main: Fischer-TB.-Vlg., 1989, Letzte Neuauflage: Giessen: Psychosozial-Verlag, 2001
  • Andre Haynal, Disappearing and Reviving: Sandor Ferenczi in the History of Psychoanalysis, Karnac Books, 2002
  • Marina Leitner, Ein gut gehütetes Geheimnis. Die Geschichte der psychoanalytischen Behandlungs-Technik von den Anfängen in Wien bis zur Gründung der Berliner Poliklinik im Jahr 1920, Bibliothek der Psychoanalyse, Giessen: Psychosozial-Verlag, 2001
  • Arnold Wm Rachman, Sandor Ferenczi: The Psychoanalyst of Tenderness and Passion, Jason Aronson 1995

Quellen

  1. Bedeutsame Akzentverschiebungen
Schriften über Ferenczi
  • Bernd A. Laska: Zum "revolutionären" Programm des jungen Ferenczi
  • Ludger Lütkehaus: Der Vater und sein verlorener Sohn Freud und Ferenczi: Zum Abschluss der Briefedition
  • Bernd Nitzschke: Der Herr Professor und sein lieber Sohn, zum Abschluss der Briefedition
  • P. Myers: Sándor Ferenczi and Patients’ Perceptions of Analysis
  • Sharon R. Kahn: Ferenczi's Mutual Analysis: A Case Where the Messenger was Killed and his Treasure Buried
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Sándor_Ferenczi aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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