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NeuroseUnter Neurosen wird eine Gruppe von psychischen Störungen verstanden. Der von Sigmund Freud ab 1895 in noch heute gültigem Sinne verstandene Begriff Neurose wird allerdings in den aktuellen diagnostischen Inventaren weitgehend vermieden (so z. B. in der ICD-10 und dem DSM IV). Stattdessen wird von psychischen Störungen in rein deskriptivem Sinne (Querschnitt = Ist-Zustand) gesprochen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Begriff z. B. in psychogenetischer Hinsicht (Längsschnitt = Gesichtspunkt der Entwicklung) als entbehrlich anzusehen ist, siehe auch Kap. 2 (Hoffmann/Hochapfel 2003). Vorgenannte Autoren definieren Neurosen als überwiegend umweltbedingte Erkrankungen, die eine Störung im psychischen und / oder körperlichen und / oder im Bereich der Persönlichkeit bedingen. Speziell in der Psychoanalyse und der Psychiatrie der Freudschen Schule und deren Nachfolgern wird angenommen, dass eine Neurose durch einen inneren, unbewussten Konflikt zwischen dem Es und dem Ich oder dem Über-Ich entsteht. In diesem Konflikt kann es zu einem Zusammenbruch des Ichs kommen. Dies kann ebenso wie der Konflikt selbst zu der neurotischen Symptombildung führen. Das psychoanalytische Modell zur Neurosenentstehung nach Freud wird Konfliktmodell genannt. Eine Persönlichkeitsstörung (Charakterneurose), welche zumeist Ich-synton ist, wird durch eine frühe Störung in der narzisstischen Entwicklung ausgelöst. Die Primärtheorie von Arthur Janov erklärt die Neurose in gänzlich anderer Weise als die klassische Freudsche Schule. In der Primärtheorie versucht ein Kind psychische Konflikte zwischen natürlichen Bedürfnissen (Es) und diesen natürlichen Bedürfnissen entgegen stehenden Lebensbedingungen (im weitesten Sinne als Über-Ich zu verstehen) dadurch zu lösen, dass es die Bedürfnisse aus dem bewussten Erleben verdrängt. Im Alter von etwa 6 Jahren, was je nach Lebensbedingungen variieren kann, gewinnt das Kind die grundsätzliche Erkenntnis, dass es mit seinen natürlichen Bedürfnissen niemals anerkannt wird. Dies führt zu einem sogenannten „Umkippen“. Die Tendenz zur Verdrängung von Bedürfnissen nimmt ab diesem Zeitpunkt überhand und wird im primärtherapeutischen Sinne als neurotisch bezeichnet. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
TheorieDie Neurose ist eine allgemeine psychische Verhaltensstörung von längerer Dauer. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie erst im Laufe der Entwicklung entstanden ist. Zur Bestätigung solcher Diagnosen müssen organische Störungen als Ursache des Fehlverhaltens ausgeschlossen werden. Seine ihm charakteristischen Verhaltensstörungen vermag der Neurotiker nicht zu kontrollieren, er ist sich seines Leidens jedoch bewusst und an sich fähig, dessen Ursachen zu ergründen. Gemäß Freuds Theorie führt dieses geistige Streben zu ersten therapeutischen Ergebnissen, vor allem in Anwendung der Traumanalyse. Der Psychotiker ist dazu tendenziell außerstande. Die Übergänge zur Neurose sind jedoch fließend. So stellen zum Beispiel auch die Träume der Gesunden („normalen“ Neurotiker) nach Freud im weitesten Sinne „psychotische“ Vorgänge dar, infolge des im Schlaf momentan geschwächten Ich-Vermögens, die im Traum erlebte Realität von der den Träumer umgebenden Wirklichkeit zu unterscheiden. Viele Zwangsstörungen (z. B. „Waschzwang“) oder die Phobien (z. B. Soziophobie) werden von Befürwortern des Begriffs zu den Neurosen gezählt. Als differentialdiagnostisches Kriterium zur Abgrenzung von der Psychose gilt unter anderem auch, dass die Neurotiker ihre Zwänge als in ihnen selbst liegend zu erkennen vermögen, während die von einer Psychose Betroffenen im akuten Fall an dem Unvermögen leiden, ihre innere Situation (‚Stimmen hören‘ u. ä.) von der umgebenden Realität zu differenzieren. Ein Auszug aus der „Neurosenlehre“ von Alfred Adler 1913:
(Adler, Alfred: Praxis und Theorie der Individualpsychologie: Vorträge zur Einführung in die Psychotherapie für Ärzte, Psychologen und Lehrer. In: W. Metzger (1974), Frankfurt: Fischer S. 40-47.) Es gibt verschiedene Grade dieser Zwänge, so dass nicht alle Patienten einer Behandlung bedürfen. Als subjektiv erleichternd wirkt sich die weite Verbreitung eines bestimmten Typs von Neurose in der jeweils betroffenen Kultur aus, der dadurch zur sozialen Norm wird. Dadurch wird das Gefühl sozialer Ausgrenzung beziehungsweise Minderwertigkeit (s. o.) abgeschwächt. Die Gleichsetzung solcher „Normalität“ mit der Bedeutung des Begriffes „Gesundheit“ wurde von Freud mit höchster Skepsis betrachtet. Neuere KlassifikationssystemeDurch die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV wurde der ausschließlich auf den Theorien der Psychoanalyse beruhende Begriff Neurose durch deskriptiv neutrale Bezeichnungen (s.o) ersetzt. In der offiziellen Nomenklatur dieser Systeme kommt nur noch das Adjektiv neurotisch vor. Begründung für dieses, wenn auch nicht völlig konsequent durchgeführte Vorhaben den Begriff Neurose zu meiden, ist
Er stammt aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds und impliziert somit bestimmte theoretische Vorstellungen über das Zustandekommen von psychischen Störungen, die von anderen Theorierichtungen nicht akzeptiert werden. Jedoch ist in weiten Kreisen der deutschsprachigen Ärzte und Psychotherapeuten die traditionelle Unterscheidung zwischen Neurose und gesundem Verhalten üblich. So auch die Verwendung des Begriffs Psychose als Störung des ich-immanenten Vermögens, den Realitätsgehalt innerer und äußerer Wahrnehmung zu differenzieren, z. B. Stimmenhören oder Wahnvorstellungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Begriff einen hohen praktischen und wissenschaftlichen Wert hat. Es zählt ungeachtet aller von Freud häufig vernachlässigten Konzessionen an theoretische Pluralität zu den bleibenden und ureignenen Verdiensten Freuds, dessen Genialität hier nicht genügend gewürdigt werden kann, dass das Konzept vielfältiger Neurosen gleichzeitig als das Konzept für die Vielfältigkeit von Persönlichkeitsstrukturen zu werten ist. Zur Kritik der neueren Klassifikationen haben Hoffmann und Hochapfel folgende - hier etwas näher ausgeführte - Stichworte angegeben: PragmatismusWie bei allen sog. Ismen ist der Gewinn des Pragmatismus gegen die Nachteile abzuwägen. Dem Gewinn in deskriptiver Hinsicht steht der Nachteil einer ggf. zu wenig beachteten Systematik entgegen. In der Krankheitslehre wird diese als Nosologie bezeichnet. Zur Nosologie gehören u. a. auch Überlegungen zur Entstehung und Entwicklung von Krankheiten (Ätiologie, Pathogenese). Es macht aber gerade die Eigenart des Begriffs Neurose aus, dass er besonderen Wert auf die Entwicklung bzw. Genese (s. o.) legt. Pragmatische Vorgehensweisen dürfen nicht zu einem Kochbuchwissen bei der Diagnose von Krankheiten entarten. Bei der Diagnose von Krankheiten muss jeweils der Mensch mit seinen individuellen Beschwerden im Vordergrund stehen, die auch dem Interpretationsrahmen und der Erfahrung des Untersuchers einen gewissen Spielraum offenlässt, um nicht in eine allzu schematische und quasi technisierte Vorgehensweise (Maschinenparadigma) zu verfallen. ReliabilitätReliabilität prüft, wie zuverlässig im Falle einer Wiederholung der Untersuchung das Wesen dessen erfasst wird, was methodisch vordergründig (siehe auch Pragmatismus) zu erfassen behauptet wird. Insbesondere das psychische Befinden eines Menschen wechselt jedoch von einem Untersuchungstermin zum nächsten. Die Diagnose einer Neurose kann sich daher nicht nur auf einen einmaligen, rein pragmatisch erfassten Querschnittsbefund stützen. ValiditätValidität prüft, inwieweit das erfasst wird, was zu erfassen behauptet wird. Hier entfält bei einem rein pragmatischen Vorgehen das Gewicht der argumentatitiven Überzeugung des Untersuchers, der für die Qualität seiner Untersuchung auch aufgrund seiner beruflichen Erfahrung bürgt. Wäre ein rein pragmatisches Vorgehen ausreichend, so könnte man die Untersuchung auch durch die mnaschinelle Auswertung eines Fragebogens ersetzen. Bei Berücksichtigung der Gesichtspunkte der Validität müssen auch die Bedingungen der Subjektabhängigkeit (Bach 1994) bei der Erstellung von Diagnosen berücksichtigt werden. Veraltete Terminologie?Um die Frage zu beantworten, ob Neurose ein veraltetes Konzept darstellt, muss auf seine Begriffsgeschichte seit 1776 durch den schottischen Arzt William Cullen zurückgekommen werden. Hierbei stellt sich heraus, dass der Begriff noch heute eine höchst brisante Dynamik entfaltet. Er ist noch heute umkämpft und stellt das psychiatrische Versorgungssystem nach Auffassung namhafter zeitgenössischer Psychiater dort in Frage, wo er nicht genügend rezipiert wurde (Dörner 1975). Der Begriff Neurose ist mit der Entstehung der Psychiatrie aufs innigste verbunden und hängt keineswegs nur - wie meist angenommen - mit dem Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud zusammen. Man erinnere sich nur, dass es Franz Anton Mesmer 1774 gelang, seinen Ruhm bei einer hysterischen Jungfer durch Suggestion und mit Hilfe eines Magneten zu begründen, in einer Zeit, in der aufklärerischer Geist lebendig war. Freud hat dem Begriff der Neurose zwar zu weitgehender Verbreitung verholfen, doch ist er für diese Entwicklung keineswegs alleine verantwortlich. Man kann sagen, dass nicht Freud so sehr den Begriff geprägt hat, sondern Freud vielmehr selbst durch den Begriff Neurose geprägt wurde. Freud begann seine berufliche Karriere nämlich als Nervenarzt und war von den materialistischen Vorstellungen seiner Zeit keineswegs frei. Er arbeitete in einem physiologischen Labor, als man ihm Gelegenheit gab, in Paris die klinische Arbeitsweise von Charcot kennenzulernen, der dort Suggestionsbehandlungen durchführte. Dies bewirkte einen völligen Wandel in der Zielrichtung seiner bisherigen naturwissenschaftlichen Arbeiten. Zwar könnte man meinen, dass sein besonderes Interesse für die Sexualtheorie zunächst einem eher körperlich zu bestätigenden seelischen Phänomen galt. Doch Freud hat seine Theorien ausgehend von der Sexualität z.T. bis auf die Kultur- und Gesellschaftskritik hin ausgedehnt. Maßgeblich dafür waren seine systematischen individualpsychologischen Kenntnisse (Neurosenlehre), die er auf die Gesellschaft übertrug (Ideologiekritik), siehe z. B. sein Spätwerk Das Unbehagen in der Kultur. Der schottische Arzt William Cullen hat 1776 unter dem Begriff Neurose alle psychischen Erkrankungen und nicht entzündlichen Störungen des Nervensystems verstanden. Dies hat insofern noch eine aktuelle Bedeutung, da bis heute im medizinischen Ausbildungssystem das Fachgebiet Psychiatrie mit dem der Neurologie in besonderer Weise verbunden ist. Der Nervenarzt ist auch für die Psyche zuständig. Freud wandte den Begriff Neurose insbesondere auf die leichtgradigen psychischen Störungen an, die man heute gern auch als funktionelle Störungen, d. h. ohne organisches Korrelat betrachtet. Die Frage, ob bei schwereren psychischen Krankheiten (Psychosen) nicht doch körperliche Bedingungen stets eine Rolle spielen, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Zweifelsfrei gilt das nur für die ausdrücklich so genannten Organischen Psychosen. Freud öffnete seine Neurosentheorie auch für diese zweifelhaften Fälle der lange Zeit als endogene Psychosen bezeichneten psychischen Erkrankungen. Er sprach hier von narzisstischen Neurosen, während man diese Formen sonst als chronische Paranoia oder als Dementia paranoides bezeichnete. Die Verstehbarkeit von psychischen Inhalten war auch gewissen verhaltenstheoretisch orientierten Vertretern der Psychiatrie ein Dorn im Auge. Dieser Wissenschaftszweig vertrat z.T. die Anpassung an das jeweils herrschende politische System mit großer Konsequenz. Die Psychiatrie - namhaft in Deutschland - hat dieses Konzept Freuds überwiegend nicht übernommen. Hier hat nicht nur der Nationalsozialismus eine wesentliche Rolle gespielt, sondern auch der sogenannte technisch-administrative Umgangsstil in den Institutionen bzw. in den staatlich verwalteten Landeskrankenhäusern (kustodialer Umgangsstil). Hier führte die Antipsychiatrie der 68er Jahre zu gewissen Reformbewegungen (Psychiatrie-Enquête), jedoch nicht zu einem prinzipiellen Umbruch. Durch das somatische Denken der Naturwissenschaften und die wirtschaftlich orientierten Interessenverbände der Pharmaindustrie kam es sowohl vor als auch nach dem Scheitern der 68er Bewegung zu weitgehend kritiklosem Einsatz der körperlich-medikamentösen Behandlung (sog. chemische Keule). Mit diesem Tenor könnte man die mehr abstrakten Kritiken zusammenfassen, die von Vertretern der Frankfurter Schule (Horkheimer und Adorno, 1947) schon Jahrzehnte zuvor geltend gemacht wurden und die auch von Dörner (1975) in seiner wissenschaftssoziologischen Untersuchung zur Geschichte der Psychiatrie vorausgeschickt werden. Die Entwicklung der Psychopharmaka ab den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts war nur zusätzliches Wasser auf die Mühle dieser Argumente. Wenn der Begriff der Neurosen wegen der Relevanz der Umwelt, die diese Störungen erzeugt, schon immer politisch unbeliebt war und zu fragwürdigen Reaktionen wie der Mental Health Bewegung führte, so hat sich in jüngster Zeit ausgerechnet die Arbeit an diagnostischen Inventaren (wie z. B. ICD-10) sozusagen zum Gegenspieler des Neurosebegriffs entwickelt. Ob diese Entwicklung als abgeschlossen zu bezeichnen ist, ist unsicher. Literatur
Siehe auch
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- Stichwort Neurose (Glossar des Berufsverbands deutscher Psychologinnen und Psychologen)
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