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Nationalsozialistische RassenhygieneDie Nationalsozialistische Rassenhygiene (oder NS-Rassenhygiene) ist die zur Zeit des Nationalsozialismus betriebene Eugenik oder Rassenhygiene, die eine Radikalvariante der Eugenik darstellte. Die praktische Umsetzung erfolgte durch den Einfluss auf die Wahl der Geschlechts- und Ehepartner durch die Nürnberger Gesetze und Eheverbote, auf die Zwangssterilisation bei verschiedenen Krankheitsbildern und Bevölkerungsgruppen, durch Zwangsabtreibungen bis zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ im Rahmen der Euthanasie. Der NS-Staat ermöglichte den Eugenikern/Rassenhygienikern eine radikalere Umsetzung ihrer Ideen als dies den eugenischen Bewegungen zum Beispiel in Großbritannien, den USA oder Schweden möglich war. Die meisten schlossen sich dem Nationalsozialismus an. Von den bekanntesten Anthropologen, Humangenetikern und Rassenhygienikern der Nazizeit, deren Personalakten im Berlin Document Center (BDC) lagen, waren mehr als 90% (n=47) Mitglieder der NSDAP, 36% gehörten der SS und 26% der SA an.[1] Die hinter der Rassenhygiene stehenden Ideen sind allerdings nicht allein auf Seiten der völkischen Bewegung zu finden. Unter anderen Zielrichtungen finden sich rassenhygienische Ideen auch bei bürgerlichen, demokratischen, sozialistischen, sozialdemokratischen, liberalen oder christlichen Autoren. Grundlage ist vor allem die Sorge vor einer genetischen und kulturellen Degeneration der Menschheit sowie die Neuordnung der Sexualität unter einem rationalistischen Dispositiv. In einer geschichtlichen Gesamtbetrachtung kommt das Autorenteam Weingart/Kroll/Bayertz zu dem Schluss, dass die Mehrzahl der Eugeniker „nationalistisch, wenn nicht gar völkisch, rassistisch oder nationalsozialistisch” gewesen sei.[2] Aus den wissenschaftlichen Teilen der Rassenhygiene entwickelten sich später mehrere Humanwissenschaften. Aus der menschlichen Erblehre wurde die Humangenetik. Auch die Bevölkerungswissenschaft sowie bestimmte Formen der Medizinstatistik haben hier historische und ideengeschichtliche Wurzeln. Aufgrund dieser Gemengelage ist es bei einzelnen Vertretern der Rassenhygiene nicht einfach, die Linie zwischen Ideologie, Pseudowissenschaft und Wissenschaft zu ziehen, die Grenzen sind fließend. Zahlreiche deutsche Gründerväter dieser Fachdisziplinen waren als Schreibtischtäter in die inhumane Politik verwickelt. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Ideologische GrundlagenDer Begriff RassenhygieneRassenhygiene war ursprünglich der deutsche Begriff für die Eugenik. Die Grenzen zwischen beiden Begriffen sind nicht eindeutig, sie werden oft synonym gebraucht. Der Begriff Rassenhygiene stammt von dem Arzt Alfred Ploetz, der ihn in seinem Buch Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen von 1895 erstmals als deutsches Synonym für Eugenik verwendete. Die Bezeichnung Rassenhygiene deutet schon auf eine stärkere Gewichtung des Rassenbegriffes hin. Während sich die Eugenik ursprünglich die „Aufartung“, das heißt die Auslese gesunder und vermeintlich hochwertiger Erbanlagen, zum Ziel setzte und es dabei nicht um die Züchtung einer besonderen, etwa „arischen Rasse“, sondern vielmehr um die Entwicklung einer „Vitalrasse“, also einer „erbgesunden“ Menschheit, ging, fiel der Gedanke einer nordischen „Herrenrasse“ besonders in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Wissenschaftler, die sich wie der Arzt Wilhelm Schallmayer für einen neutraleren Begriff als den der Rassenhygiene aussprachen, konnten sich nicht durchsetzen. Schallmayer sprach von Rassehygiene statt Rassenhygiene, um sich von der zunehmenden typologischen Verwendung des Rassenbegriffs abzugrenzen, die vor allem mit der in Mode gekommenen Rezeption Gobineaus zusammenhing. Schallmayer schlug auch Eugenik und Nationalbiologie (analog zu Nationalökonomie) vor. Man unterscheidet zwischen positiver Eugenik oder positiver Rassenhygiene, also der Verbesserung des Erbgutes durch züchterische Maßnahmen z. B. Förderung kinderreicher Familien, und negativer Eugenik oder negativer Rassenhygiene, das heißt der Beseitigung schlechten Erbgutes aus dem Genpool einer Bevölkerung zugunsten zukünftiger Generationen. Die Idee der Eugenik oder Rassenhygiene reicht weit zurück und ist ein nicht auf Deutschland beschränktes Phänomen. Ihre Anfänge liegen vor allem in England. GrundlagenEine wesentliche Grundlage der Rassenhygiene ist der Sozialdarwinismus. Er beruht auf der Übertragung zentraler Metaphern („struggle for life“, auf Deutsch häufig mit "Kampf ums Dasein" übersetzt) aus der von Charles Darwin entworfenen biologischen Evolutionstheorie auf die menschliche Gesellschaft. Darwin selbst war kein Sozialdarwinist; denn Eigenschaften wie der Altruismus werden von Darwins Evolutionstheorie unterstützt. Das eigentliche Konzept des Sozialdarwinismus stammt von Herbert Spencer. Spencer prägte auch den (häufig fälschlich Darwin zugeschriebenen) Begriff vom "survival of the fittest" ("Überleben der Geeignetsten/am besten Angepassten" oder einfacher "Überleben der Stärksten"). Im Jahr 1920 erschien die Schrift Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens von Karl Binding und Alfred Hoche, die über medizinische Fachkreise hinaus eine starke Wirkung auch auf Juristen und eine interessierte Öffentlichkeit ausübte. Und bereits 1929 erklärte Hitler auf dem Reichsparteitag in Nürnberg:
Wesentliche Vordenker der Rassenhygiene-Ideologie aus der Zeit vor 1933 waren Ernst Haeckel (1834-1919), Alfred Ploetz (1860-1940), Alfred Hoche (1865-1934) und Karl Binding (1841-1920) sowie Fritz Lenz (1887-1976).
Vorgeschichtesiehe Hauptartikel Eugenik Rassenhygiene und Hitlers Mein KampfHitler hatte sich während seiner Festungshaft in Landsberg am Lech intensiv mit der Rassenhygiene beschäftigt. Unter anderem las er den 2. Band des eben erwähnten „Grundrisses der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“ von Baur, Fischer und Lenz, also den von Fritz Lenz verfassten Teil „Menschliche Auslese und Rassenhygiene“. Ideen dieses Werkes gingen in Hitlers „Mein Kampf“ ein, einige Passagen sind fast wörtlich übernommen. So lässt Hitler keinen Zweifel daran, dass er ein rigoroses anti-natalistisches Programm durchführen will. „Er“ [der völkische Staat] „muß dafür Sorge tragen, daß nur wer gesund ist, Kinder zeugt, daß es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen [...].“[3] Von Euthanasie ist in Mein Kampf keine Rede. Lenz wiederum rezensierte „Mein Kampf“ nach den Zugewinnen der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 in einem Artikel im „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie“[4] und er schrieb im Vorwort der Neuauflage des Standardwerkes „Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“: „Daß der Nationalsozialismus ehrlich eine Gesundung der Rasse anstrebt, ist nicht zu bezweifeln." Hitler sei „der erste Politiker von wirklich großem Einfluß, der die Rassenhygiene als eine zentrale Aufgabe aller Politik erkannt hat und der sich tatkräftig dafür einsetzen will."[5] Realgeschichte der Rassenhygiene im NationalsozialismusBevölkerungspolitik der NationalsozialistenBis 1933 verlief der Prozess der politischen Implementierung des rassenhygienischen Programms in Deutschland in denselben Bahnen wie in anderen westeuropäischen Staaten. Mit der Machtergreifung setzte jedoch ein Radikalisierungsprozess ein. Die Rassenhygiene hatte den Boden geebnet für die Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten. Der NS-Staat war sowohl an einer quantitativen als auch einer qualitativen Bevölkerungspolitik interessiert. Diese umfasste einerseits pro-, andererseits antinatalistische Maßnahmen, um Art und Umfang der Bevölkerung gemäß der NS-Rassenlehre zu steuern. Neben der Förderung des „erbgesunden“ und „arischen“ Nachwuchses sollte die Anzahl der vom Nationalsozialismus als erbkrank und nicht-arisch definierten Menschen durch „Ausmerzung“, Sterilisation und Verfolgung vermindert werden. Zu diesem Zweck wurden Gesetze erlassen und Behörden geschaffen, wie zum Beispiel die Erbgesundheitsgerichte oder die „Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle“. Bereits seit 1933 sollte ein intensives Propagandaprogramm für Akzeptanz in der Bevölkerung bezüglich rassenhygienischen Maßnahmen sorgen. Neben Vorträgen und Schulungen in Krankenhäusern und psychiatrischen Anstalten, die Ärzte und Pflegepersonal für die neuen Aufgaben gewinnen und vorbereiten sollten, wurde die Bevölkerung durch Einsatz sämtlicher zur Verfügung stehender Medien zu manipulieren versucht. In Filmen wie „Erbkrank“ und „Opfer der Vergangenheit“ wurden Kranke mit Mördern in einen Topf geworfen und Behauptungen wie: „Das jüdische Volk stellt einen besonders hohen Hundertsatz an Geisteskranken“ aufgestellt. Durch Zeitschriften, Plakate, Kalender, bei Kundgebungen und im Schulunterricht wurde rassenhygienisches Gedankengut verbreitet. Insgesamt blieb die deutsche Bevölkerung aber skeptisch, beschränkte sich der potentielle Opferkreis – anders als bei der Politik gegen Juden – hier doch nicht mehr ausschließlich auf eine mehr oder weniger scharf umrissene Personengruppe, sondern konnte potentiell jeden miteinschließen. Pronatalistische PolitikDie Zwischenkriegszeit war von Geburtenstagnation und Überalterung der Deutschen geprägt. Vor 1910 waren stets jährlich über 30 Geburten auf 1000 Einwohner gekommen – seit 1926 weniger als 20. Die Nationalsozialisten wollten durch eine pronatalistische Politik den Geburtenrückgang in den Griff bekommen und die „Gebärleistung“ der deutschen Frau steigern. Dabei waren nur Kinder „rassisch wertvoller“ Frauen erwünscht. Die Fortpflanzung jener 20–30 Prozent der deutschen Bevölkerung, die nach strengen rassenhygienischen Kriterien als „minderwertig“ galten, sollte dagegen verhindert werden. Gesundheitsprüfungen regelten, dass nicht jede Frau heiraten durfte, wobei besonders strenge Maßstäbe für die Ehepartnerinnen von Berufssoldaten und SS-Angehörigen angelegt wurden. „Lebensborn“ und Abtreibungsverbot1935 gründete Heinrich Himmler die Lebensborn e.V., die sich zur Aufgabe machte, „den Kinderreichtum in der SS zu unterstützen, jede Mutter guten Blutes zu schützen und zu betreuen und für hilfsbedürftige Mütter und Kinder guten Blutes zu sorgen“. Lebensborn gab unverheirateten „wertvollen“ Frauen die materielle Möglichkeit, ihre Kinder auszutragen, und bot ihnen so eine Alternative zur Abtreibung. Zu den ersten Gesetzen, die das neue Regime erließ, gehörte die Wiedereinführung der §§ 219 und 220 des Strafgesetzbuches, die Abtreibungen wieder stärker unter Strafe stellten. Waren vor 1933 Abtreibungen vorwiegend mit Geld- und Gefängnisstrafen von weniger als drei Monaten geahndet worden, so nahm unter der NS-Herrschaft der Anteil der höheren Gefängnisstrafen deutlich zu. Zugleich wurde der Zugang zu Verhütungsmitteln erschwert. Frauen „guten Blutes“ sollten Schwangerschaften künftig weder verhindern noch unterbrechen können. Kinder von Jüdinnen oder anderen unerwünschten Gruppen durften dagegen ohne Angabe von Gründen abgetrieben werden. Kindergeld und EhestandsdarlehenNeben repressiven Maßnahmen setzte das Regime auf finanzielle Anreize, um „rassisch wertvolle“ Frauen zur Reproduktion zu bewegen. Kinderreiche Ehepaare wurden steuerlich begünstigt und finanziell unterstützt. Seit 1936 erhielten Arbeiter- und Angestelltenfamilien, deren Monatseinkommen unter 185 Reichsmark lag, für das fünfte und jedes weitere Kind 10 RM monatlich. Zwei Jahre später wurde dieses Kindergeld bereits für das dritte und vierte Kind bereitgestellt. Einen weiteren Anreiz stellte das Angebot eines Ehestandsdarlehens dar. Seit 1933 konnten Heiratswillige, die den rassischen und sozialen Qualitätsanforderungen genügten, ein Darlehen in Höhe von bis zu 1000 RM beanspruchen. Neben der Erleichterung von Eheschließungen und Haushaltsgründungen sollte das Darlehen auch für mehr Kinder pro Ehe sorgen: Die Darlehensschuld verminderte sich pro Kind um ein Viertel und galt nach vier Geburten als „abgekindert“. Propaganda und „Mutterkreuz“Über repressive und finanzielle Maßnahmen hinaus sollte eine wohlinszenierte Propaganda dafür sorgen, dass Frauen ihrer wichtigsten staatsbürgerlichen Aufgabe, Kinder zu gebären und aufzuziehen, gerecht wurden. Immer wieder betonten führende Politiker, jedes Kind, das zur Welt gebracht wird, sei „eine Schlacht, die sie besteht für das Sein oder Nichtsein ihres Volkes“. Mutterschaft galt nicht mehr als Privatsache, sondern wurde in den Dienst der rassenhygienischen Politik gestellt. Ihr politischer Wert wurde durch eine Vielzahl öffentlicher Zeremonien unterstrichen. So feierte das Dritte Reich den Muttertag als nationales Fest mit offiziellen Ehrungen gebärfreudiger Mütter und Reden und Geschenken. Am Muttertag 1939 verlieh der Staat etwa drei Millionen Frauen das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“. Erfolg der pronatalistischen PolitikTatsächlich stieg die Geburtenrate: 1939 lag sie mit 20,4 Geburten pro 1000 Einwohner um mehr als fünf Punkte höher als 1932 und hatte fast wieder das Niveau von 1924 erreicht. Ob dieser Anstieg allerdings wirklich auf die nationalsozialistischen Geburtensteigerungsmaßnahmen zurückging, ist fraglich. Dass in den fünf Jahren nach 1933 mehr Kinder geboren wurden als in der entsprechenden Zeit zuvor, bedeutete nicht etwa, dass die Kinderzahl pro Ehe stieg. Alle Bemühungen, die Entwicklung zur Zwei-Kinder-Familie aufzuhalten, scheiterten. In den 1920 geschlossenen Ehen kamen durchschnittlich 2,3 Kinder zur Welt, in den 1930 und 1940 geschlossenen jedoch nur noch 2,2 beziehungsweise 1,8 Kinder. Die durchschnittliche Haushalts- und Familiengröße schrumpfte auch im Dritten Reich weiter. Ehepaare ließen sich offensichtlich weder durch Abtreibungsverbot noch Kindergeld oder Ehestandsdarlehen davon abhalten, die Zahl ihres Nachwuchses klein zu halten. Antinatalistische Politik und negative EugenikStärker als auf die positiven eugenischen Maßnahmen legten die Nationalsozialisten Gewicht auf die Ausschaltung des schlechten Erbgutes. Die Grundlagen für das Vorgehen gegen unerwünschte Genträger finden sich bereits in der rassenhygienischen Entwicklung vor 1933. Bei der negativen Eugenik werden die gegenseitige Beeinflussung und die Zusammenarbeit zwischen Rassenhygiene und Nationalsozialismus besonders deutlich. Die erbmedizinische Rassenhygiene mischte sich dabei mit anthropologischen Rassentheorien. Opfer der RassenhygieneDie Opfer der Rassenhygiene waren physisch, psychisch, sensorisch (Taubheit, Blindheit) und besonders geistig behinderte Menschen, ferner sogenannte „Asoziale“ und „Fremdrassige“. Die Grenzen zwischen diesen Gruppen sind teilweise nicht eindeutig. Physisch, psychisch und geistig BehinderteBesonders stark betroffen von der „Aufartungspolitik“ der Nationalsozialisten waren physisch, psychisch und geistig behinderte Anstaltsinsassen. Ihre Krankheit konnte für sie unter anderem Sterilisation, Misshandlung durch Vernachlässigung und medizinische Versuche sowie (fälschlich so genannte) Euthanasie bedeuten. Aber auch Behinderte außerhalb der Anstalten waren nicht sicher vor der nationalsozialistischen Politik. Der Begriff von geistig und seelisch Kranken in der NS-Zeit war sehr weit gefasst. Das Zeugnis von Nachbarn und Polizisten, familiäre Hintergründe, der Schulabschluss und dubiose Fragebögen, in denen vor allem Kulturwissen abgefragt wurde, konnten zur Einordnung als „Schwachsinnige(r)“, und somit zur Sterilisation führen. Außerdem gab es die Kategorie der „moralischen Schwachsinnigkeit“, was bedeutete, dass der diagnostischen Subjektivität alle Türen offen standen. Der Übergang von „schwachsinnig“ zu „asozial“ war fließend. Sensorisch Behinderte (Taube und Blinde)Eine Sterilisation vor allem von tauben Menschen erfolgte mit Zwangsmaßnahmen oder ohne deren Wissen und Einwilligung bei medizinischen Eingriffen. Die kommunikative Isolation der Tauben erleichterte das Vorgehen bei diesen im Vergleich zu den Blinden. „Asoziale“Als „asozial“ galten sämtliche als minderwertig eingeschätzte Menschen aus den sozialen Unterschichten, die nicht oder ungenügend arbeiteten beziehungsweise unangepasst lebten. Darunter fielen insbesondere Bettler, Landstreicher, Homosexuelle, Prostituierte, Zuhälter, arbeitsunwillige Fürsorgeempfänger, Alkoholiker und deklassierte Unterschichtsfamilien, aber auch sexuell freizügige Frauen und Personen, die Unterhaltsverpflichtungen vernachlässigten. Sinti, Roma und Jenische galten ebenso als „Asoziale“. Wie die so genannten „Schwachsinnigen“ wurden „Asoziale“ in „Trinkerlisten“ und „Sippenakten“, Homosexuelle in „rosa Listen“ erfasst. Die so genannten „Asozialen“ waren besonders von Eheverboten, sowie der Sterilisations- und Asylierungspolitik betroffen. „Asoziale“ Männer wurden in Konzentrationslagern, „Asozialenkolonien“ oder „Arbeitserziehungslagern“ Zwangsarbeit unterworfen, etliche fielen der „Vernichtung durch Arbeit“ zum Opfer. Vermeintlich „asoziale“ Jugendliche wurden zur Disziplinierung in Jugendkonzentrationslager interniert. Grundlage war eine Begutachtung von Robert Ritters „Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle“. „Fremdrassige“In Mein Kampf formulierte Hitler vor allem zwei Ziele: Die Vernichtung der Juden und die Schaffung neuen Lebensraumes. Auch hier spielt das Gedankengut der Rassenhygiene eine Rolle. „Fremdrassige“ wurden als Bedrohung der eigenen "Herrenrasse“ dargestellt, als minderwertig, gar lebensunwert. Allerdings hielt die Rassenhygiene hier wohl eher als Vorwand für eine rassistisch und antisemitisch motivierte Vernichtungspolitik her. Juden, so Hitler, seien unfähig, einen lebensfähigen Staat zu bilden und versuchten deshalb, sich mit „rassisch höheren Völkern“ zu verbinden, um sie dann zu „versklaven“. Sie ignorierten die Wertunterschiede zwischen den Rassen und die Notwendigkeit des Lebenskampfes zwischen den Völkern; woraus er ableitete, dass das deutsche Volk als „rassisch wertvolles“ die Aufgabe habe, die Juden zu bekämpfen und den Lebenskampf zwischen den Völkern wieder zu aktivieren. Bei den von den Nationalsozialisten teilweise als "arisch" betrachteten Roma und Sinti, die aber als „geborene Kriminelle“ mit einer Neigung zu „sozialem Schwachsinn“ bezeichnet wurden, lässt sich die soziale nicht von der rassistischen Verfolgung trennen. Neben Juden und „Zigeunern“ gehörten auch Osteuropäer, Schwarze, Araber und so weiter zu den „Fremdrassigen“. Ehen mit „Fremdrassigen“ waren verboten, Kinder aus Mischehen konnten unter Zwang abgetrieben werden, ebenso waren die „Fremdrassigen“, besonders die sesshaften Sinti, Jenischen und Roma, vom Sterilisationsgesetz betroffen. Umherziehende Sinti, Jenische und Roma wurden bei den Razzien von 1938 in Arbeitslager verbracht, ebenso wie straffällig gewordene Juden. Vor allem jüdische Menschen, aber auch viele Sinti, Jenische und Roma, starben in den Konzentrationslagern. Abtreibung, Eheverbot und „Rassenschande“Während die Nationalsozialisten „rassisch wertvolle“ Frauen dazu aufforderten, dem Vaterland Kinder zu schenken, wurden Frauen, die den rassischen, sozialen und politischen Ansprüchen der NS-Rassenhygieniker nicht genügten, daran gehindert, Kinder in die Welt zu setzen. Bereits vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde die Abtreibung aus eugenischer Indikation freigegeben. Anfangs war bei Abtreibungen die Zustimmung der Schwangeren nötig, später mit dem Fortschreiten des Krieges wurden besonders bei polnischen und russischen Zwangsarbeiterinnen Abtreibungen gegen deren Willen durchgeführt. Seit 1935 mussten Heiratswillige eine Gesundheitsprüfung ablegen. Ohne die Vorlage eines amtlichen Ehegesundheitszeugnisses durfte kein Standesbeamter eine Eheschließung vornehmen. Die Praxis sah allerdings anders aus: die Gesundheitsämter waren nicht in der Lage, alle Paare, die das Aufgebot bestellten, zu untersuchen, so dass sich die Untersuchungen auf „Verdachtsfälle“ beschränkten. Am 15. September 1935 wurden die Nürnberger Gesetze „zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ erlassen, welche Ehen zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ verboten. Ebenfalls verboten wurde die Ehe „guter Deutscher“ mit Farbigen oder „Zigeunern“. Übertretungen dieser Verbote wurden mit Gefängnis bestraft. Die schon vor 1933 erhobene Forderung, „Rassenschande“ unter Strafe zu stellen, führte vor allem in den Jahren 1934/35 zu Pogromen gegen jüdische „Rassenschänder“. Das Blutschutzgesetz und ein Erlass des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 18. September 1935 ermöglichten die richterliche Handhabe und staatliche Kontrolle. Der § 5 Abs. 2 des Blutschutzgesetzes, der eine Verurteilung von Frauen ausschloss, wurde von Gerichten und Gestapo umgangen, indem Frauen wegen Meineides oder Begünstigung angeklagt und vor allem jüdische Frauen von der Gestapo in Konzentrationslager eingewiesen wurden. Rassenhygiene durch SterilisationDas „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 betraf Anstaltsinsassen, kranke, behinderte und für „schwachsinnig“ erklärte Menschen, besonders aus ärmlichen Verhältnissen (und vor allem aus Bezirken, die in der Weimarer Republik die Kommunisten gewählt hatten, so Michael Burleigh in Die Zeit des Nationalsozialismus), „Asoziale“ und Menschen, in deren Familie psychische Krankheiten vorkamen, und konnte für diese die Sterilisation bedeuten. Es wurde eine Meldepflicht für Ärzte eingeführt, das heißt mögliche Erbdefekte mussten bei den Gesundheitsämtern angezeigt werden. Der Hausarzt sollte ein „Hüter am Erbstrom der Deutschen“ sein. Die Entscheidung, ob eine Person sterilisiert werden sollte, lag bei den insgesamt 225 neu eingerichteten Erbgesundheitsgerichten, denen 18 Erbgesundheitsobergerichte als Berufungsinstanz übergeordnet waren, und die auch ohne Zeugenbefragung und in Abwesenheit des Betroffenen nur auf Grund eines Antrages eine Sterilisation anordnen konnten. Bis 1939 waren innerhalb des „Altreichs“ schätzungsweise 200.000 bis 350.000 Menschen sterilisiert worden; insgesamt vermutet man mehr als einer halben Million Opfer dieser Maßnahme. Das bedeutet, dass knapp ein Prozent der Deutschen unfruchtbar gemacht wurden. Rund 5000 Menschen – vor allem Frauen – starben in Folge von Komplikationen während der Operation, viele – auch hier besonders Frauen – begingen Suizid oder erlitten dauerhafte Traumatisierungen. Rassenhygiene durch IsolationNeben der Sterilisation verfolgten die Nationalsozialisten die Politik der Isolierung und griffen damit wieder eine Forderung der Rassenhygieniker auf. Neben Juden und politischen Häftlingen wurden auch Obdachlose, Bettler und die so genannten „Arbeitsscheuen“ in Konzentrationslager deportiert. Als Wohnungsloser musste man ein „Wanderbuch“ als Pflichtausweis bei sich führen, in dem Wanderstraßen und Unterkünfte festgehalten wurden – besaß man ein solches Buch nicht, konnte man verhaftet werden. Bei der ersten „Bettlerrazzia“ vom 18. bis zum 25. September 1933 griffen Polizei und SA mehrere zehntausend Wohnungslose auf. Da die Gefängnisse nicht ausreichten, wurden viele wieder frei gelassen, andere wurden in regionale Arbeitslager verbracht. Nach dieser Razzia blieb das Vorgehen gegen „Asoziale“ bis 1938 weitestgehend in den Händen lokaler und regionaler Körperschaften. Im Jahr 1938 kam es wieder zu landesweiten Razzien. Die Ausführenden wurden dazu angehalten, vor allem arbeitsfähige Männer zu verhaften. Zwischen dem 21. und dem 30. April verhaftete die Gestapo etwa 2000 „Arbeitsscheue“. Im Sommer 1938 gab Reinhard Heydrich der Kriminalpolizei den Auftrag, in jedem Kripoleitstellenbezirk mindestens 200 „Asoziale“ zu verhaften, mit der Begründung, dass „das Verbrechertum im Asozialen seine Wurzeln hat“, und auf Grundlage des Erlasses zur „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vom 14. Dezember 1937. Am 13. Juni startete die Aktion „Arbeitsscheu Reich“; die Mindestzahl von 200 wurde meistens weit überschritten und zehntausend „Asoziale“ wurden zur Zwangsarbeit in Konzentrationslager gebracht. An der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ erkennt man, dass der rassenhygienische Ansatz zugunsten ökonomischer Überlegungen in den Hintergrund trat. Für die Kriegsvorbereitung wurden Arbeitskräfte benötigt und die Rassenhygiene bot den passenden Vorwand, um Tausende von arbeitsfähigen Männern zu versklaven. Rassenhygiene durch VernichtungVon der Vernichtungspolitik waren besonders die so genannten „Fremdrassigen“ betroffen, hier vermischt sich jedoch Rassenhygiene mit Rassismus und Antisemitismus. Unter dem Titel „Endlösung der Judenfrage“ wurden bis zum Ende des Krieges rund sechs Millionen Juden in Konzentrationslagern, durch Massaker und systematische Exekutionen ermordet. Ebenso erging es etwa 250.000 Sinti, Jenischen und Roma. Natürlich ist es eine grobe Verfälschung des Wortes "Rassenhygiene", die soeben genannten Verbrechen als solche zu bezeichnen; aber anscheinend hat sogar Hitler die Sprache in diesem Sinne missbraucht. Der Mord an den psychisch kranken Anstaltsinsassen geht auf das rassenhygienische Gedankengut, gepaart mit wirtschaftlichen Überlegungen, zurück. Die drastische Herabsetzung der Ausgaben im Fürsorgebereich bedeutete besonders für die Heil- und Pflegeanstalten starke Einschränkungen. In Hessen zum Beispiel sank der tägliche Verpflegungssatz auf unter 40 Pfennig, eine Summe, von der man einen erwachsenen Menschen nicht ernähren konnte. Viele Kranke verhungerten, noch bevor die eigentliche Euthanasie begann. Die in Anstalten untergebrachten Kranken wurden systematisch vernachlässigt und durch Nahrungsentzug, medizinische Versuche oder Euthanasie getötet. Aber auch Kranke, die von ihren Familien gepflegt wurden, sollten vernichtet werden. Die zuständigen Ärzte und Fürsorger wurden angewiesen, Einweisungen zu veranlassen. Oft genug war es der langjährige eigene Hausarzt, der dafür sorgte, dass die Familie von ihrem bisher zu Hause lebenden und gepflegten kranken Angehörigen Abschied nehmen musste. Sie hatte gegen die Entscheidung des Arztes keine Handhabe und wurde über das weitere Schicksal des Kranken im Unklaren gelassen, da es psychiatrische Anstalten gab (z.B. Jerichow in Sachsen-Anhalt), die nur als "Zwischenanstalten" genutzt wurden, um Spuren zu verwischen. Einige Zeit später erhielt dann die Familie die Todesnachricht (z.B. TBC für einen bisher organisch völlig gesunden Angehörigen) und die Benachrichtigung, sie könne sich die Urne des Verstorbenen auf Wunsch zuschicken lassen. Oft genug wurde die Urne nicht angefordert, ahnten oder wussten doch die Familien, dass es nicht die Asche ihres Angehörigen, sondern die eines anderen Ermordeten sein würde. Kinder-EuthanasieAm 18. August 1939, zwei Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurden Hebammen, Geburtshelfer und Ärzte mit einem Erlass aufgefordert, behinderte Neugeborene zu melden – dies galt rückwirkend auch für Kinder bis zu drei Jahren. Die Euthanasie begann gleich nach Kriegsbeginn mit der Tötung dieser geisteskranken Kinder. Die ärztlichen Gutachten, die über Leben und Tod der Kinder entschieden, wurden von Ärzten erstellt, die die Kinder teilweise gar nicht zu Gesicht bekamen; der Leiter der Anstalt Eglfing-Haar bearbeitete beispielsweise 2000 Meldebogen neben seiner normalen Arbeit innerhalb von drei Wochen. Zur Tötung wurde eine Überdosis des Epilepsie-Medikamentes Phenobarbital, bekannt unter dem Handelsnamen „Luminal“, verabreicht, in Eglfing-Haar ließ man Kleinkinder aber auch langsam verhungern. Als Begründung führte man an, das Ausland könne an der offensichtlichen Tötung durch Gift Anstoß nehmen. Später – im Rahmen der Aktion T4 – wurden die Kinder in Gaskammern ermordet. Darunter waren nun auch Jugendliche, Juden- und Zigeunerkinder sowie schwer erziehbare Kinder. Die Zustimmung der Eltern, die offiziell Voraussetzung für die Tötung der Kinder war, wurde oft auf sehr zweifelhafte Weise eingeholt, oft wussten die Eltern nicht, was ihre Kinder erwartete. Die Bezeichnungen Kinderfachabteilungen, beziehungsweise später Heilerziehungsanstalten, sollten bewusst vertuschen, dass Kinder hier durch Gift und Gas ermordet oder zu Tode gequält wurden. Die Totenscheine bescheinigten eine natürliche Todesursache. Die Zahl der zwischen 1939 und 1945 ermordeten Kinder wird auf mindestens 5000 geschätzt. Die Verwendung de Wortes „Euthanasie“ für diese Tötungen ist wieder ein grober Sprachmissbrauch. Euthanasie bedeutet Sterbehilfe, um den Betroffenen schweres Leiden zu ersparen, und das Wort sollte nur in diesem Sinne gebraucht (und anderenfalls mindestenns in Anführungszeichen gesetzt) werden. So verfährt beispielsweise Ernst Klee in seinen Büchern über diese Verbrechen. Die Aktion T4Bald nach Einführung der Kinder-Euthanasie begann die "Euthanasie" an Erwachsenen. Hitlers Ermächtigungsschreiben (siehe Abbildung) erging im Oktober 1939, wurde aber auf den 1. September 1939 zurückdatiert, um die Sachzwänge des Krieges ins Spiel zu bringen. Es verfügte, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann. T4 wurde zur Tarnbezeichnung für den daraufhin stattfindenden Massenmord an über 100.000 Geisteskranken und Behinderten. Die zur "Euthanasie" bestimmten Patienten wurden verlegt und in besonderen Anstalten durch Injektionen und mit Medikamenten getötet. Ab Anfang 1940 folgte die massenhafte Ermordung in Gaskammern. 1941 wurde die Aktion T4 wegen des kirchlichen Widerstands, insbesondere der Predigten des Bischofs Clemens August Graf von Galen, offiziell abgebrochen. Tatsächlich aber wurde die Tötung von Behinderten und Geisteskranken als sogenannte wilde Euthanasie bis zum Kriegsende fortgeführt. Viele Pflegeheimbewohner wurden zum Beispiel durch systematischen Nahrungsentzug und Gabe von sedierenden Medikamenten getötet. Siehe dazu den Fachartikel Aktion T4 Der Mord an jüdischen AnstaltsinsassenWährend es für „arische“ Anstaltsinsassen noch ansatzweise Untersuchungen gab, bevor sie für die "Euthanasie" bestimmt wurden, machten die Ärzte sich diese „Mühe“ bei jüdischen Kranken nicht. So schreibt der KZ-Arzt Friedrich Mennecke am 25. November 1941 an seine Frau: „Danach untersuchten wir noch bis 16 Uhr, und zwar ich 105 Patienten, [...]. Als zweite Portion folgte[n] nun insgesamt 1200 Juden, die sämtlich nicht erst ’untersucht’ werden [...] Punkt 17 [Uhr] ’warfen wir die Kelle weg’ und gingen zum Abendessen.“ Sämtliche jüdische Anstaltsinsassen fielen den Mordaktionen zum Opfer. Es gibt zahlreiche Verknüpfungspunkte zwischen der „Endlösung der Judenfrage“ und den Krankenmorden; die Nationalsozialisten setzten dieselbe „Tötungstechnologie“ und dasselbe Personal ein. Die Historiker Martin Broszat, Hans Mommsen und vor allem Henry Friedlander gehen sogar davon aus, dass ohne die Perfektionierung der Mordmaschinerie durch die Euthanasie die Shoah nicht in dem Maße stattgefunden hätte, wie es schließlich der Fall war. Siehe auch
Quellen
Literatur
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Nationalsozialistische_Rassenhygiene aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |