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Plötzlicher SäuglingstodDer plötzliche Säuglingstod, plötzliche Kindstod oder Krippentod (lateinisch: Mors subita infantum) ist das unerwartete und nicht erklärliche Versterben eines Säuglings oder Kleinkindes, das zumeist in der (vermuteten) Schlafenszeit des Säuglings auftritt. In den Industrienationen gilt er als häufigste Todesursache von Kleinkindern jenseits der Neugeborenenperiode. Als Zeitraum, in dem der plötzliche Säuglingstod stattfinden kann, wird regelmäßig das erste Lebensjahr des Kindes angegeben; 2-6 % der Todesfälle ereignen sich allerdings noch nach dem ersten Geburtstag des Kleinkinds.[1] Der Begriff ist auch bekannt unter der englischen Abkürzung SIDS (Sudden Infant Death Syndrome). Eng verknüpft damit ist auch der Begriff des Near-SIDS oder Near-Missed-SIDS, was dem im deutschen häufiger gebrauchten ALTE (Apparently Life Threatening Event - offensichtlich lebensbedrohliches Ereignis) entspricht. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
DefinitionDer plötzliche Kindstod ist definiert als plötzlicher Tod eines Säuglings, für den trotz Autopsie und Untersuchung des Auffindeortes keine Ursache – wie zum Beispiel Krankheit oder Unfall – ermittelt werden kann. Es handelt sich also immer um eine Ausschlussdiagnose. Das heißt, dass der Kinderarzt oder Pathologe, manchmal auch der Rechtsmediziner (ungeklärte Todesart), alle anderen denkbaren natürlichen und nicht-natürlichen Todesursachen wie Infektionen, Stoffwechselstörungen, Blutungen (auch nach Schütteltrauma), Fehlbildungen und Unfälle (Vergiftung, Strom, Sturz, Unterkühlung, Ertrinken, ...) ausschließen muss und auch die klinische Vorgeschichte sowie die konkreten Todesumstände keinen richtungsweisenden Anhalt geben dürfen, bevor man vom plötzlichen Kindstod sprechen kann. Gleichzeitig heißt dies aber auch, dass man eine Ursache für den plötzlichen Kindstod nicht kennt, sondern es nur unterschiedliche Hypothesen dazu gibt. In den meisten Fällen findet der plötzliche Säuglingstod während der (vermuteteten) Schlafenszeit des Säuglings statt.[2] EpidemiologieDer plötzliche Säuglingstod stellt eine große Herausforderung für die kinderpathologische Forschung und die Präventivmedizin in der Kinderheilkunde dar. Im Jahr 2005 starben in Deutschland 323 Babys an plötzlichem Kindstod (Risiko: 0,04 %), im gleichen Zeitraum starben in Österreich von 78.190 geborenen Kindern 31 an SIDS (Risiko ebenfalls ~0,04 %). In Deutschland und Österreich ist der plötzliche Säuglingstod damit die häufigste Todesart im Kindesalter jenseits der Neugeborenenperiode.[3] Männliche Säuglinge sind mit 60% stärker betroffen als weibliche.[4] Zwei Drittel der Todesfälle ereignen sich in den Wintermonaten. Etwa 80% der Todesfälle ereignen sich vor dem sechsten Lebensmonat des Säuglings.[5] Dabei tritt der plötzliche Säuglingstod am häufigsten im zweiten bis vierten Lebensmonat des Säuglings auf. Risikofaktoren und RisikogruppenAuf der Grundlage von Befragungen und Statistiken versuchen Ärzte und Wissenschaftler Risikofaktoren und Risikogruppen für den Plötzlichen Säuglingstod festzustellen. RisikofaktorenDie meisten Risikofaktoren betreffen die Schlafumgebung des Kindes. Dazu zählen:
Darüber hinaus werden weitere Risikofaktoren untersucht und diskutiert. Hierzu gehört etwa schlechtes Hörvermögen des Säuglings, das im Rahmen eines Hörscreenings festgestellt werden kann.[6] RisikogruppenAls vom plötzlichen Säuglingstod besonders gefährdete Gruppen zeigen sich aufgrund bisheriger Studien Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht (Frühgeburten), Mehrlingsgeburten und Säuglinge mit mehreren älteren Geschwistern. Zudem gelten Kinder aus sozial benachteiligten Familien, Kinder besonders jünger Mütter (unter 20 Jahren) sowie Kinder Alleinerziehender als überdurchschnittlich gefährdet.[7] Auch bei Geschwisterkindern von am plötzlichen Kindstod bereits verstorbenen Kindern ist das Kindstodrisiko erhöht.[8] Als besonders gefährdet gelten überdies Säuglinge, die im Schlaf sehr stark schwitzen oder Säuglinge, die durch längere Atempausen auffallen. Ungewöhnliche Blässe des Kindes im Schlaf oder das blaue Anlaufen der Arme und Beine im Schlaf können ebenfalls Hinweise auf ein besonderes Risiko sein.[9] Als gefährdet gelten überdies Kinder, die bereits ein akut lebensbedrohliches Ereignis überlebt haben. Zu betonen ist allerdings, dass der plötzliche Säuglingstod im Einzelfall nicht vorhersehbar ist und sich in allen gesellschaftlichen Gruppen ereignet. Lediglich die statistische Häufung ist in den o.g. Risikogruppen erhöht. VorbeugungEine der wichtigsten und effektivsten Vorsorgemaßnahmen ist die Vermeidung bzw. Reduktion der bekannten Risikofaktoren durch die Eltern. Als vorbeugende Maßnahmen gelten:
Zudem wird empfohlen, Kinder im ersten Lebensjahr nicht im eigenen Zimmer, sondern mit den Eltern in einem Raum schlafen zu lassen. Allerdings gibt es unterschiedliche Ansichten über das gemeinsame Schlafen von Eltern und Kindern in einem Bett (sogenanntes Familienbett oder Co-Sleeping). Eine neuere Studie aus Schottland konnte nochmals zeigen, dass vor allem Säuglinge, die jünger als 11 Wochen alt sind, ein erhöhtes Risiko für den plötzlichen Säuglingstod haben, wenn sie das Bett mit den Eltern teilen. Dagegen sind z. B. in den USA beide Ansichten aufzufinden. Neuesten Studien zufolge soll das Saugen am Schnuller vorbeugende Wirkung haben.[11] Es gibt widersprüchliche Aussagen über den möglichen Nutzen, da den meisten Säuglingen der Schnuller bereits nach kurzer Schlafzeit aus dem Mund fällt. In Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden wurden die oben genannten vorbeugenden Maßnahmen sogar über das Fernsehen propagiert mit dem Erfolg, dass die Anzahl der Todesfälle merklich gesenkt werden konnte. In den Niederlanden hat sich etwa die Zahl der plötzlichen Kindstode von 1987 (0,91 pro 1000 Lebendgeborene) bis 2004 (0,09 pro 1000 Lebendgeborene) um den Faktor 10 verringert; die Niederlande haben damit die niedrigste Kindstodrate in der westlichen Welt.[12] In Deutschland wird seit 1991 die Rückenlage als Schlafposition für den Säugling empfohlen. Zwischen 1991 und 2002 hat sich die Zahl der Kindstodfälle daher auch in Deutschland von 1285 Fällen 1991 auf 367 Fälle im Jahr 2002 reduziert (von 1,55 auf 0,51 pro 1000 Lebendgeborene). Damit verdanken ca. 6.300 Babys in Deutschland zwischen 1991 und 2002 ihr Leben den veränderten Empfehlungen zur Schlafposition und anderen Präventivmaßnahmen.[13] Früher wurde gegen die Rückenlage beim Schlafen eingewandt, Kinder würden von dieser Lage eine Schädeldeformation bekommen. Untersuchungen an Kleinkindern belegen, dass von einer möglichen Deformation jedoch keine dauerhaften Veränderungen herrühren. Keinen Erfolg versprechen die Bewegungsmelder zum Überwachen schlafender Säuglinge. Verschiedene epidemiologische Untersuchungen konnten keinerlei Beweis erbringen, dass sich die Häufigkeit des plötzlichen Kindstods durch Überwachungsmaßnahmen beeinflussen lässt.[14][15] Daher gibt die Amerikanische Akademie für Pädiatrie auch die klare Empfehlung, dass Herz-Atem-Monitore nicht zur Vorbeugung des plötzlichen Kindstodes verordnet werden sollen.[16] ErklärungsversucheDie eigentliche Ursache für den plötzlichen Kindstod bleibt unbekannt. Eine Vielzahl von Mechanismen wird kontrovers diskutiert. Es gibt über zweihundert Theorien. Denkbar erscheint ein multifaktorielles Geschehen mit einem Zusammentreffen von äußeren Faktoren (wie zum Beispiel einer Infektion) und inneren Faktoren. Gestörter Blutfluss zum HirnstammIn einer im Jahr 2001 veröffentlichten Studie mit Ultraschalluntersuchungen an gesunden Kindern wurde vermutet, dass die Verminderung der Blutversorgung des Hirnstammes eine Ursache für den plötzlichen Kindstod sein könnte.[17] Die Mangelversorgung kann bei einem kleinen Anteil der gesunden Babys (ca. 0,3%) bereits durch ein seitliches Drehen des Kopfes in Bauchlage provoziert werden. Dazu wurden bei 14.300 Babys Ultraschallmessungen in verschiedenen Liegepositionen durchgeführt und das Blutgefäß von der Wirbelsäule zum Gehirn untersucht. Bislang wurde diese Theorie in der Literatur nicht bestätigt. BotulismustheorieHier wird die Auffassung vertreten, dass eine Ursache für den plötzlichen Kindstod der Krankheitserreger Clostridium botulinum sei, der z.B. in verunreinigtem Honig vorkommen kann. C. botulinum bildet ein lähmendes Gift, das Botulinumtoxin, das das Krankheitsbild des Botulismus verursacht. Nach dieser Theorie sei die Dosis, welche davon im Honig vorhanden ist, für Erwachsene völlig harmlos. Beim Säugling jedoch sei die Darmflora noch nicht ausgereift und biete dem Bakterium eine Umgebung für die Vermehrung und Toxinbildung. Das Toxin gelange in den Blutkreislauf und bewirke eine Atemlähmung. Tatsächlich konnte in einer Serie von Autopsiefällen C. botulinum bei 4,3 % der 211 am plötzlichen Kindstod verstorbenen Kinder nachgewiesen werden.[18] Einer deutschen Forschungsgruppe gelang der Nachweis von Botulinumtoxin bei 9 von 75 Autopsiefällen (davon 57 am plötzlichen Kindstod verstorbene Kinder).[19] Toxische GaseEnde des 19. Jahrhunderts wurde Bartolomeo Gosio mit der Untersuchung des plötzlichen Kindstods beauftragt und entdeckte, dass der Microascus brevicaulis bei der Zersetzung von Tapeten, die arsenhaltige Farben enthalten, ein lebensbedrohliches Gas freisetzen, das Frederick Challenger als Trimethylarsin identifizierte. Im Jahre 1990 veröffentlichte Barry A. Richardson, dass er den Arsenpilz auch in sämtlichen Matratzen von 45 unter SIDS-Umständen verstorbenen Babys nachweisen konnte. Betroffen seien die Stellen, an den Wärme und Feuchtigkeit die Entwicklung begünstigen.[20] Er vermutete, dass der Pilz in den Matratzen, die Flammschutzmittel oder Weichmacher enthalten, giftige Gase freisetzen und SIDS verursachen könne.[21] Eine vom englischen Department of Health 1994 bestellte Expertengruppe konnte den Erreger nicht nachweisen und ging in ihrem Bericht (Limerick-Report) vom Mai 1998 von Fehlern Richardsons aus.[22] Auch Warnock konnte 1995 den Pilz nicht nachweisen.[23] Richardsons gab im Juni 1998 eine umfangreiche Stellungnahme zum Limerick-Report ab, in der er unter anderem erklärte, dass - anders als im Limerick-Report behauptet - die Experimente nicht nach seinen Vorgaben durchgeführt wurden.[24] Diese Stellungname wurde nicht an das Forschungsteam weitergeleitet und auch sonst nicht weiter beachtet.[25][26] Seit Veröffentlichung des Limerick-Reports gilt daher die Theorie der giftigen Gase auch auf internationaler Ebene als widerlegt. Daran konnte auch 2002 eine schottische Studie nichts ändern, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen gebrauchten Matratzen und dem plötzlichen Kindstod nachwies.[27] ImpfungenVon Impfgegnern ist ein möglicher Zusammenhang des plötzlichen Kindstodes mit Impfungen, insbesondere der Sechsfachimpfung diskutiert worden. Nach Einführung der Sechsfachimpfstoffe im Herbst 2000 in Europa waren fünf Kinder innerhalb von 24 Stunden nach der Impfung plötzlich und unerklärt verstorben; bis zu diesem Zeitpunkt waren in Europa ca. 3 Millionen Kinder mit Sechsfachimpfstoffen geimpft worden. Die Vorfälle wurden sowohl vom Paul-Ehrlich-Institut als auch vom wissenschaftlichen Komitee der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA untersucht. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Tod der Kinder ließ sich nicht belegen. Nach anderen Studien reduzieren Impfungen (auch Sechsfachimpfungen) sogar das Risiko des plötzlichen Kindstodes.[28][29] Betroffenheit der ElternDie Eltern werden von dem plötzlichen Tod des Kindes vollkommen überrascht. Für die Eltern besteht das Bedürfnis nach Trauer und Abschiednehmen, für die Rechtsmediziner das Bedürfnis nach Aufklärung. Die Diagnose SIDS gibt danach der trauernden Familie trotz der zahlreichen Theorien keine Antwort auf die Frage nach der eigentlichen Ursache.[30][31] Nach einer dänischen Studie, in der das Schicksal von mehr als 21.000 Eltern untersucht wurde, deren Kinder am plötzlichen Säuglingstod gestorben sind, ist die Lebenserwartung der überlebenden Eltern reduziert.[32] Danach ist die Wahrscheinlichkeit, dass betroffene Mütter innerhalb der ersten vier Jahre nach dem Tod des Kindes Selbstmord begehen oder schwere Unfälle erleiden, um das vierfache höher als bei anderen Müttern, deren Kinder noch leben. Auch das Risiko der Mutter, an Krebs zu erkranken, sei um 44% erhöht. Bei betroffenen Vätern steigt das Risiko des Selbstmords oder für einen tödlichen Unfall um das doppelte gegenüber nicht betroffenen Vätern. Einer der Urheber der Studie, Jørn Olsen, erklärt dies damit, dass der Verlust des Kindes zu den schlimmsten möglichen Erfahrungen gehört und dass der dadurch bedingte Stress u.a. zu Bluthochdruck und Herzkrankheiten führen kann.[33] Quellen
Kategorien: Krankheitsbild in der Kinderheilkunde | Pathologie | Rechtsmedizin |
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