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Neurobiologische SchizophreniekonzepteUnter dem Stichwort neurobiologische Schizophreniekonzepte werden Tatsachen und Theorien zusammengefasst, die sich mit den vornehmlich von Naturwissenschaftlern erstellten Modellen der Schizophrenie als Krankheit beschäftigen. Die moderne Medizin erforscht Ätiologie und Pathogenese der Schizophrenie mit großem Aufwand und führt Studien in vielen Bereichen durch. Die hier vorgestellten betreffen in erster Linie Genetik, Neurochemie, Neuropharmakologie, morphologische Befunde und sonstige organische Faktoren. Die psychosozialen Faktoren der Schizophrenie-Entstehung werden in einem eigenen Artikel behandelt werden.[1] Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
GenetikHistorische AspekteDie Tradition der modernen genetischen Forschung im Bereich der Schizophrenie geht auf den umstrittenen deutschen Genetiker Ernst Rüdin[2][3] zurück. Rüdin war lange Jahre Leiter der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (kurz DFA), der Vorläuferorganisation des Max-Planck-Institutes für Psychiatrie in München. Die DFA wurde 1917 auf Initiative von Emil Kraepelin gegründet und 1924 der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft angegliedert. Rüdin war ab 1918 Leiter der Genealogisch-Demographischen Abteilung der DFA und ab 1931 geschäftsführender Direktor der gesamten DFA. Er ist durch seine einflussreiche Mitarbeit an dem so genannten Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von ärztlicher Seite hauptverantwortlich für die Zwangssterilisation von mehreren hunderttausend Menschen in der Zeit des Dritten Reiches. Die argumentative Grundlage für diese Gesetzgebung und ihre kriminelle Praxis waren unter anderem die von Rüdin und anderen angestellten empirischen Untersuchungen über die Vererblichkeit seelischer Erkrankungen. Rüdin gilt hier als ein zu dieser Zeit international anerkannter Pionier[4]. Populationsgenetische StudienDie grundlegendsten Aussagen zur Populationsgenetik der Schizophrenie betreffen die familiäre Häufung, Zwillingsstudien und Adoptionsstudien der Erkrankung. Zwar treten 80 % der Schizophrenien sporadisch auf, das Erkrankungsrisiko ist jedoch bei Verwandten ersten Grades (Eltern, Kinder, Geschwister) schizophren Erkrankter deutlich erhöht.
Bei einem Lebenszeitrisiko von ca. 1 % für die Durchschnittsbevölkerung beträgt das Risiko eines Geschwisters eines Schizophrenen etwa 10 %, das eines zweieiigen Zwillingsgeschwisters ca. 14 % und das eines eineiigen Zwillingsgeschwisters etwa 46 %. Die Konkordanzraten für eineiige Zwillinge sind hoch, aber noch weit unterhalb von hundert Prozent, was für eine genetisch Komponente der Erkrankung spricht, aber auch dafür, dass Umweltfaktoren zur Verursachung der Schizophrenie beitragen.
Die Adoptionsstudien zur Schizophrenie haben schließlich gezeigt, dass das Erkrankungsrisiko nicht vom Erziehungsstil der leiblichen oder Pflegeeltern abhängt.
Diese Daten zeigen von Studie zu Studie teilweise große Unterschiede, die vermutlich im Wesentlichen auf das Studiendesign zurück gehen. Alle Arbeiten zur Frage der familiären Häufung der Schizophrenie zeigen aber einen Trend zu einem deutlich erhöhten Risiko in Abhängigkeit zum Verwandtschaftsgrad. Der Vererbungsmodus der Schizophrenie ist unklar. Ob ein Unterschied zwischen der familiären gegenüber der sporadischen Form der Schizophrenie besteht, ist nicht gesichert.[9] Humangenetik der SchizophrenieZur Frage der molekularen Genetik der Schizophrenie wurden zahlreiche Studien durchgeführt. Die genetischen Studien beruhen im Wesentlichen auf zwei Ansätzen: Koppelungsstudien und Assoziationsstudien. Das Prinzip der Kopplung beruht darauf, dass ein „Krankheitsgen“ mit einem „Markergen“ gekoppelt ist. Das heißt einfach, dass die entsprechenden Gene auf einem Chromosom eng benachbart sind. Kopplungsanalysen lassen sich sinnvoll bei Erkrankungen mit mendelschem Erbgang einsetzen. Bei Assoziationsstudien sucht man nach beliebigen Sequenzvarianten, die mit einem Merkmal gemeinsam vererbt werden. Diese Art von genetischen Studien wird bei Untersuchungen bevorzugt, bei denen man prüfen will, ob ein vermutetes Kandidatengen mit einer Erkrankung im Zusammenhang steht. Ein genetischer Zusammenhang mit einer Erkrankung kann aber auch bei einem nicht-codierenden Genabschnitt bestehen. Assoziationsstudien haben eine geringere Aussagekraft als Koppelungsstudien. Zur Übersicht:[10][11][12] Eine Übersicht der jüngsten Arbeiten zur Genetik der Schizophrenie ergibt, dass 6 Gene bzw. Genregionen als aussichtsreiche Kandidaten für ein „Schizophrenie-Gen“ gehandelt werden:
Eine Zusammenfassung der Daten ist in der folgenden Tabelle gegeben:
Von allen genannten Kandidatengenen gelten Dysbindin und NRG1 als aussichtsreichste Gene. Allerdings werden noch zahlreiche weitere Kandidaten in den diversen Übersichtsarbeiten genannt. Zu ihnen zählen der metabotrope Glutamatrezeptor GRM-3 auf Chromosom 7q, die Glutamat-Decarboxylase 1 auf Chromosom 2q und ein virales Oncogen AKT1, das bei Mäusen Thymome induziert. Eine Auswahl weiterer Befunde kann angeschlossen werden:
Wegen der Vielzahl von Markern, die für die Schizophrenie auf praktisch allen Chromosomen mit Ausnahme der Nummer 23 gefunden wurden, bezweifeln inzwischen immer mehr Wissenschaftler, ob die bisherigen Untersuchungsstrategien für die Genetik der Schizophrenie zu einem Erfolg führen werden. Die amerikanische Genetikerin Lynn DeLisi hat deshalb vorgeschlagen, nicht mehr nach krankheitsassoziierten Mutationen zu suchen. Sie schlug vor, den Methylierungsstatus des X-Chromosoms bei Patienten mit einem Klinefelter-Syndrom und Schizophrenie zu untersuchen. Die Vorstellung ist dabei, das eine fehlerhafte Inaktivierung bestimmter Gene des X-Chromosoms zum Risiko für die Entstehung der Schizophrenie beträgt. Zu diesem Zweck haben DeLisi und andere den Methylierungsstatus von X-chromosomalen Genen untersucht, die nur beim Menschen vorkommen.[23] Neurochemie und NeuropharmakologieEs liegt nahe, für die psychopathologischen Phänomene ähnliche neuronale Ursachen anzunehmen wie für die normalen psychischen Funktionen. Allerdings ist aufgrund der Vielfalt der Symptome der Schizophrenie nicht davon auszugehen, dass es ein spezifisches neurochemisches Störungsmuster gibt. Seit der Entdeckung der Neuroleptika konzentriert sich ein großer Bereich der wissenschaftlichen Ursachenforschung zur Schizophrenie auf die Frage, welche Bedeutung das dopaminerge System im Gehirn des Menschen für die Entstehung der Schizophrenie hat. In den letzten Jahren werden zunehmend auch andere Transmittersysteme untersucht. Dies hat unter anderem seine Ursache in der Entdeckung der so genannten atypischen Neuroleptika. DopaminDas Wirkprinzip der klassischen Neuroleptika ist die Blockade der Dopaminrezeptoren im Gehirn. Dadurch kommt es zu einer verminderten Aktivität der durch das dopaminerge System versorgten Nervenzellverbände. Anatomie der dopaminergen SystemeEs gibt im menschlichen Gehirn vier dopaminerge Systeme. Das nigrostriatale System ist eine Verbindung dopaminerger Neuronen aus dem Hirnstamm zu den Basalganglien. Störungen des nigrostriatalen Systems führen bei der Parkinsonerkrankung zu Bewegungsstörungen. Bei der Einnahme von Neuroleptika kommt es zu ähnlichen Symptomen. Das tuberoinfundibuläre System besteht aus dopaminergen Neuronen, die die Prolaktinsekretion regeln. Die Einnahme von Neuroleptika führt nicht selten zu einer Erhöhung des Prolaktins im Serum und entsprechender Nebenwirkungen. Das mesolimbische System ist für die Regulation von Affekten verantwortlich. Die mesofrontocorticalen und mesohippocampalen Systeme werden für Prozesse im Bereich von Kognition und Gedächtnis verantwortlich gemacht. Dopamin und DopaminrezeptorenEs gibt zwei verschiedene Dopaminrezeptorfamilien, die mit den Abkürzungen D1 und D2 bezeichnet werden. Die D1-Familie enthält die zwei Subtypen D1 und D5. Die D2-Familie enthält die drei Subtypen D2, D3 und D4. Für die antipsychotische Wirkung der Neuroleptika sind hauptsächlich die D2-Rezeptoren verantwortlich. Messungen der Dopaminkonzentrationen bei schizophren erkrankten Menschen ergaben sehr widersprüchliche Ergebnisse. Vermutlich trägt der Dopaminüberschuss, der eine Schizophrenie verursacht, nicht wesentlich zu den messbaren Konzentrationen bei. Der Dopaminmetabolit Homovanillinsäure kann im Liquor gemessen werden. Seine Konzentration korreliert mit der Einnahme von Neuroleptika. Bei schizophrenen Patienten wurde in post-mortem-Studien eine vermehrte Anzahl von D2-Rezeptoren im Gehirn gefunden, was nach heute übereinstimmender Meinung durch die Einnahme von Neuroleptika verursacht ist. Zahlreiche Studien befassten sich mit dem Nachweis von an D2-Rezeptoren gebundenen radioaktiv markierten Neuroleptika bei Patienten und Probanden. Die Ergebnisse dieser Studien lassen folgende Schlussfolgerungen zu: bei den üblichen Dosierungen typischer Neuroleptika werden 70–80 % der Rezeptoren blockiert. Es gibt dabei keine Unterschiede zwischen Respondern und Non-Respondern. Klassische Neuroleptika blockieren dabei auch D1-Rezeptoren, atypische unter anderem auch Serotonin-Rezeptoren. Dopaminhypothese der SchizophrenieCarlson und Snyder postulierten vor über zwanzig Jahren die Hypothese, dass psychotische Symptome durch einen Überschuss an Dopamin verursacht werden.[24][25][26] Eine Blockade der Dopaminrezeptoren wird dann wie im Falle der Neuroleptika psychotische Symptome mildern. Andererseits kann die Einnahme von Amphetamin euphorisierend wirken und bei längerer Einnahme Psychosen auslösen.[27][28] Amphetamin bewirkt eine Freisetzung von Dopamin und hemmt die Inaktivierung desselben. Amphetaminpsychosen sprechen sehr schnell auf die Gabe von Neuroleptika an. Diese Beobachtungen stützen die Dopaminhypothese. Die Dopaminhypothese kennt zwei Haupt-Probleme:
Nach Verabreichung einer ausreichenden Dosis eines Neuroleptikums sind spätestens nach zwei Stunden alle Dopaminrezeptoren besetzt. Die antipsychotische Wirkung setzt aber häufig erst ein, wenn ein Neuroleptikum über Tage oder gar Wochen eingenommen wird. Deshalb vermutet man als antipsychotischen Wirkmechanismus nicht die Rezeptorblockade selbst, sondern den verzögert einsetzenden Depolarisationsblock.[30] GlutamatSeit über 15 Jahren wird auch eine Glutamat-Hypothese der Schizophrenie diskutiert. Ein starkes Argument für diese Hypothese ist die Existenz eines analogen Phänomens zur Amphetaminpsychose, der Glutamatpsychose durch Phencyclidin (PCP). Die psychoseauslösende Wirkung des Phencyclidins ist seit langem bekannt. Vor allem das L-Isomer des PCP-Derivates Ketamin, das in der Tiermedizin und früher auch in der Kinderheilkunde für Narkosen eingesetzt wurde, kann akute Psychosen auslösen. PCP kann bei gesunden Probanden nicht nur Positiv- sondern auch Negativ-Symptome auslösen. Die PCP-Psychose gilt daher als ideales Modell für die Schizophrenie. Zur Neuroanatomie der glutamergen Neurone ist zu bemerken, das es sich beim Glutamat um den wichtigsten Neurotransmitter der corticalen Neurone handelt. Es sind bislang acht glutamerge Rezeptoren identifiziert worden. Sie teilen sich in zwei Gruppen: drei ionotrope und fünf metabotrope Rezeptoren. Von allen Glutamat-Rezeptoren ist der NMDA-Rezeptor der psychiatrisch interessanteste. Er ist auch am intensivsten untersucht. Zur Übersicht vergleiche:[31]. Serotonin (5-HT)Das serotonerge System hat elementaren Einfluss auf Wahrnehmung und Empfinden. So ist die Halluzinogenesis „klassischer“ Halluzinogene, wie beispielsweise Meskalin, auf serotonerge Mechanismen zurückzuführen. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem 5-HT2A-Rezeptor zu.[32] So zeigen Arzneistoffe, die bevorzugt den 5-HT2A-Rezeptor hemmen (MDL 100907), eine antispychotische Wirkung. Weitere Serotonin-Rezeptoren stehen in der Diskussion, an der bewusstseinsverändernden Gesamtwirkung einiger Halluzinogene mit beteiligt zu sein, darunter 5-HT1A[33], 5-HT5A, 5-HT7. Dennoch fällt es schwer, aus diesen Erkenntnissen ein schlüssiges Erklärungsmodell der Schizophrenie herzuleiten. Denn schizophrene Patienten erleben die durch serotonerge Halluzinogene erzeugten Psychosen anders als die ihnen vertrauten Krankheits-Symptome. (Leuner, H.) Dies schränkt den Wert der „LSD“-Psychose als Modell für die Schizophrenieforschung ein. Osmond und Symythies stellten 1952 die Transmethylierungshypothese der Schizophrenie auf.[34] Diese besagt, dass körpereigene Substanzen in psychose-auslösende Stoffe, ähnlich dem LSD, umgebaut würden. Diese Hypothese gilt als nicht belegt. Morphologische BefundeAnfängeNeuropathologische Untersuchungen bei Menschen, die an einer Schizophrenie erkrankt waren, datieren aus der Zeit des Beginns der Hirnforschung. In den 90er-Jahren des 19.Jh. gründete Emil Kraepelin ein neuroanatomisches Labor an der Universität München. Seine Schüler Alois Alzheimer, Gaupp und Franz Nissl begannen dort mit ihren Studien zur Neuropathologie der Schizophrenie. Alzheimer publizierte 1897 eine der ersten Arbeiten zu diesem Thema[35] Bis Mitte des 20. Jh. wurden zahlreiche Studien zu diesem Thema veröffentlicht, die aber keine einheitlichen Ergebnisse vorweisen konnten. Daher wurde über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren kaum in diesem Bereich publiziert.[36] Nichtfunktionelle BildgebungPneumenzephalographieDer Beginn der modernen Forschungen zu den morphologischen Veränderungen bei Schizophrenien bilden die bereits in den 50er-Jahren von Gerd Huber durchgeführten pneumenzephalographischen Untersuchungen. Dabei entdeckte Huber die Ventrikelasymmetrie bei Schizophrenen.[37] Bei der Pneumenzephalographie wird der Liquor großenteils gegen Luft ausgetauscht und es werden konventionelle Schädel-Röntgenaufnahmen gemacht. Die Luft in den inneren und äußeren Hohlräumen des Gehirns bewirkt einen Kontrasteffekt, der die Umrisse des Gehirns und je nach Lagerung des Patienten Teile des Ventrikelsystems plastisch dargestellt erscheinen lässt. Dieses Verfahren wurde in der Ära vor der Computertomographie unter anderem zur Diagnose von Hirntumoren eingesetzt und zur Planung stereotaktischer Operationen. CCT und MRTSeit der Erfindung der Computertomographie und der ersten CT-Studie bei schizophrenen Patienten durch Johnstone[38] wurden über 200 computertomographische und kernspintomographische-Studien bei diesen Patienten durchgeführt. Diese Untersuchungen haben bewiesen, dass Menschen mit einer Schizophrenie links betont erweiterte Seitenventrikel haben. Die Untersuchungsbefunde deuten darauf hin, dass es unter den an Schizophrenie erkrankten Menschen mit einer Ventrikelasymetrie keine weiteren Untergruppen mit einem speziellen Typ von Ventrikelerweiterung gibt. Es gibt zudem keine eindeutige Korrelation der Ventrikelweite zu einem spezifischen Symptom. Zudem ist dieses Phänomen nicht schizophrenie-spezifisch, es findet sich auch bei Patienten mit affektiven Störungen. Die Ventrikelerweiterung scheint genetisch determiniert zu sein. Zumindest findet sich bei den Patienten keine Korrelation zu einem anderen untersuchten Merkmal wie Alter, Geschlecht, Behandlung, soziale Gruppe etc.. Allerdings finden sich die Ventrikelerweiterungen auch bei den nahen Verwandten der Patienten. Bislang gibt es noch keine Ergebnisse von prospektiven Studien zur Frage des Erkrankungsrisikos bei Ventrikelerweiterung. Die Ursache des Phänomens liegt vermutlich in einer Verringerung der Anzahl der Zellen, die den Ventrikelräumen benachbart sind. Teilweise geht die Ventrikelerweiterung auf das Konto von Volumenminderungen im Bereich des Hippocampus. Zur Übersicht:[39] Volumetrische Studien bei Schizophrenie
Es gibt bis zum Jahr 2001 23 Studien, in denen Veränderungen des Gesamtvolumens des Gehirns von schizophrenen Patienten untersucht worden ist.[40] Dabei zeigte sich, das es in der Mehrzahl der Fälle keine signifikanten Veränderungen gibt. Ein Teil der Patienten zeigte eine Abnahme des Gehirnvolumens.
Untersuchungen zu Veränderungen des Volumens von grauer und weißer Substanz haben deutliche Veränderungen gezeigt. In der überwiegenden Mehrzahl der untersuchten Fälle in insgesamt 20 Studien bis zum Jahr 2000 zeigte sich eine Volumenreduktion der grauen Substanz, wobei die gemessenen Volumen der weißen Substanz unverändert waren.[41] Einzelne Studien haben einen Effekt der Volumenminderung auf die Wirkung von Neuroleptika gezeigt.[42][43]
Eine Erweiterung der Seitenventrikel bei Schizophrenie ist der am häufigsten replizierte Befund. Dies konnte in einer Zusammenstellung von 28 Studien aus den Jahren 1994 bis 2000 in über 95 % der Fälle nachgewiesen werden.[44]Die Ursachen der Ventrikelasymmetrie ist nicht genau bekannt. In einzelnen Studien konnte ein genereller Hirngewebsverlust nachgewiesen werden.[45] In einer großen Vergleichsstudie zur Vorhersage des Nervenzellverlustes anhand der Daten des Ventrikelvolumens und des Liquorvolumens über der Hirnoberfläche konnte gezeigt werden, das ein vergrößertes Ventrikelvolumen im Falle der Schizophrenie mit einem reduzierten Volumen der grauen Substanz einher gehen könnte. Dies ist bemerkenswert, da ein vergrößertes Ventrikelvolumen üblicherweise auf das Konto einer Volumenreduktion der Basalganglien geht, was aber für die Schizophrenie nicht zutrifft.[46] In einer methodisch aufwendigen MRT-Studie konnte gezeigt werden, das keine Unterschiede zwischen ersterkrankten und chronisch kranken Patienten mit einer Schizophrenie in Bezug auf ein vergrößertes Ventrikelvolumen bestehen, was mit der Hypothese einer neuronalen Entwicklungsstörung vereinbar ist.[47]
Von allen corticalen Strukturen sind im Falle der Schizophrenie Veränderungen im Bereich des Temporallappens am besten untersucht.[48] Der sicherste Befund ist eine Volumenreduktion in dem Bereich des linken Schläfenlappens, in dem sich das Wernicke-Sprachzentrum befindet (Planum temporale/Gyrus temporalis superior). Diese Befunde konnten durch bildgebende Verfahren[49][50] und post-mortem Studien[51] bestätigt werden. Die Veränderungen korrelieren mit psychopathologischen Befunden.[52] Der mediale Abschnitt des Temporallappens ist Gegenstand besonderen Interesses, da sich hier Regionen befinden, in denen bei post-mortem-Studien Auffälligkeiten gefunden wurden. Im Bereich des enthorinalen Cortex haben Jakob und Beckmann bereits 1986 abnorme Neuronenpopulationen gefunden[53] und im Bereich des Hippocampus wurden in der Mehrzahl der durchgeführten Studien eine Volumenreduktion gefunden.[54] Außerdem zeigte sich in den post-mortem-Studien eine verminderte Neuronengröße, was auf eine gestörte Konnektivität der betroffenen Neuronen hinweist.[55][56]
Die am besten untersuchten Befunde bezüglich der Frontallappen bei Schizophrenie betreffen die metabolische Hypofrontalität.[57][58] Bezüglich morphologischer Veränderung ist bemerkenswert, das die normale Asymmetrie des Frontallappens (rechts > links) bei Schizophrenie aufgehoben ist[59] Da der Frontallappen in viele Untereinheiten unterteilt ist, sind Studien zu einzelnen Abschnitten dieser Hirnregion bei Schizophrenie durchgeführt worden. Dabei zeigte sich, das es insbesondere im Bereich des dorsolateralen präfrontalen Cortex bei Schizophrenie eine Volumenminderung gibt.[60] In einzelnen Studien wurde in diesem Bereich auch eine Störung der Gyrifizierung festgestellt.[61]
Studien zu den Scheitellappen bei Schizophrenie ergaben bislang keine charakteristischen Veränderungen. In einzelnen Subregionen wurde eine Abnahme der grauen Substanz gefunden.[62]
Die sogenannten Basalganglien sind der Ort von neuronalen Verbindungen zwischen verschiedenen Cortexarealen (parietal und präfrontal) und sind Teil einer sog. neuronalen Schleife vom Cortex über BG und Thalamus zurück zum Cortex. Diese Verbindungsstrukturen besorgen Auswahl und Veranlassung willentlicher Aktionen.[63] In 14 Studien in der Zeit von 1994 bis 2000 wurden in 80 % der Fälle strukturelle Veränderungen gefunden: Bei Patienten mit einer Schizophrenie, die mit Neuroleptika behandelt wurden zeigte sich eine Volumenzunahme der BG und bei neuroleptikanaiven Patienten eine Volumenminderung.[64][65]
Der Thalamus gilt als eine Art Filter für sensorische Informationen zwischen Cortex und limbischen System.[66] In der Mehrzahl der durchgeführten MRT-Studien zeigte sich eine Volumenreduktion des Thalamus bei Schizophrenie. Dabei wurde einerseits gezeigt, das die Volumenreduktion bilateral ist[67] und das sie mit einer Minderperfusion einhergeht.[68]
Das Kleinhirn übt Kontrollfunktionen der Feinmotorik aus. Es gibt auch Hinweise für seine Beteiligung bei kognitiven Prozessen[69] Von Nancy Andreasen stammt die Theorie der „kognitiven Dysmetrie“. Sie besagt, dass das Kleinhirn über Verbindungen mit präfrontalem Cortex und Thalamus an den Symptomen der Schizophrenie beteiligt ist.[70] Die bisher durchgeführten Untersuchungen gründen sich auf den Befund einer Volumenminderung des Kleinhirnwurms.[71] Allerdings ist die Datenlage zu diesem Befund bislang eher schmal. Funktionelle BildgebungPET- und SPECT-UntersuchungenDer bekannteste Befund aus funktionellen bildgebenden Untersuchungen mittels PET und SPECT ist das 1971 entdeckte Phänomen der Hypofrontalität bei schizophrenen Patienten. Franzen und Mitarbeiter beobachteten in ihrer Pionier-Studie eine Minderung der frontalen Hirndurchblutung.[72] Die frontale Minderperfusion beträgt bei allen seither durchgeführten Studien 1–8 %. Das Phänomen ist schon sehr bald mit der Vermutung verknüpft worden, dass bei Schizophrenen der frontale Cortex eine dopaminerge Minderaktivierung zeigt. Es ist anzunehmen, dass eine Art Gegenregulationsbemühung der frontalen Neurone zu einer dopaminergen Übersteuerung führt. Der durch die Hypofrontalität verursachte relative Dopaminüberschuss im limbischen System und in anderen corticalen Regionen könnte dann zu den psychotischen Symptomen der Schizophrenie führen. fMRT- und MRS-StudienAuch mithilfe der funktionellen Kernspintomographie wurde die Minderaktivierung des dorsolateralen präfrontalen Cortex bestätigt[73]. Besonders eindrucksvoll war der Nachweis, dass Patienten, die Stimmen hören, eine Aktivierung im primären akustischen Cortex zeigen[74][75]. Mithilfe der Phosphor-31-Magnet-Resonanz-Spektroskopie wurde ebenfalls ein verminderter Energieumsatz im Frontalhirn von schizophrenen Patienten gefunden. Mittels Wasserstoff-Spektroskopie kann man die neuronenspezifischen Substanzen (N-Acetyl-Aspartat) und den Marker für degenerative Prozesse Cholin nachweisen. Bei schizophrenen Patienten konnte übereinstimmend im Hippocampus eine Reduktion des NAA gefunden werden, bei unveränderten Werten für Cholin. Das bedeutet, dass die Minderaktivierung des Hippocampus bei Menschen mit einer Schizophrenie nicht auf degenerative Prozesse zurück zuführen ist. Zur Übersicht: [76] Bildgebung und kognitive LeistungenDie folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Befunde zur Lokalisation von kognitiven Defiziten bei Patienten mit einer Schizophrenie.
Neuropathologische BefundeAufgrund der radiologischen Befunde zur Ventrikelasymmetrie durch Huber und Johnstone kam es Anfang der 80er-Jahre des 20.Jh zu einer Renaissance der neuropathologischen Untersuchungen der Schizophrenien. Limbisches SystemDen Beginn der modernen neuropathologischen Untersuchungen zur Schizophrenie bilden die Arbeiten von Bogerts.[77] Dessen Arbeitsgruppe hat ab 1984 in verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass es bei Menschen mit einer Schizophrenie eine Volumenminderung im Bereich des Hippocampus und der Amygdala gibt. Volumenminderungen im Bereich des Thalamus sind gleichfalls beobachtet worden, die Befunde sind aber nicht so signifikant. Veränderungen sind auch im Bereich des Gyrus cinguli beschrieben worden. Area entorhinalisDie Area entorhinalis ist bei schizophrenen Patienten intensiv untersucht worden und die Befunde sind umstritten. Die Arbeitsgruppe um Jakob und Beckmann hat die Befunde gut dokumentiert[78], andere konnten sie nicht reproduzieren. Zu einer Übersicht vgl.:[79] Im Einzelnen handelt es sich um die Beobachtung von abnorm und rotiert gelagerten Neuronen. Das Hauptproblem dieser Untersuchungen ist die geringe Fallzahl: Insgesamt wurden bislang bei kaum mehr als zwei Dutzend Patienten post-mortem Studien zu diesem Zweck durchgeführt. MigrationsstörungenÄhnliche Veränderungen wie in der Area entorhinalis wurden teilweise auch im Hippocampus gefunden. Man vermutet, dass die Ursache dieser rotiert gelagerten Neurone Migrationsstörungen sind. Da man solche Veränderungen auch bei schizophrenen Opfern der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki fand, wurden Studien mit der Fragestellung durchgeführt, ob Menschen mit einer Schizophrenie gehäuft Mutationen im Bereich der DNA-Reparatursysteme haben. Diese Studien haben kein positives Ergebnis erbracht. Zu der Annahme einer genetisch bedingten oder früh erworbenen Migrationsstörung passen allerdings Beobachtungen, das später schizophren Erkrankte als Kinder überdurchschnittlich häufig neurologische Defizite zeigen (motorische Ungeschicklichkeit oder atavistische Reflexe wie das Fingerspreizphänomen). VolumenminderungNeuroradiologische Untersuchungen haben bewiesen, dass es morphologische Veränderungen bei Patienten mit einer Schizophrenie gibt. Die Ursache dieser Veränderung wird seit etwa 20 Jahren intensiv erforscht. Die Befunde sind allerdings bislang nicht eindeutig interpretierbar. Eine Ursache dafür ist die geringe Zahl der Studien. Eine Übersicht von 2002 listet lediglich 70 post-mortem Untersuchungen auf. Nur sehr wenige Befunde sind eindeutig repliziert, nur wenige Studien sind methodisch vergleichbar. Obwohl beispielsweise die Volumenreduktion von Hippocampus und Amygdala bei schizophrenen Patienten durch bildgebende Verfahren inzwischen unbezweifelbar belegt ist, gibt es keine replizierten neuropathologischen Befunde zur Volumenreduktion oder Nervenzellverluste des Hippocampus. Die Ursache dieser Veränderung ist also bislang unklar. UrsachenWiewohl die Datenlage für die neuropathologischen Untersuchungen unübersichtlich erscheint, gibt es doch eindeutige Befunde. Bei keiner der Untersuchungen wurden Hinweise für Veränderungen gefunden wie sie bei klassischen degenerativen Hirnprozessen zu erwarten sind. Die morphologischen Veränderungen bei der Schizophrenie sind also nicht mit denen bei Morbus Alzheimer, Multiple Sklerose oder Chorea Huntington vergleichbar. Zur Übersicht vgl.:[80][81] Sonstige organische FaktorenGeburtskomplikationenMednick und Schulsinger haben Anfang der 60er-Jahre behauptet, dass Geburtskomplikationen ein Risikofaktor für Schizophrenie seien.[82] Die bislang angestellten Untersuchungen ergaben aber, dass das Erkrankungsrisiko durch Geburtskomplikationen um maximal 1 % steigt. Gelegentlich wurde die Vermutung geäußert, dass umgekehrt die genetische Disposition zur Schizophrenie mit Reifungsstörungen einhergeht und dann sekundär möglicherweise zu Geburtskomplikationen führt.[83] Infektions- und ImmunhypothesenDie Infektions- und Immunhypothesen gehen auf Wagner-Jauregg zurück. Dieser erhielt den Nobelpreis für Medizin für seine Malaria-Experimente (Impfmalaria) bei psychotischen Patienten mit einer Lues. Es gibt keine soliden Daten, die diese Hypothesen belegen. Weder sind bei schizophrenen Patienten im Rahmen von postmortalen Untersuchungen Hinweise für das Vorliegen einer entzündlichen Erkrankung des ZNS gefunden worden, noch gibt es konsistente Ergebnisse bei Untersuchungen auf spezifische Antikörper gegen neurotrope Viren oder fremder DNA. Natürlich schließen die negativen Befunde nicht aus, dass Infektionen mit Erregern vorliegen, die sich ins Genom integrieren, oder die sich nur intrazellulär vermehren (Borrelien). Es gibt allerdings epidemiologische Daten, die für die Infektionshypothese sprechen: Retrospektiv fand man, dass das Erkranken der Mutter eines späteren Patienten an einer Virus-Grippe während Grippeepidemien zu der Zeit des zweiten Trimenon das Risiko des Ungeborenen, später an einer Schizophrenie zu erkranken, erhöhen. Auch gibt es ein Überwiegen der Wintergeburten von schizophrenen Patienten auf der Nordhalbkugel, was mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko der Mutter in der Zeit des zweiten Trimenon für Virusinfektionen einhergeht. ZusammenfassungFasst man diese Befunde zusammen, ergibt sich aus neurobiologischer Sicht ein überraschend einheitliches Bild. Die Schizophrenie hat eine genetische Komponente, wobei allerdings völlig unklar ist, wie diese genetische Komponente aussieht. Die Rezeptor/Transmitter-Studien legen nahe, dass nicht eines, sondern mehrere funktionelle Systeme bei der Entstehung der Schizophrenie beteiligt sind. Die morphologischen Untersuchungen zur Schizophrenie zeigen, dass es eine entwicklungsbedingte oder eine niedriggradige degenerative Komponente der Erkrankung gibt. Funktionelle Untersuchungen geben deutliche Hinweise darauf, dass die psychotischen Symptome mit Fehlfunktionen der konventionellen funktionellen Systeme des Gehirns zusammenhängen (auditorischer Cortex und Stimmenhören). Bei der Schizophrenie spielen Umweltfaktoren sicher eine Rolle, aber Infektionen scheinen nicht dazu zu gehören. Siehe auch
Quellen
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