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NeurologieIn der Neurologie werden die Erkrankungen des Nervensystems behandelt. Die Grenze zur Psychiatrie ist teilweise fließend. In Deutschland ist die Neurologie als ein Teilgebiet aus der Inneren Medizin hervorgegangen. Die Organsysteme, die in der Neurologie Berücksichtigung finden, sind das Zentralnervensystem, also Gehirn und Rückenmark und deren Umgebungsstrukturen und blutversorgende Gefäße sowie das periphere Nervensystem, das heißt die Nerven in ihrem Verlauf außerhalb des Wirbelkanals einschließlich der Verbindungsstrukturen mit Muskeln und die Skelettmuskulatur. Weiteres empfehlenswertes FachwissenDie klinische Methode in der NeurologieDie Neurologie gilt als ein kompliziertes medizinisches Fachgebiet. Die Hürden für das Verständnis neurologischer Erkrankungen sind nicht nur bei Laien, sondern auch für Medizinstudenten und Ärzte hoch, weil die Einsicht in die Funktionsweise des Nervensystems in besonderer Weise geschult werden muss. Der Zugang zur Neurologie wird durch die Tatsache erschwert, dass es hier eine große Zahl seltener Erkrankungen gibt. Zudem sind viele Lehrbücher auf eine für den Anfänger verwirrende Art strukturiert. Ein einleitendes Kapitel in dieses Fachgebiet an dieser Stelle kann daher nicht besser oder einfacher sein, als die traditionellen Zugangswege zu dieser Wissenschaft. DefinitionenVorweg eine Erläuterung einiger Begriffe, die im Nachfolgenden wiederholt verwendet werden.
Der Patient als RichtschnurAlle Lehrbücher der Neurologie betonen die besondere Bedeutung der klinischen Untersuchung des Patienten. Die genaue Befragung des Patienten und die an den Beschwerden orientierte körperliche Untersuchung ist in der Neurologie überaus wichtig. Im Laufe dieser Untersuchung bildet der Arzt Hypothesen über die Art der Erkrankung seines Patienten. Hierbei leitet ihn das Wissen um die Funktionsweise des Nervensystems (Neuroanatomie, Neurophysiologie), das Wissen um die verschiedenen neurologischen Erkrankungen und seine Erfahrung, der so genannte klinische Blick für typische Kombinationen von Beschwerden und Zeichen bei bestimmten Erkrankungen. Aufgrund dieser Hypothesen verfertigt man eine Vermutung darüber, welche Region des Nervensystems geschädigt sein könnte (Schädigungsort im Sinne einer neurologisch-topischen Diagnostik). Dann veranlasst man eine gezielte Untersuchung, die möglichst die gebildeten Hypothese zum Schädigungsort bestätigen oder widerlegen sollte. Die folgenden Fallbeispiele werden diese Vorgehensweise verdeutlichen. Fallbeispiel I: LiquorresorptionsstörungEin etwa siebzig Jahre alter männlicher Patient wird von den Angehörigen in die neurologische Sprechstunde gebracht. Man berichtet, der Großvater sei in letzter Zeit wiederholt gestürzt, habe sich aber nicht verletzt, außerdem sei er vergesslich geworden und man habe festgestellt, dass er Probleme beim Wasserlassen habe. Auf gezieltes Nachfragen berichten die Angehörigen, dass die Beschwerden mit der Zeit kamen und das Ganze sich schon mindestens zwei Jahre hinzieht. Dann wird der Patient körperlich untersucht. Der Neurologe fordert den Patienten auf, durch das Zimmer zu gehen: Er zeigt ein schwerfälliges Gangbild und hebt beim Laufen die Füße nur wenig an. Die Arbeitshypothese lautet nun: eine Demenz mit Blasenentleerungsstörung und sogenanntem „magnetischem“ Gang, die seit etwa zwei Jahren besteht und mit Zunahme der Beschwerden einherging, könnte ihre Ursache in einer Liquorresorptionsstörung haben. Zunächst wird eine CCT des Schädels durchgeführt. Man erwartet aufgrund der vermuteten Liquorresorptionsstörung so genannte ballonierte Seitenventrikel mit einer randständigen und bevorzugt frontalen Hypodensität. Da das CCT diesen Befund zeigt, wird eine therapeutisch-diagnostische Maßnahme durchgeführt: beim sog. Fisher-Test wird mittels einer Lumbalpunktion probeweise ca. 30 bis 40 ml Nervenwasser entnommen. Diese Maßnahme sollte die Beschwerden bessern. Etwa 10 min nach der Lumbalpunktion zeigt der Patient ein gebessertes Gangbild. Seine Gedächtnisstörung wird unbeeinflusst bleiben und die Harninkontinenz wird sich später am ehesten verbessern. Der Patient wird mit der Diagnose eines „Hydrocephalus malresorptivus“ zum Neurochirurgen überwiesen zur Implantation eines ventrikulo-peritonealen Shuntsystems zum Zweck der dauerhaften Ableitung überschüssigen Nervenwassers. Fallbeispiel II: HirntumorEin 32 Jahre alter Mann wird in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht, nachdem er am Arbeitsplatz gestürzt war, eine Kopfplatzwunde erlitten hat und bewusstlos gewesen war. Da den Sturz niemand beobachtet hat, wird er in benommenem Zustand zunächst in der Poliklinik von einem Unfallchirurgen versorgt. Dabei beklagt der Patient eine Schwäche des rechten Armes und erklärt, das sei neu. Nach der Versorgung der Kopfplatzwunde wird der Patient dem Neurologen vorgestellt, der ein Absinken im Armhalteversuch rechts feststellt. Der Neurologe vermutet, der Patient habe einen Sturz im Rahmen eines erstmaligen Krampfanfalles erlitten (der Patient konnte sich an nichts erinnern) und interpretiert die Armparese als sog. Toddsche Lähmung nach einem Krampfanfall. Diese Überlegung ist etwas spekulativ, da Toddsche Lähmungen bei jüngeren Patienten meist nur wenige Minuten anhalten. Die durchgeführte CCT-Untersuchung zeigt eine links hochparietale runde Hypodensität. Fehlende Gefäßrisikofaktoren bei einem jungen Patienten lassen einen ischämischen Hirninfarkt als Ursache für Sturz und Armlähmung unwahrscheinlich erscheinen. Es wird die Verdachtsdiagnose eines Astrozytoms gestellt und durch eine Hirnbiopsie bestätigt. Fallbeispiel III: HirnstamminfarktEine 62 Jahre alte Frau wird mit einer plötzlich aufgetretenen Gangunsicherheit in die Notaufnahme gebracht. Sie klagt außerdem über eine neu aufgetretene „Heiserkeit“. Die Patientin ist Diabetikerin und leidet an Bluthochdruck. Sie berichtet, sie habe sich vor ziemlich genau einer Stunde ihr Insulin gespritzt, ihre Blutdruckmedikamente eingenommen und danach sei es ihr merkwürdig gewesen und sie sei beim Aufstehen gestürzt. Angehörige brachten sie dann sogleich in die Notaufnahme. Eine Gangprüfung zeigt, dass die Patientin nur mit Hilfe stehen kann, obgleich ihre Kraft in den Beinen unbeeinträchtigt ist. Die Inspektion zeigt, dass ihr rechtes Oberlid leicht herabhängt. Als der Neurologe ihr einen Spiegel vorhält erkennt sie, dass ihr rechtes Auge „schief“ ist. Die Untersuchung zeigt ein aufgehobenes Temperaturempfinden im Bereich des linken Armes. Eine CCT des Gehirnschädels zeigt erwartungsgemäß keine auffälligen Veränderungen. Bei einer Dopplersonographie der extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße wird die Vertebralarterie rechts vermisst. Die Verdachtsdiagnose lautet: ischämischer Hirninfarkt der dorsolateralen Pons im Versorgungsgebiet der Arteria cerebellaris posterior inferior rechts aufgrund eines Verschlusses der Vertebralarterie rechts. Fallbeispiel IV: MeningitisEin 24 Jahre alter Mann wird in die Notaufnahme des Krankenhauses gebracht. Der Vater des Patienten berichtet, sein Sohn sei Zeitsoldat und auf Urlaub zu Hause. Am Mittag des Aufnahmetages hat er geklagt, dass es ihm schlecht ginge. Er klagt zunehmend über immer stärkere Kopfschmerzen und beginnt zu frieren. Da er nicht mehr richtig auf Ansprache reagiert, wird er in das nahe gelegene Krankenhaus gebracht. Der junge Mann macht einen schwer kranken Eindruck, er kann nicht stehen und antwortet nur mühsam auf Fragen und zittert stark. Eine rektale Temperaturmessung ergibt 39,4° C. Der Neurologe führt eine körperliche Untersuchung durch: er fasst den Kopf des Patienten mit beiden Händen und bewegt ihn langsam nach rechts und links. Schon diese Bewegung bereitet dem Patienten, der mit angezogenen Beinen und leicht nach hinten gebogenem Kopf im Bett liegt, deutliche Schmerzen. Aufgrund dieser Befunde: Fieber, Kopfschmerzen, Bewusstseinstrübung, Nackensteifigkeit und der Anamnese (der Patient ist Soldat) wird die Verdachtsdiagnose einer Meningokokken-Meningitis gestellt und entsprechende Hygienemaßnahmen für das Personal angeordnet. Nach einem nativ-CCT zum Ausschluss von Hirndruckzeichen (freie Cisterna ambiens) wird eine Lumbalpunktion durchgeführt und aufgrund des klinischen Befundes sofort eine antibiotische Therapie eingeleitet. Das stufenweise Vorgehen zur Diagnosestellung in der NeurologieAnhand der Beispiele kann man die verschiedenen Stufen in der neurologischen Herangehensweise an klinische Fragestellungen sehen. Erster Schritt: Anamnese, klinische Symptome, klinische Zeichen, technische BefundeBei der Anamnese ist die Zeitdimension wichtig (s. a. Krankheitsverlauf):
Wenn aufgrund der Anamnese eine erste Hypothese gemacht wurde, vergewissert man sich noch einmal über einige Details:
Dann werden gezielte körperliche Untersuchungen durchgeführt:
Weitergehende Untersuchungen:
Diese systematische Vorgehensweise erleichtert eine neurologische Untersuchung. Zweiter Schritt: Interpretation der gewonnenen Daten in physiologischen und anatomischen BegriffenDer junge Mann mit der Kopfplatzwunde hat eine Armlähmung. Anhand der Reflexprüfung kann man feststellen, ob die Lähmung zentral oder peripher ist: Wenn die Muskeldehnungs-Reflexe im rechten Arm abgeschwächt sind, spricht dies für eine Schädigung im Verlauf der Nerven außerhalb des Rückmarkskanales (periphere Läsion). Wenn die Reflexe betont sind, dann spricht dies für eine Schädigung im Bereich von Rückenmark oder Gehirn (zentrale Läsion). Die alte Dame mit der Sprechstörung hat eine so genannte „gekreuzte“ Symptomatik: das herabhängende Oberlid rechts (ein Horner-Syndrom) und die Störung der Temperatursensibilität links. Eine „gekreuzte“ Symptomatik ist aufgrund anatomischer Verhältnisse typisch für den Hirnstamm. Die hintere kleine Kleinhirnarterie ist häufig betroffen. Der zielführende Hinweis bei dem fiebrigen jungen Mann ist seine gekrümmte Haltung beim Liegen, die typisch für eine Reizung der Hirn- und Rückenmarkshäute ist. Wenn der Patient auch Fieber hat, ist es naheliegend, dass die Reizung der Hirnhäute eine (meist bakterielle) infektiöse Ursache hat. Die Tatsache, dass der junge Mann Soldat ist, untermauert die Vermutung, dass eine Meningokokken-Meningitis vorliegt. Dritter Schritt: Syndromale Formulierung und anatomische DiagnoseEine isolierte zentrale Armlähmung bei dem jungen Mann mit der Kopfplatzwunde ist eher ungewöhnlich. Wahrscheinlich hat der Neurologe den Patienten nicht sorgfältig untersucht und die diskrete, zentral bedingte Lähmung der mimischen Muskulatur (siehe Fazialislähmung) rechts und möglicherweise eine leichte aphasische Störung übersehen. Entscheidend ist aber, dass man schnell und sicher zum Ziel kommt. Die Kombination von erstmaligem Krampfanfall bei einem ca. 30 Jahre alten Mann und dem geschilderten CCT-Befund ist hochverdächtig auf ein Astrozytom. Die alte Dame mit dem Hirnstamminfarkt ist ein Musterbeispiel für die so genannte topische Diagnostik in der Neurologie. Die Kombination eines Hornersyndroms mit einer kontralateralen Störung der Temperaturempfindlichkeit deutet immer auf den Hirnstamm und dort in den Bereich der Pons. Entscheidend für das Verständnis der Störung ist, dass im Bereich des Hirnstamms einerseits Kerngebiete der Hirnnerven liegen und andererseits Bahnen für Motorik und Sensibilität. Die enge Nachbarschaft dieser Strukturen an dieser Stelle im Gehirn führt zu Störungen in weit entfernten Körperteilen, die von diesen Strukturen versorgt werden. Der fiebrige junge Mann hat keine Läsion an einer bestimmten Stelle im Nervensystem, er hat eine Störung an einem ganzen Organsystem, nämlich den gesamten Hirnhäuten. Das bedingt auch die Schwere der Erkrankung und die große Gefahr für zahlreiche Komplikationen wie generalisierte Krampfanfälle, Koma und Atemlähmung. Vierter Schritt: Pathologische oder ätiologische DiagnoseBei dem jungen Mann mit der Kopfplatzwunde stellt der Neurologe eigentlich keine endgültige Diagnose. Die abschließende (pathologische oder ätiologische) Diagnose wird in diesem Fall von dem Pathologen aufgrund einer Hirnbiopsie gestellt. Die Aufgabe des Neurologen ist es, den Weg dorthin zu bahnen. Die ätiologische Diagnose im Falle der älteren Dame ist vermutlich ein embolischer Verschluss einer Hirnarterie aufgrund von arteriosklerotischen Veränderungen in der vorgeschalteten Strombahn mit der Folge eines ischämischen Infarktes des durch das Gefäß ursprünglich versorgten Gehirnareals. Möglich wäre auch ein sogenannter Grenzzonen-Infarkt aufgrund einer durch Arteriosklerose verursachten Lumenminderung (Stenose) der vorgeschalteten Gefäße. Die durch die Infektion und die Abwehrreaktion des Körpers freigesetzen Bakterien-Toxine sind im Falle einer Meningitis die Ursache für die dramatischen Krankheitsverläufe, die unbehandelt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führen. Zusammenfassung aller Schritte: Die klinische Methode kurzgefasstAnamnese: Ein Mann stellt sich in der Notaufnahme vor und erklärt, er habe seit etwa einer Stunde das Gefühl, in seinem Gesicht sei etwas nicht in Ordnung. Der Mann ist 65 Jahre alt, er ist Raucher und leidet an einem Bluthochdruck. Körperliche Untersuchung: Der Neurologe bittet ihn, beide Augen fest zu schließen und die „Zähne zu zeigen“. Der Lidschluss ist beidseits vollständig, das Grimmassieren des Mundes gelingt aber nur auf der rechten Seite. Umformung der Befunde in neurophysiologische Termini: Dieser Befund spricht für eine zentrale faziale Parese links. Syndromale Formulierung im Sinne einer neurologisch topischen Diagnose: Jetzt prüft der Neurologe, ob sich seine Vermutung bestätigen lässt, dass ein Syndrom der Präzentralregion rechts vorliegt: er lässt den Patienten beide Arme mit geschlossenen Augen vor sich halten: der linke Arm zeigt eine Einwärtsdrehung. Der Neurologe vermutet den Ort der Läsion in der rechten Großhirnhemisphäre in der sogenannten Präzentralregion. Ätiologische Diagnose: Da der Patient Gefäßrisikofakoren hat (Alter, Rauchen, Hypertonie) wird ein ischämischer Hirninfarkt im Versorgungsgebiet der Arteria cerebri media rechts vermutet. Diese Vermutung kann durch eine CCT-Untersuchung und vor allem eine transkranielle Dopplersonographie der hirnversorgenden Gefäße bestätigt oder widerlegt werden. Die Behandlung erfolgt dann nach den Therapierichtlinien für Hirninfarktpatienten. Zusammenfassung der DiagnosestellungDie klinische Methode in der Neurologie kann man folgendermaßen beschreiben: Es werden Daten durch Befragung des Patienten oder seiner Angehörigen über die Vorgeschichte sowie durch eine körperliche Untersuchung gesammelt. Diese Daten werden aufgrund physiologischer und anatomischer Kenntnisse interpretiert und eine Hypothese formuliert (anatomische Diagnose). Daraufhin werden gezielte technische Untersuchungen durchgeführt um die Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen. Dies führt zu einer abschließenden pathologischen oder ätiologischen Diagnose, die meistens auch einen genau definierten Namen hat. Auf der Grundlage geprüfter Erfahrungswerte aus klinischen Studien wird dann mit den Patienten eine Therapie vereinbart. In älteren Lehrbüchern der Neurologie findet man zu diesem Hauptprinzip der Neurologie gelegentlich einfache Merksätze wie zum Beispiel „Das Prinzip der sechs W“ nach Mumenthaler:
Spezifisch für die Neurologie ist die Frage nach dem Wo, die so genannte topische Diagnose. Obwohl dieses Prinzip auch etwa in der Diagnostik des Herzinfarktes eine Rolle spielt, ist sie doch ein prägendes Merkmal für die gesamte Neurologie. Diese Tatsache wird an weiteren ausgewählten (konstruierten) Fallbeispielen erläutert, in denen Fehler in der klinischen Methode dargestellt werden. Fehler in der Anwendung der klinischen MethodeDer Hauptfehler in der Anwendung der klinischen Methode besteht darin, sie nicht konsequent anzuwenden. Vor allem Anfänger, aber auch erfahrene Ärzte neigen dazu, in den Fällen, in denen sie nicht weiter wissen oder unsicher sind, technische Untersuchungen durchzuführen, in der Hoffnung, dadurch eine diagnostische Klärung herbeiführen zu können. Dieser Weg führt nicht selten in die Irre oder kostet unnötig Zeit und Geld und behindert sogar manchmal die Erstellung einer richtigen Diagnose. Um dies zu verdeutlichen, werden hier einige (teilweise gekürzte und konstruierte) Falldarstellungen angegeben, in denen die betreffenden Ärzte die klinische Methode nicht konsequent angewendet haben. Fallbeispiel I: Ein Kind mit einem Anfallsstatus
Ein zehn Jahre altes Kind wird in benommenem Zustand und mit einer Kopfplatzwunde in der Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht. Die Ursache des Sturzes ist zunächst unklar. Noch in der Notaufnahme erleidet das Kind einen Krampfanfall. Da dieser nicht abklingt, wird der Patient notfallmäßig intubiert und beatmet und der Anfallsstatus mittels einer Narkose unterbrochen. Der hinzugezogene Neurologe vermutet eine Enzephalitis. Eine CCT- und eine Liquoruntersuchung ergeben keinen wegweisenden Befund. Das Kind wird zunächst auf einer Intensivstation weiter beatmet. Bei Versuchen, die Narkosetiefe zu reduzieren treten erneut Krampfanfälle auf. Fallbeispiel II: Ein junger Mann mit einem Hirninfarkt
Ein etwa 35 Jahre alter Mann wird mit den Zeichen eines akuten ischämischen Hirninfarktes in die Klinik eingeliefert. Nach Angaben von Arbeitskollegen sei er gestürzt, klagte dann plötzlich über Unwohlsein und sprach undeutlich. In der Aufnahmesituation zeigt der Patient eine Arm- und Gesichtslähmung rechts, er ist benommen und aphasisch. Das Ereignis ist weniger als 45 min alt. Eine CCT-Untersuchung zeigt noch keine Frühzeichen eines Hirninfarktes. Eine doppler- und duplexsonographische Untersuchung der Halsgefäße zeigt Hinweise für einen Verschluss der Arteria carotis interna (ACI) links. Die Diagnose lautet: Verschluss der ACI links mit ischämischem Hirninfarkt im Mediastromgebiet links. Es wird eine Lysetherapie eingeleitet. Lähmung und Sprachstörung bilden sich völlig zurück. Dopplersonographisch zeigt sich weiterhin eine hochgradige Strömungsbehinderung der ACI links. Der Patient hat allerdings keine Gefäßrisikofaktoren. Aus diesem Grund wird die Anamnese noch einmal überprüft. Dabei berichtet der Patient, er sei kurz vor dem Ereignis gestürzt und sehr unglücklich mit der linken Halsseite gegen eine Tischkante gefallen. Die Verdachtsdiagnose einer Dissektion der Arteria carotis interna wird durch eine Kernspintomographie der Halsgefäße bestätigt. Fallbeispiel III: Eine junge Frau mit einer Blasen- und MastdarmentleerungsstörungIn der Notaufnahme eines Krankenhauses stellt sich in der Nacht eine junge Frau mit einer Blasen- und Mastdarmentleerungsstörung vor. Sie berichtet, seit Tagen eine ungewohnte Obstipation zu haben und jetzt könne sie seit gestern nicht mehr Wasser lassen und habe Probleme beim Laufen. Sie hat Schmerzen und ist unruhig. Der diensthabende Neurologe stellt einen herabgesetzten Sphinktertonus fest, tastet eine Überlaufblase und findet eine leichte beidseitige Beinlähmung mit Muskeltonuserhöhung (latente spastische Paraparese). Nach Blasenkatheterisierung wird eine Lumbalpunktion durchgeführt. Da der Liquorbefund unauffällig ist, erwägt der Dienstarzt die Durchführung einer Magnetresonanztomographie (MRT) der gesamten Wirbelsäule mit Kontrastmittel und bespricht sich mit seinem Oberarzt. Dieser untersucht die Patientin noch in der Nacht selbst und ordnet die Gabe mehrerer Antibiotika und Virostatika an. Der Dienstarzt hat der klinischen Methode nicht vertraut und wollte die Verdachtsdiagnose mit technischen Verfahren bestätigt sehen. Ein solches Vorgehen führt in die Irre. Die Patientin hat eine durch Viren verursachte Myelitis (Infektion des Rückenmarkes). Im Anfangsstadium der Erkrankung können Liquor und MRT des Rückenmarkes unauffällig sein. Deshalb werden Therapiemaßnahmen auch durchgeführt, wenn man die klinische Diagnose noch nicht durch technische Untersuchungen bestätigen kann. Neurologische UntersuchungstechnikenEine ausgefeilte Diagnosetechnik ist auch heute noch die Domäne der Neurologie. Dabei gilt die sogenannte neurologisch-topische Diagnostik als Ideal: allein aufgrund des Berichtes des Patienten über seine Beschwerden (Anamnese) und eine körperliche Untersuchung ohne technische Hilfsmittel soll der genaue Schädigungsort im Nervensystem angegeben werden. Dies erfordert eine genaue Befragung des Patienten und seiner Angehörigen, große Erfahrung in der klinischen Untersuchung von Patienten und sehr genaue theoretische Kenntnisse zur Krankheitslehre und Aufbau und Funktion des Nervensystems. Auf diese Weise können mehr als 90% aller relevanten Diagnosen in der Neurologie gestellt werden. Anamneseerhebung in der NeurologieDie Besonderheiten der Anamneseerhebung in der Neurologie ergeben sich aus der Natur der neurologischen Erkrankungen. Bei manchen Erkrankungen liegt der Beginn lange zurück, sodass die Patienten daran keine genaue Erinnerung haben. Dann finden die Patienten häufig nicht die richtigen Worte für die Phänomene, die den Neurologen interessieren. So wird manchmal eine Lähmung mit einer Sensibilitätsstörung verwechselt, eine Koordinationsstörung wird wie eine Lähmung beschrieben und manchmal werden Kopf- und Gesichtsschmerzen verwechselt usw. In solchen Fällen muss der Arzt die Anamnese der Patienten strukturieren. Das heißt, man muss eine Vorstellung von den Beschwerden haben, die der Patient haben könnte und dann genau erfragen, welche Störung vorliegt und die gebildete Hyopthese, die Beschreibung des Patienten und die eigene Anschauung und der Befund der körperlichen Untersuchung in Übereinstimmung gebracht werden. Da dies häufig nicht bei dem ersten Gespräch möglich ist, braucht die Neurologie Zeit. Es lohnt sich Patienten immer wieder nach ihren Beschwerden zu befragen und Angehörige hinzuzuziehen, um das Bild von der Störung des Patienten zu vervollständigen. Manche Anamnesen können vollständig strukturiert werden. Hierzu gehört zum Beispiel die Befragung der Patienten mit Kopfschmerzen und Anfallsleiden. Die neurologische Anamnese dieser Erkrankungen umfasst bei der Epilepsie folgende Aspekte: Beginn der Erkrankung, Vorkommen von Fieberkrämpfen in der Kindheit, Frequenz der Anfälle pro Zeiteinheit (Woche, Monat), tageszeitliche Bindung (Vorkommen zu bestimmten Tageszeiten), auslösende Faktoren, spüren die Patienten, wenn ein Anfall kommt (Aura), wie lange dauert der Anfall, sind die Patienten bewusstlos, kommen Zungenbiss (an der Spitze der Zunge oder seitlich an der Zunge) vor, wird eingekotet oder eingenässt, führt der Anfall zu Stürzen bei denen sich die Patienten verletzen, gibt es nach dem Anfall besondere Beschwerden (anhaltende Verwirrtheit, Sprachstörung oder ähnliches), wenn Zeugen den Anfall beobachtet haben, können sie die motorischen Entäußerungen beschreiben, sind die Augen bei dem Anfall geöffnet oder geschlossen, wie fallen die Patienten hin, welche Medikamente in welcher Dosis wurden bisher verordnet, haben sie die Anfälle wirksam unterdrückt, wurden Medikamente regelmäßig eingenommen, wurden Medikamentenspiegel bestimmt? Bei den Kopf- und Gesichtschmerzen strukturiert man die Befragung ähnlich, fügt aber noch besondere Fragen zum Schmerzcharakter hinzu. Abschließend ist zu sagen, das eine Anamneseerhebung sich immer an den Beschwerden des Patienten und an der vermuteteten Erkrankung orientiert. Einen Patienten mit der Erstmanifestation einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems befragt man anders als einen Patienten mit einer Parkinson-Krankheit. Manchmal sind Fremdanamnesen die einzigen Informationen, die man in einer Notfallsituation erhält. Manche Patienten können überhaupt keine Angaben zu ihrer Erkrankung machen (kleine Kinder, Tiere in der Tierneurologie). Solche Situationen sind immer eine besondere Herausforderung. Die körperliche Untersuchung in der NeurologieDie körperliche Untersuchung in der Neurologie ist zeitaufwendig. Sie erfordert vom Patienten Geduld und aktive Mitarbeit. Hirnnervenfunktion: Es gibt zwölf Hirnnerven. Die Funktion jedes Hirnnerven kann in einer neurologischen Untersuchung geprüft werden. Da dies sehr aufwändig ist, werden Hirnnerven meist nur „orientierend“ untersucht. Das heißt man macht eine unvollständige Untersuchung unter der Annahme, dass wahrscheinlich alles in Ordnung ist. Wenn jedoch eine Hirnnervenstörung vermutet wird, muss im Zweifelsfall jede einzelne Funktion genau geprüft werden. Die ersten beiden Hirnnerven sind der Nervus olfactorius für den Geruchssinn und der Nervus opticus für den Sehsinn. Das Riechen wird mit Riechstoffen geprüft (z. B. mit Kaffeepulver) und das Gesichtsfeld mittels der sogenannten Fingerperimetrie. Die Hirnnerven III, IV und VI steuern die Bewegungen der Augen (Bewegung eines Fingers des Arztes verfolgen). Der fünfte Hirnnerv ist der Nervus trigeminus. Er versorgt sensibel das Gesicht und motorisch die Kaumuskulatur. Der Nervus facialis ist der siebte Hirnnerv. Er versorgt motorisch die mimische Muskulatur. Der achte Hirnnerv ist für Gehör- und Gleichgewichtsorgan zuständig. Hier kommt der Stimmgabeltest zur Anwendung. Den Gleichgewichtsinn prüft man sinnvollerweise nur, wenn er gestört ist. Die Patienten haben dann ein Schwindelgefühl. Zu diesem Zweck gibt es spezielle Methoden, mit denen man Schwindel provozieren kann. Der neunte Hirnnerv ist der Nervus glossopharyngeus. Er hilft beim Schlucken und vermittelt auch den Geschmack im hinteren Zungendrittel (dort schmeckt man bitter). Der zehnte Hirnnerv ist der Nervus vagus, er vermittelt die vegetative parasympathische Innervation der inneren Organe. Er versorgt sensorisch außerdem die Ohrmuschel und motorisch das Gaumensegel. Der elfte Hirnnerv steuert einen Teil der Nackenmuskulatur und der zwölfte Hirnnerv (Nervus hypoglossus) bewegt die Zunge. Motorik: Die Motorik wird in verschiedenen Aspekten untersucht. Es kann mit verschiedenen Methoden die Kraft jeder Muskelgruppe und teilweise auch die von vielen einzelnen Muskeln geprüft werden. Zur Prinziperläuterung ein Beispiel: Die Bewegung der Hand wird durch drei verschiedene Nerven ermöglicht: Nervus radialis, Nervus ulnaris und Nervus medianus. Der Ausfall eines der drei Nerven führt zu charakteristischen Veränderungen: Störungen der Sensibilität, Beeinträchtigung der Kraft, langfristig eine Verschmächtigung der Muskulatur (Muskelatrophie) und Abschwächung der jeweiligen Reflexe. Im Falle des Nervus medianus (etwa durch eine Verletzung im Bereich des Ellenbogens), kann die Funktion des Nerven beeinträchtigt werden. Da der Medianus die Beugemuskulatur für Daumen, Zeige- und Mittelfinger versorgt, wird die Hand des Patienten beim Faustschluss keine volle Kraft entwickeln können. Das Öffnen des Drehverschlusses einer Flasche mit der betreffenden Hand ist nicht möglich. Die Muskulatur des Daumenballens wird mit der Zeit zurückgebildet. Reflexe: Bei einer neurologischen Untersuchung können etwa zehn so genannte Muskeldehnungsreflexe geprüft werden. An dieser Stelle wird zur Erläuterung nur ein einziger dieser Reflexe kurz erklärt werden. Allgemein bekannt ist der Patellarsehnenreflex: Man schlägt mit einem Reflexhammer leicht auf die Sehne, die unterhalb der Kniescheibe zur vorderen Seite des Schienbeins führt. Vorausgesetzt das zu untersuchende Bein ist so gelagert, dass der Unterschenkel frei schwingen kann, wird die Auslösung des Reflexes dazu führen, dass das Bein im Knie gestreckt wird: Der Unterschenkel schwingt nach vorne (das ist die Reflexantwort). Das Prinzip ist dabei, dass durch den Schlag auf die Sehne der dazu gehörige Muskel (Musculus quadriceps femoris) kurz gedehnt wird. Die den Muskel versorgenden Nerven treten im Bereich der Lendenwirbelsäule (L3,4) aus dem Rückenmarkskanal. Über einen Reflexbogen wird die Reflexantwort eingeleitet. Wenn nun aufgrund einer Gewebsveränderung im Bereich der Nervenaustrittsstellen der entsprechenden Lendenwirbelkörper Teile der Bandscheiben auf die Nervenwurzeln drücken, so hat dies außer den Schmerzen eine Funktionseinschränkung zur Folge. Der Muskel wird nicht mehr richtig innerviert und führt somit zu einer Schwäche der Streckung des Beines. Außerdem wird die Reflexantwort so beeinträchtigt, dass sie abgeschwächt im Seitenvergleich mit der gesunden Seite ist. Der abgeschwächte Reflex zeigt die sogenannte „periphere“ Lähmung an. Der Ort der Läsion sitzt nicht im Zentralnervensystem (Gehirn oder Rückenmark), sondern im peripheren Nervensystem, hier im Bereich der Nervenwurzel. Sensibilität: Es gibt vier verschiedene sensible Qualitäten: Tast- und Berührungsempfinden, Druckempfinden, Lage der Extremitäten sowie Schmerz- und Temperaturempfinden. Die Oberfläche des menschlichen Körpers kann bezogen auf die Sensibilität in abgegrenzte Areale aufgeteilt werden. Dabei sieht diese Aufteilung der Oberfläche des Körpers in sensible Areale (Dermatome) jeweils anders aus, je nachdem ob eine Nervenwurzel oder ein Nerv im weiteren Verlauf geschädigt ist. Bei einer Schädigung des Nervus medianus erleidet man ein Taubheitsgefühl im Bereich der Innenhand zwischen Daumen und Zeigefinger (Medianusversorgungsgebiet). Wenn die Bandscheibe zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbelkörper auf die jeweilige Nervenwurzel drückt, erleidet man ein Taubheitsgefühl in dem entsprechenden Versorgungsgebiet, das von der Außenseite des Oberschenkels auf die Innenseite des Unterschenkels reicht. Koordination: Störungen der Koordination von Bewegungen können verschiedene Ursachen haben. Bei einer Funktionsstörung des Kleinhirns kann es zu einer sogenannten Ataxie kommen. Eine solche Bewegungsstörung verursacht einen über das Ziel hinausschießenden Bewegungsablauf. Man prüft dies zum Beispiel mittels Zeigeversuch (mit geschlossenen Augen den Zeigefinger in großem Bogen auf die Nasenspitze aufsetzen). Auch bei Sensibilitätsstörungen kommt es zu Beeinträchtigungen des Bewegungsablaufes. Alkoholismus und Diabetes sind häufige Ursachen einer sensiblen Neuropathie bei der es zu Störungen der peripheren Nervenfunktion, bevorzugt in den unteren Extremitäten mit Taubheitsgefühl, kommt. Da die Patienten den Boden nicht richtig spüren, gehen sie unsicher und breitbasig (Seemannsgang). Muskeltonus: Manche Erkrankungen (Multiple Sklerose, Morbus Parkinson) verursachen typische Veränderungen der Tonisierung der Muskulatur. Normalerweise lassen sich Gliedmaßen passiv ohne Widerstand bewegen, wenn die Patienten sich entspannen. Menschen mit einer Multiplen Sklerose zeigen häufig eine spastische Gangstörung (der Gang sieht staksig und ungelenk aus) und man kann den erhöhten Muskeltonus in den Beinen spüren, indem man das entspannte Bein des Patienten im Knie beugt und streckt. Dabei spürt man eine plötzliche Widerstandserhöhung bei der Bewegung, die nachlässt, wenn man die Kraftwirkung zurücknimmt. Ähnliches gilt für den sogenannten Rigor der Muskulatur bei der Parkinsonkrankheit. Ein für diese Erkrankung in diesem Zusammenhang charakteristisches Zeichen ist das sog. Zahnradphänomen. Meningismus: Die Nackensteifigkeit kommt durch eine Reizung der Hirnhäute zustande und zeigt sich vor allem in einer Schonhaltung der Patienten. Getestet wird dies durch verschiedene Manöver, die die Hirnhäute leicht dehnen (z. B. Vorbeugen des Kopfes). Allerdings ist die Untersuchung für Patienten mit einer Meningitis sehr schmerzhaft.
Pyramidenbahnzeichen: Die Pyramidenbahn besteht aus einem Bündel von Nervenzellfortsätzen, die von Stirnhirn bis zu den ersten Umschaltstellen im Rückenmark ununterbrochen durchlaufen. Diese Zellen sind so etwas wie ein Schrittmacher der willkürlichen Bewegungen. Der Name Pyramidenbahn stammt von einer Struktur im Hirnstamm (der pyramis), durch die die Pyramidenbahn hindurchläuft. Wenn dieses Nervenbündel an irgendeiner Stelle unterbrochen wird, kommt es zu einem typischen Funktionsausfall: einer spastischen Lähmung (Kraftminderung mit Muskeltonuserhöhung). Die Ursachen können völlig unterschiedlich sein: Eine Verletzung der Wirbelsäule und des Rückenmarkes, eine Durchblutungsstörung im Hirnstamm, eine Hirnblutung im Bereich der sogenannten Kapsel oder ein Tumor in der Großhirnrinde an der entsprechenden Stelle. Neben der Lähmung und der Muskeltonuserhöhung finden sich dann häufig sogenannte Pyramidenbahnzeichen. Man meint damit in erster Linie das Anheben (Dorsalextension) der großen Zehe beim Bestreichen der Fußsohle an ihrem Außenrand (Babinski-Reflex). Weitere Untersuchungsverfahren: Bei verschiedenen Erkrankungen werden besondere Untersuchungen durchgeführt. So kann man mit bestimmten Verfahren die Schweiß-Sekretion prüfen oder die Anpassung von Blutdruck und Puls bei Belastung. Nach Schlaganfällen prüft man die motorischen Funktionen der Sprache, wenn eine Dysarthrie vorliegt oder die grammatischen Funktionen der Sprache im Falle einer Aphasie. Störungen komplexer Bewegungsabläufe ohne Beeinträchtigung von Kraft und Empfinden nennen wir Apraxien (ein Beispiel wäre das Anziehen einer Jacke). Manche Patienten bemerken nach einem Schlaganfall ihr neu entstandenes Defizit nicht (Anosognosie). Manchmal tritt nach einem Schlaganfall ein Gesichtsfeldausfall ein, den die Patienten nicht bemerken. Das Nichtbemerken dieser Störung wird Neglect genannt. Für diese Phänomene gibt es besondere Untersuchungsverfahren. Ein weiteres besonderes Gebiet ist die neurologische Untersuchung von bewusstseinsgestörten Patienten und kleinen Kindern. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Untersuchungsmethoden, die hier kurz vorgestellt wurden und von denen nur eine unvollständige Auswahl gegeben werden konnte, für das Erkennen neurologischer Erkrankungen unersetzlich sind. Kein technisches Verfahren kann an die Stelle einer aufmerksamen Beobachtung und eines einfühlsamen Gesprächs sowie der vielen verschiedenen Manöver und Prüfungen treten. Das Ziel aller dieser Maßnahmen ist eine Diagnose und damit die Bestimmung, welche neurologische Erkrankung vorliegt. Technische Untersuchungsverfahren in der NeurologieDie technischen Untersuchungsverfahren in der Neurologie sind sehr vielgestaltig. Durch die Untersuchung biologischen Materials wie Blut (Laborwerte), Nervenwasser (Liquordiagostik), Gewebeproben von Nerven und Muskeln sowie Genanalysen können eine Reihe von Krankheiten diagnostiziert werden. Ein weitere Gruppe von Untersuchungsverfahren ist die Messung elektrischer Phänomene, wie die der Hirnströme (Elektroenzephalographie (EEG), Evozierte Potentiale), der Muskelfunktionen (Elektromyografie, EMG), der elektrischen Funktionen der Nerven (Nervenleitgeschwindigkeit durch Elektroneurographie, ENG) und die transkranielle Magnetstimulation. Die hirnversorgenden Gefäße können mittels Ultraschall (extrakranielle und transkranielle Doppler- und Duplexuntersuchungen) und invasiver Verfahren (z. B. Angiografie) untersucht werden. Bildgebende Verfahren zur Darstellung des Gehirns und Rückenmarks sind Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) sowie die sogenannten funktionellen bildgebenden Verfahren: Positronen-Emissionstomografie (PET), Single Photon Emission Computed Tomography (SPECT), Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) und Magnetoenzephalographie (MEG). Die klinische Methode und die klinische RealitätDie Hinweise auf Fehler in der Anwendung der klinischen Methode sollten die Tatsache zu Ausdruck bringen, dass im klinischen Alltag manchmal nicht nach der klinischen Methode gearbeitet wird. Die meisten Lehrbuchautoren stimmen der Überzeugung zu, das technische Untersuchungen die klinische Methode nicht ersetzen dürfen. Zudem gilt, dass die Durchführung technischer Untersuchungen die Funktion erfüllen soll, klinische Hypothesen zu prüfen. Kurz gesagt soll eine Computertomographie nicht die klinische Diagnostik ersetzen. Immer dann, wenn bei einem diagnostischen Vorgehen diese Grundregeln verletzt werden, ist das Risiko groß, Fehler zu machen oder überhaupt keine Diagnose stellen zu können. Bevor nun in einem besondern Kapitel die neurologischen Erkrankungen skizziert werden, muss der Gang der klinischen Methode in der Neurologie um einen weiteren Schritt ergänzt werden. Dabei handelt es sich darum, alle Kenntnisse, die bislang gewonnen wurden, syndromal zu formulieren. Konkret heißt dies: Lassen die Daten (Anamnese, Befund und neurophysiologische Überlegungen) es zu, die Beschwerden eines Patienten einem der bekannten neurologischen Syndrome zuzuordnen? Diese Frage ist der notwendige letzte Schritt, bevor eine neurologische Diagnose gestellt werden kann und soll im nächsten Abschnitt näher erläutert werden. Die neurologischen SyndromeEin Syndrom ist eine Gruppe von gleichzeitig auftretenden Krankheitszeichen. Es gibt in der Neurologie etwa ein Dutzend Syndromgruppen und in jeder Syndromgruppe zahlreiche Syndrome. Zu jedem Syndrom gehören verschiedene neurologische Krankheiten, die zudem völlig anders als die Syndrome gegliedert werden. Zunächst seien die verschiedenen Syndromgruppen genannt und kurz charakterisiert. Die Syndrome des peripheren Nervensystems gliedern die Syndrome, die Störungen der Nerven in ihrem Verlauf außerhalb des Wirbelkanales betreffen. Es sind dies die meist traumatisch bedingten Läsionen peripherer Nerven, der Nervengeflechte (Plexus), der Nervenwurzeln und des Grenzstrangs sowie die Polyneuropathien. Mit dem Begriff der zerebralen Syndrome werden zunächst die vier Gruppen hirnlokaler Syndrome zusammengefasst. Es handelt sich dabei um die Hemisphärensyndrome, die Hirnstammsyndrome, die extrapyramidalen Syndrome und die Kleinhirnsyndrome. Diese Syndromgruppen lassen sich noch weiter untergliedern. Unter dem Begriff Rückenmarkssyndrome werden fünf verschiedene Syndromgruppen zusammengefasst: die kompletten Querschnittsyndrome, das Halbseitensyndrom des Rückenmarkes, das zentrale Rückenmarksyndrom, das Syndrom der Hinterstränge und das Vorderhornsyndrom. Es gibt fünf verschiedene Neuroophthalmologische Syndrome: Das Syndrom der Olfaktoriusrinne, des Keilbeinflügels, der Orbitaspitze, das Forster-Kennedy-Syndrom und das Sinus-cavernosus-Syndrom. Der Schwindel (Vertigo) wird zweifach unterteilt: die vestibulären und die nicht-vestibulären Formen. Es gibt drei verschiedene neurootologische Syndrome: das Syndrom der Pyramidenspitze, des Foramen jugulare und das Kleinhirnbrückenwinkelsyndrom. Man unterscheidet zwei verschiedene Gruppen meningealer Syndrome: die akuten und die chronischen meningealen Syndrome. Es gibt drei verschiedene Hirndrucksyndrome: die transfalxiale, die mesenzephale und die bulbäre Einklemmung. Ihr entsprechen die verschiedenen Formen der Bewusstseinsstörung in dem Abschnitt Neuropsychologische Syndrome. Es gibt fünf verschiedene Kopfschmerztypen, die man als Syndromgruppen auffassen kann: die gefäßbedingten anfallsartigen Kopfschmerzen, die idiopathischen anfallsartigen Gesichtsneuralgien, die diffusen Dauerkopfschmerzen mit akutem Beginn und die ebensolchen mit schleichendem Beginn sowie die lokalisierten Dauerkopfschmerzen. Eine besondere Gruppe in der neurologischen Syndromlehre sind die vier verschiedenen Liquorsyndrome. Die vertebragenen Syndrome unterscheidet man nach ihrer Lokalisation: Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. Schließlich unterscheidet man fünf verschiedene Gruppen von neuropsychologischen Syndromen: die schweren Bewusstseinsstörungen, die Aphasien, die Apraxien, die Agnosien und die Amnesien. Der Gegenstand der Neurologie: die neurologischen ErkrankungenIn der Neurologie werden folgende Erkrankungsgruppen behandelt:
Therapieprinzipien der NeurologieDie Neurologie galt viele Jahre als eine Disziplin, in der sehr aufwändige diagnostische Verfahren angewandt wurden und wenige therapeutische Möglichkeiten bestanden. Dies hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Viele neurologische Erkrankungen sind heute weitaus besser als noch vor wenigen Jahrzehnten behandelbar. Entscheidend für die Verbesserung der Versorgung von Schlaganfallpatienten ist die nunmehr zur Routine gewordene bildgebende Diagnostik, die eine Unterscheidung zwischen ischämischen Hirninfarkten und Hirnblutungen erlaubt. Zur Behandlung der Parkinsonkrankheit stehen heute verschiedene Medikamentengruppen zur Verfügung. Bei der Behandlung der Anfallsleiden kann bei ausreichender Mitarbeit der Patienten in vielen Fällen eine Anfallsfreiheit erreicht werden. Die infektiös-entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems sind bei frühzeitiger Diagnostik fast alle vollständig heilbar. Die Multiple Sklerose ist weiterhin nicht heilbar, seit der Einführung der Interferone sind die Verläufe aber besser beeinflussbar geworden. Bei den meisten degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, den Fehlbildungen und angeborenen Muskelerkrankungen sind die Behandlungsmöglichkeiten weiterhin sehr begrenzt. Besonderheiten der TierneurologieAuch für Tierärzte stellt die Neurologie eine große Herausforderung dar, denn neben der großen Komplexität des Nervensystems wird er mit zusätzlichen Handicaps belastet. Zum einen ist er, im Gegensatz zum Humanneurologen, nur in den seltensten Fällen Spezialist, der „nur“ neurologische Fälle zu behandeln hat. Ein weiteres Problem stellt das große Artenspektrum dar. Erkenntnisse aus der Humanmedizin lassen sich nur für wenige Erkrankungen übertragen, da andere Säugetiere, Vögel oder gar Reptilien deutliche neuroanatomische und -funktionelle Differenzen aufweisen und das klinische Bild einer bestimmten neurologischen Erkrankung je nach Art erheblich abweichen kann. Selbst ein schwerer Schlaganfall mit komplettem Ausfall des Versorgungsgebiets der Arteria cerebri media, der beim Menschen eine komplette Halbseitenlähmung verursacht, führt bei einem Schaf lediglich zu milden Störungen der Haltungsreflexe, aber kaum zur Beeinträchtigung des Gangbildes. Am auffälligsten ist noch ein Schiefhals, der aber auch viele andere Ursachen haben kann. Dies ist in den Unterschieden hinsichtlich der Kreuzung der Pyramidenbahn und der ganz unterschiedlichen Bedeutung des pyramidalen und des extrapyramidalen Systems für die Bewegungsmuster begründet. Die neuroanatomische Vielfalt ist außerdem dafür verantwortlich, dass viele neurologische Erkrankungen bei Tieren nur ungenügend erforscht sind. Die Tierneurologie ist eine relativ junge Wissenschaft, mit nur wenigen ausgewiesenen Spezialisten und geringen Budgets, die allenfalls die wichtigsten Erkrankungen und dies auch nur bei den am weitesten verbreiteten Vertretern der Haustiere (vor allem Pferd und Hund) intensiver erforschen kann. Bei exotischen Tierarten muss der Tierarzt immer von ihm bekannten Spezies extrapolieren. Ein weiteres Problem stellt die begrenzte Kommunikation dar. In der Humanneurologie ist die intensive Befragung des Patienten, die Anamnese, ein wichtiges Element der Diagnostik. Ein Tier kann dem Tierarzt natürlich nur wenig mitteilen, eine Befragung vor und während der Diagnostik ist nicht möglich. Der Tierarzt ist auf die Beobachtungsgabe des Tierbesitzers angewiesen, manchmal auch seiner Phantasie ausgesetzt. Das Tier kann zwar Schmerzäußerungen machen, aber schon diese sind nicht nur zwischen den Arten, sondern auch individuell stark variierend. So kann ein Tier mit einer bestimmten Erkrankung, eventuelle Schmerzen stoisch ertragen, vor allem noch im Stress des Behandlungszimmers, ein anderes, eigentlich gesundes Tier, auf bestimmte Manipulationen überempfindlich oder aggressiv reagieren. Wichtige diagnostische Kriterien wie zum Beispiel die Zweipunktdiskrimination, also die Fähigkeit der örtlichen Unterscheidung der Herkunft eines Schmerzreizes, lassen sich bei Tieren nicht erheben. Das Tier kann zwar Schmerzen äußern, aber dem Tierarzt nicht mitteilen, ob es den zweiten Schmerz an der gleichen oder einer benachbarten Stelle empfindet. Schließlich ist die Tiermedizin viel stärker kostenorientiert als die Humanmedizin. Bei Nutztieren sind aufwändige Diagnostik oder Behandlungen meist von vornherein ausgeschlossen. Aber auch bei Hobbytieren muss der medizinische Aufwand immer vom Besitzer toleriert bzw. auch finanziell getragen werden können. Kostenintensive Großgeräte wie CT oder MRT sind nur in sehr wenigen großen Tierkliniken vorhanden. Und selbst eine aufwändig gesicherte Diagnose muss nicht zwangsläufig zu einer (bezahlbaren) Therapie führen (so sie überhaupt möglich ist), was für beide Seiten, Besitzer und Tierarzt am Ende unbefriedigend ist. KrankheitsgruppenDie neurologischen Erkrankungen der Haustiere werden üblicherweise in acht Krankheitsgruppen unterteilt, die man sich, in Anlehnung an Veterinär und Vitamin D mit dem Akronym VETAMIN D merken kann:
Historische AspekteDie Neurologie, so wie wir sie heute kennen, ist sehr stark mit den Entwicklungen im Bereich der Anatomie und Histologie verbunden. Erst seitdem regelmäßige Obduktionen stattfinden und vor allem durch die Entwicklung des Mikroskopes konnten Strukturen und deren Zusammenhänge aufgeklärt werden. Die ersten Hinweise auf „neurologische“ Behandlungsversuche gewinnt man durch archäologischen Funden. Etwa 10.000 v. Chr. wurde die erste Trepanation durchgeführt. Die Eröffnung des Schädels ist eine der wenigen fassbaren Behandlungsmethoden, da die Veränderungen am Knochen auch nach Jahrtausenden noch nachgewiesen werden können. Weltweit konnten mehrere Hundert derartig eröffnete Schädel gefunden werden. Großteils wurden diese Eingriffe von den Patienten überlebt, was durch Regenerationsprozesse des Knochens nachweisbar ist. Die damalige Technik war derart ausgefeilt, dass die Dura mater normalerweise nicht eröffnet wurde, eine wesentliche Voraussetzen für das Überleben. Über die Gründe für derartige Eingriffe kann nur spekuliert werden, anzunehmen sind neurologische Symptome wie starke Kopfschmerzen, epileptische Anfälle oder aber auch rituelle Handlungen. Erste Dokumente, welche neurologische Symptomen beschreiben, stammen aus Ägypten, wo um das 14. Jahrhundert v. Chr. Kopfschmerzen, Epilepsien und Schwindelanfälle beschrieben wurden. Man findet ebenso erste anatomische Beschreibungen des Gehirns und umgebender Strukturen. Des Weiteren werden unfallbedingte neurologische Symptome, wie etwa Lähmungen oder Blutungen aus Nase und Ohr bei Schädelfrakturen erwähnt. Ebenso finden sich diverse bildliche Darstellungen verschiedener neurologischer Erkrankungen. AntikePythagoras und Anaxagoras haben erstmals das Gehirn als Sitz des Denkvermögens, der Empfindungen und der Seele beschrieben und die Verbindung von Gehirn und Nerven beschrieben. Im Gegensatz zu diesen Überlieferungen sind von Hippokrates entsprechende schriftliche Ausführungen bekannt. Siehe auchNeurologe - Psychiatrie - Psychologie - Neurochirurgie - Neurophysiologie - Neuroprothese Portal: Geist und Gehirn Literatur und QuellenHumanmedizinAllgemeine Lehrbücher
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