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NeonatizidNeonatizid (lateinisch/griechisch: Neugeborenentötung) bezeichnet die Tötung eines neugeborenen Kindes, in der Regel unmittelbar nach der Geburt. Während in einigen Kulturkreisen die Tötung neugeborener Kinder eine übliche Maßnahme zur Vermeidung von u.a. Überbevölkerung war bzw. ist, schließt sich in westlichen Staaten diese Form der Kindstötung (Infantizid) oft an Schwangerschaften an, die bis zur Geburt des Kindes von der Mutter geheim gehalten oder sogar vor sich selbst verleugnet wurden. Die Tötung erfolgt hier bis auf wenige Ausnahmen durch die Kindmutter selbst als extreme Stress- und Panikreaktion nach der „Überraschung“ der plötzlich erlebten Geburt. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
UrsachenInsgesamt existieren bisher nur wenige Untersuchungen des Phänomens Neonatizid. Nach bisherigem Kenntnisstand gibt es keine isolierbare Einzelursache für die Tötung eines Neugeborenen durch die Mutter. Erst das Zusammentreffen mehrerer Faktoren führt in manchen Fällen zur Tat. Bei den Müttern besteht meist eine Persönlichkeitsstörung, beispielsweise im Sinne fehlender Reife oder völlig unzureichender Bewältigungsmechanismen. Ebenso wie im Falle der Aussetzung Neugeborener sind sie nicht in der Lage, vorhandene Hilfsangebote wie die Schwangerschaftskonfliktberatung, Babyklappen oder die Freigabe zur Adoption zu nutzen. Auslöser für die pathologische Verheimlichung der Schwangerschaft und die spätere Aussetzung oder Tötung eines Säuglings kann das Umfeld der Mutter sein, wenn es eine mögliche Elternschaft ablehnt oder mit negativen Konsequenzen belegen würde. Aber auch in intakten und eigentlich akzeptierenden Umfeldern kam es zu Fällen von Neonatizid und Kindesaussetzung, bei denen die Mutter den Grund für ihr Verhalten nicht rational erklären konnte. Es liegt nahe, die Ursache in den Lebensbedingungen der Täterinnen suchen, wenn diese etwa sehr jung, in Ausbildung oder arbeitslos sind. Tatsächlich wird die Tat von Müttern aller sozialen Schichten begangen, wie auch die Erziehungswissenschaftlerin und Kriminologin Prof. Christine Swientek feststellt: „Unter den Frauen, die ihr Baby umgebracht haben, waren Schulmädchen genau so wie Krankenschwestern und Sozialpädagogik-Studentinnen. Es geht durch alle Schichten, durch alle Altersklassen“. In Studien zur Psychopathologie von Täterinnen wurde auch ein erhöhter Anteil von Frauen mit einer Psychose festgestellt. Fast 90% der untersuchten Frauen hatten jedoch keine psychotischen Erkrankungen, die ihr Verhalten etwa durch Wahn erklären könnten, wogegen eine extreme Ablehnung des Säuglings nach einer verdrängten Schwangerschaft durch die Mutter in den meisten Fällen das Hauptmotiv für die Tat gewesen sei. Begünstigend für einen Neonatizid ist das Fehlen oder Nichtfunktionieren engerer sozialer Stütz- und Kontrollsysteme, die ein Verbergen der Schwangerschaft wie auch der emotionalen Situation der Mutter über lange Zeit ermöglichen. Auch schwere Suchterkrankungen kommen als begünstigende Faktoren in Betracht, zumal, wenn sie Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie den Bezug zur Realität beeinträchtigen. GrößenordnungJährlich werden in Deutschland etwa 30 Neugeborenentötungen bzw. Kindsaussetzungen bekannt, 50-70% der Fälle werden aufgeklärt. Vor 150 Jahren waren die Opferzahlen wesentlich höher (geschätzt werden mehrere tausend Fälle), um 1950 gab es etwa 300 Opfer pro Jahr. Der Rückgang wird mit einer besseren Beratungssituation in Zusammenhang gebracht. Neonatizid und deutsches StrafrechtRechtlich werden Neonatizide nach § 212 StGB (Totschlag, Strafmaß 5 bis 15 Jahre) oder §§ 212, 213 (Minder schwerer Fall des Totschlags, Strafmaß 1 bis 10 Jahre) des Strafgesetzbuches verurteilt. Treten Merkmale wie Habgier, Grausamkeit oder rücksichtslose Eigensucht bei der Kindstötung auf, so ist die Kindstötung als Mord nach § 211 zu werten. In Deutschland gab es bis zur 6. Strafrechtsreform 1998 für den Neonatizid eines nichtehelichen Kindes die strafrechtliche Privilegierung des § 217 StGB ("Eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet", Strafmaß 3 bis 15 Jahre, minderschwere Fälle 6 Monate bis 5 Jahre), der von einem verminderten Unrecht ausging auf Grund des gesellschaftlichen Drucks auf nichtverheiratete Mütter in den früheren Jahrhunderten (gesellschaftliche Ausstoßung, Verlust etwa der Arbeit, Pranger). Die Tötung eines ehelichen Kindes wurde damit aber nicht erfasst und als Totschlag gewertet. Mit dem geschaftlichen Wandel und der Akzeptanz und Gleichstellung der nichtehelichen Kinder wurde diese Strafvorschrift 1998 als überflüssige, nicht mehr zeitgemäße Vorschrift angesehen und somit abgeschafft. Neonatizid im österreichischen StrafrechtDer Neonatizid ist gemäß § 79 StGB eine privilegierte Form des Mordes. Wird das Kind von der Mutter während der Geburt oder während diese noch unter der Einwirkung des Geburtsvorgangs gestanden hat, getötet, gilt die - im Vergleich zum Mord nach § 75 StGB - milde Strafdrohung von einem bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe aufgrund der gesetzlich unwiderlegbar vermuteten Minderung der Zurechnungsfähigkeit während des Geburtsvorgangs. Der Neonatizid ist eine Vorsatztat und als solche von der fahrlässigen Tötung (§ 80 StGB) abzugrenzen. Die Privilegierung greift sogar dann, wenn die Mutter die Tat lange vor der Geburt geplant hat und ihre Zurechnungsfähigkeit nachweislich nicht vermindert war. Die Privilegierung kommt nur der Mutter zu Gute. Tötet der Vater (oder eine andere Person) das Kind, ist er gemäß § 75 StGB Mord strafbar. Selbiges gilt, wenn er die Mutter zur Tötung anstiftet, dann ist er gemäß §§ 12, 75 StGB als Bestimmungstäter strafbar. Neonatizid im kulturellen VergleichAnders als in westlichen Kulturkreisen wurde oder wird es in der Tradition mancher anderer Kulturen weder moralisch noch rechtlich als verwerflich gewertet, Säuglinge nach der Geburt zu töten. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies (vgl. z.B. Kuhse, Singer 1993, S. 135ff.):
Neonatizid bei schwerstbehinderten NeugeborenenIn den westlichen Kulturen vertreten seit Jahren eine Reihe von Menschen die Meinung, die selektive aktive Tötung bzw. die passiv zum Tode führende Nichtbehandlung von Neugeborenen mit schwersten Behinderungen oder Fehlbildungen (z.B. Anenzephalie) solle legalisiert werden. Eine Vorreiterrolle nehmen in dieser Bewegung u.a. der australischer Philosoph und Ethiker Peter Singer und der britische Bioethiker John Harris ein. Letzterer vertritt ähnlich wie Singer die Ansicht, dass es "nicht plausibel ist, von einem moralischen Wandel während der Reise durch den Geburtskanal auszugehen" (BBC-News, 16. Januar 2004). Es ist beispielsweise seit langem gesetzlich legal und von großen Teilen der Gesellschaft toleriert und akzeptiert, bei einer vorgeburtlich festgestellten Behinderung oder Fehlbildung des Kindes - auch bei gegebener oder zu erwartender Lebenfähigkeit des Kindes - einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Darum sei es nicht nachvollziehbar, dass man ein Neugeborenes aufgrund moralischer Prinzipien leben lassen bzw. am Leben halten müsse, wenn seine Behinderung oder Fehlbildung pränatal nicht erkannt worden sei und den Eltern die Alternative des Abbruchs nicht geboten werden konnte. Die Kritik an diesen Bestrebungen ist nach wie vor enorm. Insbesondere in Deutschland wird nicht nur von Behindertenorganisationen befürchtet, eine entsprechende Regelung könne einer Mentalität politischen Raum und rechtliche Legitimation geben, die letztlich gesellschaftliche Einstellungen zu Menschen mit Behinderung hervorrufen könne, welche in der Vergangenheit die nationalsozialistischen "Euthanasie"programme möglich werden ließen. siehe auch
Literatur
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Neonatizid aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |