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Multiple Sklerose
Die Multiple Sklerose (MS), oder Encephalomyelitis disseminata ist eine entzündliche demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Sie ist neben Epilepsie eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen im jungen Erwachsenenalter und darum von erheblicher sozialmedizinischer Bedeutung. Bei der Multiplen Sklerose treten im Marklager von Gehirn und Rückenmark verstreut multiple entzündliche Entmarkungsherde auf, die vermutlich durch den Angriff körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiden der Nervenzellen verursacht werden. Begleitend kommt es aus verschiedenen Gründen zu einer Schädigung der Axone der Nervenzellen (siehe Abschnitt Neuropathologie und Pathophysiologie). Die Multiple Sklerose kann prinzipiell fast jedes neurologische Symptom verursachen, da die Entmarkungsherde im gesamten ZNS auftreten können (siehe 5: Symptome). Insbesondere Sehstörungen mit Minderung der Sehschärfe und Störungen der Augenbewegung (internukleäre Ophthalmoplegie) gelten als typisch, sind aber nicht spezifisch oder beweisend für die Erkrankung. Entgegen der landläufigen Meinung führt die Multiple Sklerose nicht zwangsläufig zu schweren Behinderungen. Auch viele Jahre nach Erkrankungsbeginn bleibt die Mehrheit der Patienten noch gehfähig. Multiple Sklerose ist nicht ansteckend und nur selten tödlich.
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EpidemiologiePrävalenzDie Multiple Sklerose ist in Mitteleuropa die häufigste entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Nach aktuellen Schätzungen ergibt sich für Deutschland eine Prävalenz von 149 Erkrankten pro 100.000 Einwohner, woraus sich eine Gesamtzahl von etwa 122.000 Erkrankten ergäbe.[1] Andere Schätzungen reichen von 67.000 bis 138.000 erkrankten Patienten in Deutschland.[2] Für Österreich wird eine Prävalenz von 99 Erkrankten pro 100.000 Einwohner angegeben[3], woraus sich dort eine Gesamtzahl von etwa 8150 Erkrankten ergäbe. Für die Gesamtschweiz liegen keine epidemiologischen Untersuchungen vor, für den Kanton Bern wurde jedoch mit 110 Erkrankten pro 100.000 Einwohner eine vergleichbare Prävalenz ermittelt.[4] MortalitätInsbesondere bei Patienten, die keine höhergradigen Behinderungen aufweisen, ist die Mortalität nicht wesentlich erhöht.[5] Die Lebenserwartung von Multiple-Sklerose-Patienten liegt sechs bis zehn Jahre unter der von Nichterkrankten vergleichbaren Alters[6]. In den letzten Jahrzehnten ist zudem ein deutlicher Rückgang der Sterblichkeit zu verzeichnen.[7] Geographische VerteilungAus Studien, die die Erkrankungshäufigkeit von Menschen, die aus MS-reichen Zonen in MS-arme Zonen übergesiedelt waren (zum Beispiel von Europa nach Südafrika oder von Amerika und Europa nach Israel) untersuchten, ergab sich, dass Menschen, die vor dem 15. Lebensjahr übersiedeln, die Krankheitshäufigkeit des Ziellandes übernahmen. Menschen, die nach dem 15. Lebensjahr übersiedeln, jedoch die Krankheitshäufigkeit ihres Herkunftslandes behalten. Aus diesen Ergebnissen wird geschlossen, dass die Krankheitsanlage zur MS bereits vor dem 15. Lebensjahr entstanden sein muss, auch wenn die Krankheit selbst erst viel später ausbricht. Die Zunahme der Erkrankungsfälle auf den Färöer-Inseln, die mit der Stationierung Britischer Truppen im Jahr 1943 begann und in vier Wellen erfolgte, ist als möglicher Beleg für eine infektiöse Ursache angeführt worden.[8][9] Familiäre HäufungZwei in Kanada und Großbritannien durchgeführte Studien ergaben folgende Erkrankungswahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad [10][11]:
NeuropathologieNeuropathologisch ist die MS durch fokale entzündlich entmarkende Läsionen im ZNS mit unterschiedlich ausgeprägtem Verlust an Axonen und reaktiver Gliose gekennzeichnet. Histologisch wurden von Lassmann und Mitarbeitern vier verschiedene Subtypen definiert, wobei Patienten mit einer primär immunologisch induzierten Entmarkung (Subtypen I und II) und solche mit einer primären Erkrankung der Oligodendrogliazellen, einer sogenannten Oligodendrogliopathie (Subtyp III und IV) unterschieden werden.[12] Die Ursachen der Oligodendrogliopathie sind bisher ungeklärt.
Möglicherweise führen also verschiedene immunologische Mechanismen zum Verlust der Markscheiden. Ob sich im Laufe der Chronifizierung der Erkrankung die Ausprägung der Subtypen ändert, bleibt noch unklar. Neue bildgebende Verfahren, wie etwa die Diffusions-Tensor-Bildgebung aber auch neuropathologische Untersuchungen haben seit einigen Jahren die Schädigung von Axonen bei der MS wieder zunehmend in den Vordergrund gerückt. Die Mechanismen, die zu dieser Art von Schäden führen, sind jedoch noch nicht vollständig geklärt. Ätiologie und PathogeneseDie Ätiologie der MS ist unbekannt. Hinsichtlich der Pathogenese existieren zahlreiche Theorien. Die vorliegenden Befunde deuten auf eine multifaktorielle Krankheitsentstehung mit Beteiligung von genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen als Auslöser einer immunvermittelten Schädigung hin. Genetische PrädispositionDie MS ist keine Erbkrankheit im klassischen Sinne, es konnten jedoch eine Reihe von genetischen Merkmalen identifiziert werden, die bei Erkrankten häufiger als in der Gesamtbevölkerung auftreten und zu einer erhöhten Disposition für die Multiple Sklerose beitragen. Unter anderem Variationen am Signalweg von Interleukinen beteiligter Gene sind von wissenschaftlichen Interesse.[13][14][15] InfektionshypotheseAls auslösendes Agens ist schon früh eine Infektion in der Kindheit mit einem Erreger, der Kreuzreaktivität mit Proteinbestandteilen des Myelins aufweist, vermutet worden. Diskutiert wurden zahlreiche virale (unter anderem Epstein-Barr-Virus und HHV6) oder bakterielle Erreger (unter anderem Chlamydien, Spirochaeten und Rickettsien). Ein überzeugender Nachweis eines spezifischen Erregers konnte bisher jedoch nicht geführt werden. Gegen die Möglichkeit einer direkten Übertragung der MS sprechen Studien an Adoptiv- und Stiefkindern von MS-Patienten, bei denen keine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit nachgewiesen werden konnte[16]. Insbesondere bei Kindern mit Multipler Sklerose scheint eine Immunreaktion gegen das Epstein-Barr-Virus häufiger als bei nicht-erkrankten Kindern zu sein.[17][18] Die sich unter anderem auf epidemiologische Daten von den Orkney-, Shetland- und Faröer-Inseln stützende provokante Hypothese, dass es sich bei der Multiplen Sklerose möglicherweise um eine sexuell übertragbare Erkrankung handeln könne[19], wurde kontrovers aufgenommen.[20] HygienehypotheseVermutet wird ein Zusammenhang zwischen der Auseinandersetzung des Immunsystems mit Infektionskrankheiten und einer dadurch verminderten Anfälligkeit für die Multiple Sklerose. So reduziert das Zusammenleben mit Geschwistern in den ersten sechs Lebensjahren das Risiko an MS zu erkranken signifikant, was durch eine vermehrte gegenseitige Ansteckung der Geschwisterkindern mit Infektionskrankheiten erklärt wird.[21] Vitamin-D-StoffwechselhypotheseIn der äquatorialen Zone ist die Erkrankungshäufigkeit seltener als in den nördlichen oder südlichen Breiten. Denkbar sind eine genetische Disposition, unterschiedliche Hygienestandards, aber auch Einflüsse von Klima und Ernährung. Einen neueren Erklärungsversuch stellt der Vitamin-D-Stoffwechsel dar: Vitamin-D wird beim Menschen hauptsächlich durch Sonneneinstrahlung in der Haut gebildet. Eine vermehrte Sonnenexposition im Kindesalter sowie erhöhte Vitamin-D-Serumspiegel gehen mit einem niedrigeren Risiko im späteren Leben eine MS zu entwickeln einher.[22][23] Die niedrige Inzidenz der MS bei traditionell lebenden grönländischen Inuit[24] ist mit deren Vitamin-D-reiche Ernährung[25] erklärt worden. VerlaufsformenDie Multiple Sklerose hat unterschiedliche Verlaufsformen. Wichtig für das Verständnis der Erkrankung und der Verlaufsformen ist der Begriff des Schubes. Ein Schub ist definiert als das Auftreten neuer klinischer Symptome, die länger als 24 Stunden anhalten. Typischerweise treten neue Symptome bei der MS subakut, also innerhalb von Stunden bis Tagen, auf. Klinische Symptome, die im Rahmen einer Temperaturerhöhung (Uhthoff-Phänomen) oder infektassoziiert auftreten oder sich verschlechtern, werden nicht als Schub bezeichnet. Um einen neuen Schub von einem alten abgrenzen zu können, müssen definitionsgemäß mindestens 30 Tage zwischen beiden klinischen Ereignissen liegen. Die Dauer eines Schubes beträgt meist einige Tage bis wenige Wochen. Je nachdem, ob sich die aufgetretenen Symptome vollständig oder nur unvollständig zurückbilden, spricht man von einer kompletten oder inkompletten Remission. Es wird zwischen folgenden Verlaufsformen unterschieden[26]:
Bei der schubförmig remittierenden MS (RR-MS) lassen sich einzelne Schübe abgrenzen, die sich komplett oder inkomplett zurückbilden. Im Gegensatz dazu können bei der primär progredienten MS keine Schübe abgegrenzt werden. Hier kommt es zu einer schleichenden Progression der neurologischen Defizite ohne Rückbildung. Die RR-MS kann im weiteren Verlauf in die sekundär progrediente MS übergehen. Diese ist wie die PP-MS durch eine langsame Zunahme neurologischer Dysfunktionen gekennzeichnet. Zusätzlich können sich aber hier noch Schübe auf den progredienten Verlauf aufpfropfen. Zu Beginn ist die RR-MS die häufigste Form mit etwa 85 %, nur bei 15 % der Patienten wird die PP-MS diagnostiziert.[27] Im späteren Krankheitsverlauf – nach etwa 10 bis 15 Jahren – geht die RR-MS in etwa der Hälfte der Fälle in die sekundär progrediente Verlaufsform über.[28] Die PP-MS kommt bei älteren Patienten häufiger vor als bei jüngeren. SymptomeDie ersten Symptome treten meist zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr im Rahmen eines Schubes auf. Während sich die Schübe bei Erkrankungsbeginn meist komplett zurückbilden, bleiben im späteren Krankheitsverlauf nach Schüben vermehrt neurologische Defizite zurück. Welches Symptom im einzelnen Schub entsteht, ist abhängig von der betroffenen Region im ZNS. So kommt es durch Entzündungen des Sehnervs (Neuritis nervi optici) zu Sehstörungen, die sich als Sehunschärfe oder milchiger Schleier bemerkbar machen können. Zusätzlich kann es beim Bewegen der Augen zu einem drückenden Schmerz an den Augäpfeln kommen. Durch Entzündungsherde an Orten im ZNS, die für die Wahrnehmung von Tastempfindungen zuständig sind, kommt es zu Sensibilitätsstörungen wie Missempfindungen (Parästhesien) und Gefühlen der Taubheit. Ist das motorische System betroffen, kann es zu Lähmungserscheinungen (Paresen) der Extremitäten kommen. Durch eine abnorme unwillkürliche Erhöhung des Muskeltonus (spastische Tonuserhöhung) kann die Bewegungsfähigkeit des Patienten weiter eingeschränkt sein. Herde im Hirnstamm und Kleinhirn können zu Störungen der Augenbewegungen (Doppeltsehen und Nystagmen), Schluckstörungen (Dysphagie), Schwindel sowie Störungen der Bewegungskoordination (Ataxie) und Artikulationsstörungen (Dysarthrie) führen. Das Lhermitte-Zeichen zeigt Herde im Bereich des Halsteil des Rückenmarks an und ist typisch für die MS. Sind vegetative Zentren und Bahnen des ZNS betroffen, kann es zu Störungen der Kontrolle der Blasen- und Darmfunktion und zu sexuellen Funktionsstörungen kommen. Schmerzen können durch eine spastische Tonuserhöhung und schwere Missempfindungen auftreten. Heftige Schmerzen können auch im Gesicht durch eine symptomatische Trigeminusneuralgie zustande kommen. Weiterhin kann es zu kognitiven Störungen und anderen psychischen Störungen (wie beispielsweise das Fatigue-Syndrom) kommen. Ein Mittel zur Quantifizierung der Beeinträchtigungen des Patienten ist die Bestimmung der Expanded Disability Status Score. In dieser Skala wird die aktuelle Beeinträchtigung des Betroffenen in sieben neurologischen Systemen bestimmt. Betrachtet man den gesamten Krankheitsverlauf, sind es Störungen des motorischen Systems wie Lähmungen und spastische Tonuserhöhungen, die das Leben der Betroffenen häufig am meisten beeinträchtigen. DiagnoseAls Grundlage für die Diagnosestellung dient die vom internationalen MS-Diagnose-Forum überarbeitete Fassung der McDonald-Kriterien [29] vom November 2005.[30][31] Das Hauptkriterium einer MS-Diagnose bleibt der Nachweis einer räumlichen und zeitlichen Dissemination von Entzündungsherden. Mit räumlicher Dissemination ist das Vorliegen von Entzündungsherden an mehr als einem Ort im zentralen Nervensystem gemeint. Zeitliche Dissemination bedeutet, dass im Verlauf der Erkrankung neue Herde hinzukommen, die zu klinischen Symptomen führen können. Sind weder in der Anamnese noch in der neurologischen Untersuchung Symptome für in der Bildgebung nachweisbare Herde vorhanden, wird von klinisch stummen Läsionen gesprochen. Eine räumliche und zeitliche Dissemination von Krankheitsherden ist zwar typisch für die MS, sie kann jedoch auch durch andere Erkrankungen verursacht werden. Daher wird in den Diagnosekriterien ausdrücklich betont, dass die Diagnose einer MS nicht gestellt werden darf, wenn die Symptome und pathologischen Befunde von einer anderen Erkrankung besser erklärt werden können. Neben Anamnese und klinisch-neurologischer Untersuchung werden eine Reihe von Zusatzuntersuchungen zur Diagnose einer MS durchgeführt: Bildgebende UntersuchungenIn den mittels Magnetresonanztomografie (MRT) gewonnenen Schichtbildern des Gehirns und des Rückenmarks können entzündete und vernarbte Gewebebereiche dargestellt werden; mit Hilfe des Kontrastmittels Gadolinium können akute Krankheitsherde nachgewiesen werden. Die MRT-Untersuchung kann wesentlich zur Diagnose beitragen. Zwar ist nach den McDonald-Kriterien eine Diagnosestellung auch ohne MRT-Bildgebung möglich (bei zwei Schüben und objektivierbaren Funktionsausfällen in mindestens zwei neurologischen Systemen), bei vielen Patienten mit klinischem Erstereignis ist jedoch zur frühen Diagnosestellung ein MRT notwendig. Mit der MRT-Untersuchung können sowohl die räumliche als auch die zeitliche Dissemination der Entzündungsherde in Gehirn und Rückenmark nachgewiesen werden. Typisch für die MS sind periventrikulär gelegene Entzündungsherde im Marklager des Gehirns. Die McDonald-Kriterien geben genau an, wieviele Entzündungsherde in welcher Region des ZNS nachweisbar sein müssen, um von einem positiven MRT sprechen zu können. Für den Nachweis einer zeitlichen Dissemination mittels MRT müssen neue Entzündungsherde nach einem Zeitraum von mindestens 3 Monaten nach dem klinischen Erstereignis nachgewiesen werden (optional können auch neue Herde nach einem Monat im Vergleich zu einer Referenzaufnahme die zeitliche Dissemination beweisen). Laborchemische UntersuchungenBlutuntersuchungenIm Blut gibt es keinen für die Multiple-Sklerose spezifischen Biomarker. Gängige Entzündungsparameter wie die Anzahl der weißen Blutkörperchen, die Blutsenkungsgeschwindigkeit oder das C-reaktive Protein sind bei der MS auch während eines Schubereignisses nicht zwangsläufig erhöht.[32] Ob die Serumbestimmung von Antikörpern, die gegen das Myelin-Basisprotein (MBP) oder das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) gerichtet sind, zur Diagnosestellung beitragen können, wird erforscht.[33][34] LiquordiagnostikIm Liquor cerebrospinalis hingegen ergibt sich bei über 95 % der Patienten ein pathologischer Befund. Daher ist bei Krankheitsverdacht eine Lumbalpunktion erforderlich. Bei 50 % der Patienten findet sich eine leichte Vermehrung lymphozytärer Zellen im Liquor (lymphozytäre Pleozytose). Eine intrathekale Antikörpersynthese mit Nachweis oligoklonaler Banden als Hinweis auf einen chronisch-entzündlichen Prozess im zentralen Nervensystem ist bei über 95 % der Patienten nachweisbar. Die genaue Sensitivität des Tests ist allerdings abhängig vom untersuchenden Labor.[35] Eine intrathekale Synthese von Antikörpern gegen Masern, Röteln und Varizella-Zoster-Viren (MRZ-Reaktion) findet sich bei 89 % der Patienten.[36] Diese Befunde sind typisch, aber nicht beweisend für die Multiple Sklerose. Neurophysiologische UntersuchungenEine Verlängerung der Latenzzeiten bei der Untersuchung der evozierten Potenziale (insbesondere der visuell und somatosensorisch evozierten Potentiale) kann auf die durch die Demyelinisierung gestörte Erregungsleitung hinweisen. Bei fortgeschrittener Erkrankung kann bedingt durch die axonale Schädigung auch eine Reduktion des Amplitude auftreten. DifferenzialdiagnoseDie Differenzialdiagnose, also die Abgrenzung der MS gegenüber anderen Erkrankungen, umfasst eine Vielzahl von Erkrankungen. Differenzialdiagnostisch müssen vor allem chronisch-infektiöse Erkrankungen (insbesondere die Neurosyphilis, die Neuroborreliose, oder die HIV-Infektion), Kollagenosen, Vaskulitiden und Leukodystrophien sowie Sonderformen entzündlich-demyelinisierender Erkrankungen (zum Beispiel das Devic-Syndrom, die Tropische Spastische Paraparese oder die Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM)) ausgeschlossen werden. Obligate Laboruntersuchungen in der diagnostischen Phase umfassen C-reaktives Protein, großes Blutbild, Serumchemie, Blutzucker, Vitamin-B12, Rheumafaktor, ANA, Anti-Phospholipid-Antikörper, Lupus-Antikoagulans, ACE, Borrelienserologie, Urinstatus. Fakultativ werden bei klinisch möglicher Differenzialdiagnose durchgeführt: ANCA, ENA, HIV-Serologie, HTLV-1-Serologie, TPHA, langkettige Fettsäuren, Mykoplasmen-Serologie. TherapieDie Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Ziel aller therapeutischen Maßnahmen ist es, die Unabhängigkeit des Patienten im Alltag zu erhalten und die beste erreichbare Lebensqualität zu gewährleisten. Die bestehenden therapeutischen Möglichkeiten lassen sich in die Schubtherapie, die immunmodulierende Langzeittherapie und die Behandlung symptomatischer Beschwerden unterteilen. Wichtig ist das Verhindern von Komplikationen der MS, die beispielsweise infolge der Immobilität des Patienten entstehen. Das Erreichen dieser Therapieziele setzt eine gute Zusammenarbeit von Patient, Umfeld des Patienten, Neurologen, Hausarzt, Physiotherapeuten und Vertretern weiterer Disziplinen voraus. Die Auswahl der therapeutischen Maßnahmen berücksichtigt den immer individuellen Fall des Patienten. SchubtherapieIndiziert ist eine Schubtherapie bei funktioneller Beeinträchtigung des Patienten. Bei rein sensiblen Schüben ist eine Schubtherapie meist nicht notwendig. Die Gabe von hoch dosierten Glucocorticoiden kann während eines Schubes die Rückbildung von Symptomen initiieren und beschleunigen. Glucocorticoide wirken entzündungshemmend. Unter anderem vermindern sie die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke, so dass weniger weiße Blutkörperchen in die Entzündungsherde im ZNS einwandern können. Es gibt bis heute keine studiengestützten Hinweise, dass das Glucocorticoid Kortison den Langzeitverlauf der Krankheit positiv beeinflussen würde. Üblich ist die intravenöse Therapie mit jeweils 1000 mg Methylprednisolon über 3–5 Tage. Sind nach der ersten Kortison-Pulstherapie die Auswirkungen eines Schubes nach mindestens zwei Wochen noch immer relevant, soll nach Empfehlung der deutschen Gesellschaft für Multiple Sklerose eine zweite Kortison-Pulstherapie mit doppelter Dosierung stattfinden. Häufige Nebenwirkungen der Kortisontherapie sind Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen. Da die Kortisongabe nur über eine kurze Zeit erfolgt, treten keine Nebenwirkungen auf, die für eine Langzeittherapie mit Kortison typisch sind (beispielsweise Cushing-Syndrom). Sollte auch der zweite Kortisonstoß nicht befriedigend wirken, kann zur Beendigung eines akuten Schubes eine Plasmapherese erwogen werden; diese ist jedoch nur an spezialisierten Zentren möglich, für den Patienten belastend, birgt die Möglichkeit ernsthafter Komplikationen und ist sehr kostenintensiv. Immunmodulation und ImmunsuppressionDie Begriffe Immunmodulation und Immunsuppression werden in der Literatur nicht immer klar abgegrenzt. Als immunmodulierende Therapie wird die Therapie mit Beta-Interferonen, Glatirameracetat, intravenösen Immunglobulinen (IVIG) und Natalizumab bezeichnet. Immunsuppresiva sind Mitoxantron, Azathioprin und Cyclophosphamid. Ziel der Langzeittherapie mit diesen Substanzen ist es, neue neurologische Defizite zu verhindern und die Verschlechterung bestehender Defizite zu verzögern. Auf pathophysiologischer Ebene sollen die eingesetzten Wirkstoffe axonale Schäden verhindern, indem sie die Entzündungsreaktion im ZNS dämpfen. Die Immunsuppressiva erreichen dies, indem sie die Vermehrung von weißen Blutkörperchen hemmen. Die Wirkprinzipien der immunmodulierenden Substanzen sind vielfältig und nicht vollständig verstanden. Natalizumab wurde gezielt als ein Wirkstoff entwickelt, der das Einwandern von weißen Blutkörperchen in das ZNS verhindern soll. Grundlage der Behandlung im deutschsprachigen Raum ist die Therapieempfehlung der „Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe“ (MSTKG), der führende Forscher und spezialisierte Ärzte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angehören.[37] Die Wahl der Therapie richtet sich zunächst danach, ob es sich um eine schubförmig verlaufende oder primär progrediente Form der Erkrankung handelt. Schubförmiger Verlauf
Grundsätzlich wird bei der RR-MS eine frühestmögliche immunmodulatorische Therapie empfohlen, um bereits im Frühstadium der Erkrankung axonale Schäden zu begrenzen. Für diesen Ansatz spricht auch, dass die frühe Phase der MS meist durch eine besonders hohe entzündliche Aktivität im ZNS gekennzeichnet ist. Gleichberechtigte Therapeutika der ersten Wahl sind das Glatirameracetat und die Beta-Interferon-Präparate Betaferon®, Avonex® und Rebif®. Wenn Kontraindikationen gegen diese Mittel bestehen, gelten Azathioprin und intravenöse Immunglobuline als Mittel der zweiten Wahl. Diese Therapie wird als Basistherapie bezeichnet. Kommt es unter dieser Therapie zu einem raschen Fortschreiten der neurologischen Defizite, wird statt der Basistherapie die Eskalationstherapie empfohlen. Wirkstoffe, die in der Eskalationstherapie eingesetzt werden, sind Mitoxantron, Natalizumab und in seltenen Fällen Cyclophosphamid. Nicht für alle Präparate konnte in Meta-Analysen ein überzeugender Wirksamkeitsnachweis geführt werden.[46] Die Therapie wird im Allgemeinen fortgeführt, solange ein positiver Effekt auf die Entwicklung der MS festzustellen ist und keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auftreten. Für Mitoxantron gibt es aufgrund schwerer dosisabhängiger Nebenwirkungen (Mitoxantron ist kardiotoxisch) eine begrenzte Lebensdosis, die etwa nach 2-5 Jahren erreicht wird. Bei der Behandlung mit Interferon-Beta und Natalizumab kann es zur Entstehung von neutralisierenden Antikörpern (NAB) kommen. Während aktuelle Studien (2007) gezeigt haben, dass die Wirksamkeit der Interferone davon nicht beeinträchtigt wird, ist bei Natalizumab davon auszugehen, dass NAB die Effektivität verringern. Wird während der Basistherapie der Wechsel auf ein anderes Medikament erwogen, kann dazu je nach Beurteilung des behandelnden Arztes in Rücksprache mit dem Patienten entweder ein anderes Basistherapeutikum oder ein Arzneistoff aus der Gruppe der Eskalationstherapie gewählt werden. Die beiden Beta-Interferon-Präparate Betaferon® und Avonex® sind jeweils unter bestimmten Voraussetzungen auch zur Behandlung des Clinically isolated Syndrome zugelassen. Chronisch progrediente VerlaufsformenFür die Behandlung der sekundär progredienten MS wird in erster Linie der für diese Indikation seit 2002 zugelassene Arzneistoff Mitoxantron eingesetzt. Nach Erreichen der Höchstdosis von Mitoxantron und fortbestehender Krankheitsaktivität können Therapieversuche mit vierteljährlichen hochdosierten intravenösen Cortisonstößen oder Cyclophosphamid versucht werden. Die primär progrediente Verlaufsform ist einer Behandlung nur wenig zugänglich. Nach Abwägen des Risiko-Nutzen-Verhältnisses und Abschätzung der Krankheitsaktivität können in einigen Fällen Therapieversuche ebenfalls mit Cortisonstößen, Mitoxantron oder Cyclophosphamid unternommen werden. Symptomatische TherapieIm Verlauf der MS können viele Symptome zu einer Verringerung der Lebensqualität führen. Die jeweiligen Funktionsstörungen und ihr Ausmaß sind dabei bei jedem Patienten unterschiedlich ausgeprägt. Besonders häufig und einschränkend sind die durch Lähmungen verursachte Immobilität, Blasenfunktionsstörungen und eine schnellere psychische und physische Ermüdbarkeit (Fatigue). Die Therapie dieser und weiterer Funktionsstörungen sowie die Prophylaxe von schwerwiegenden Folgeerkrankungen der MS wird als symptomatische Therapie bezeichnet. Zur symptomatischen Therapie eignen sich neben Änderungen der Lebensführung physiotherapeutische, logopädische, ergotherapeutische, psychotherapeutische, medikamentöse und operative Maßnahmen[47]. Besonders wichtig ist die Prophylaxe schwerwiegender Komplikationen wie Aspirationspneumonien, Lungenembolien, Thrombosen, Osteoporose, Dekubitalgeschwüren, Gelenkkontrakturen, Harnwegsinfektionen und der Exsikkose. Diese Komplikationen sind mit für die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung verminderte Lebenserwartung bei MS-Patienten verantwortlich.
Sprech- und Schluckstörungen können zu einer erheblichen Belastung des Patienten führen. Zu ihrer Therapie werden hauptsächlich logopädische Maßnahmen eingesetzt. Bei ausgeprägten Schluckstörungen können auch eine parenterale Ernährung und die Anlage einer PEG notwendig werden. Ziel hierbei ist eine ausreichende Nahrungszufuhr und das Vermeiden von Aspirationspneumonien[56]. Schmerzen bei MS-Patienten können vielfältige Ursachen haben. Die durch die Erkrankung selbst verursachte Trigeminusneuralgie, die anfallsweise auftritt, kann medikamentös mit Carbamazepin, Gabapentin oder Pregabalin behandelt werden. Auch chronische Schmerzen meist der Extremitäten, die vermutlich durch Herde im Rückenmark entstehen, werden durch die MS selbst verursacht und können beispielsweise mit Amitriptylin behandelt werden. Schmerzen können auch indirekt durch Folgen der MS wie eine spastische Tonuserhöhung der Extremitäten oder Harnwegsinfekte verursacht sein. Die Therapie richtet sich in diesen Fällen nach der jeweiligen Ursache[57]. Blasenfunktionsstörungen manifestieren sich in Harnwegsinfekten, imperativem Harndrang, Pollakisurie und Inkontinenz. Den Störungen zugrundeliegen kann eine Speicherstörung, Entleerungsstörung oder eine Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie der Harnblase. Nach spezifischer urologischer Diagnostik kann eine entsprechende Therapie mit einer Einteilung der Flüssigkeitszufuhr, Beckenbodengymnastik, Katheterisierung und Medikamenten erfolgen. Harnwegsinfekte müssen antibiotisch behandelt werden. Exsikkosen, die dadurch entstehen, dass die Patienten weniger trinken, um die Blasenstörungen zu minimieren, müssen vermieden werden[58]. Spastische Tonuserhöhungen kommen durch Herde in der Pyramidenbahn zustande. Sie können direkt Schmerzen oder ein Spannungsgefühl verursachen oder über Folgeerkrankungen wie Muskel- und Gelenkkontrakturen, Fehlstellungen und Immobilität zu Schmerzen führen. Eine physiotherapeutische Behandlung bei Spastik ist immer geboten. Medikamentös kann oral beispielsweise mit Baclofen oder Tizanidin behandelt werden. Umschriebene spastische Tonuserhöhungen können auch mit Injektionen von Botulinumtoxin behandelt werden. Eine weitere Option besteht in der Gabe von Baclofen oder Triamcinolon direkt in den Subarachnoidalraum im Bereich der Lendenwirbelsäule (intrathekale Applikation). Bei MS-Patienten kommen epileptische Anfälle gehäuft vor. Zur Prophylaxe und Therapie sollten identifizierbare Anfallsauslöser wie Medikamente, die die Krampfschwelle senken, oder Infekte vermieden und behandelt werden. Akut kann mit Benzodiazepinen behandelt werden. Zur Langzeitprophylaxe epileptischer Anfälle können Wirkstoffe wie Carbamazepin oder Valproat eingesetzt werden. Die physiotherapeutische Behandlung kann Muskelkraft, Ausdauer und Koordination verbessern und so mit dazu beitragen, die Mobilität zu erhalten.[59] Insbesondere Therapieformen auf neurophysiologischer Grundlage kommt eine besondere Bedeutung zu.[60] Hinsichtlich der Ernährung ist zu beachten, dass eine Metaanalyse keinen Hinweis auf einen wesentlichen Effekt verschiedener Ernährungsformen auf den Krankheitsverlauf ergab.[61] Nach Auffassung der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) kann eine geeignete Ernährung zu einer Verbesserung der Lebensqualität von MS-Patienten führen.[62] Es wird eine ausgewogene, fettarme, ballaststoffreiche, vitaminreiche Ernährung empfohlen. Die Kalorienzufuhr sollte ausreichend sein, Übergewicht sollte vermieden werden. Von einseitigen Diäten wird abgeraten. Eine psychologische Betreuung kann dazu beitragen, sekundär aufgetretene depressive Störungen zu behandeln. Ob mithilfe von kognitivem Training auch kognitive Beeinträchtigungen infolge der Krankheit verbessert werden können, ist Gegenstand der Forschung.[63] Ausblick→ Hauptartikel: Liste von Multiple-Sklerose-Wirkstoffen in der Erprobung Neben den für die Behandlung der Multiplen Sklerose in Deutschalnd zugelassenen sechs Medikamenten (drei Beta-Interferone, Glatirameracetat, Mitoxantron und Natalizumab) gibt es eine Vielzahl von Wirkstoffen, die sich in verschiedenen Phasen der Prüfung befinden. In Deutschland werden derzeit für mindestens 17 laufende klinische Studien aktiv Patienten rekrutiert.[64] Einen wichtigen Schwerpunkt der klinischen Forschung stellt die Weiterentwicklung von immunmodulatorischen Wirkstoffen, die ein Voranschreiten der Behinderung effektiver unterbinden dar. Andere Studien zielen darauf ab, den Anwendungskomfort durch längere Anwendungsintervalle oder eine orale Verabreichung zu erhöhen.[65][66] Die Rolle von aggressiven Behandlung, die darauf abzielen, das gestörte Immunsystem zu eliminieren, um dann durch Stammzellen (entweder im Knochenmark verbliebene oder durch Reinfusion autologer Stammzellen) ein neues, tolerantes Immunsystem zu etablieren, bleibt im Rahmen randomisierter klinischer Studien zu klären.[67] [68] Einen weiteren experimentellen Ansatz stellt der Versuch dar, bereits beeinträchtigte Körperfunktionen durch den Einsatz von Stammzellen oder die Blockade bestimmter Proteine im ZNS, wiederherzustellen. Therapien außerhalb der evidenzbasierten Medizin40–70 % der MS-Patienten nehmen neben oder anstelle der evidenzbasiert-medizinischen Therapie komplementär- oder alternativmedizinische Behandlungen in Anspruch[69][70]. Der Gebrauch unkonventioneller Therapien ist häufiger bei Patienten anzutreffen, die stärker durch die MS eingeschränkt sind. Es besteht eine sehr große Zahl von Angeboten (wie Akupunktur, Homöopathie, spezielle Diäten). Für keine der unkonventionellen Therapieangebote ist ein haltbarer Wirksamkeitsbeleg erbracht worden[71]. PrognoseBislang ist es zu Beginn der Erkrankung kaum möglich, eine Prognose über den weiteren Verlauf zu stellen, was die betroffenen Patienten sehr belastet. In den letzten Jahren wurden einige epidemiologische Studien zur Prognose der Multiplen Sklerose veröffentlicht. Die Ergebnisse waren überwiegend positiv und zeigten, dass die Erkrankung nicht selten weniger schwer als allgemein angenommen verläuft.[72] Basierend auf den Krankheitsverläufen von 1059 Patienten ist von einer Münchener Arbeitsgruppe ein Modell zur Bestimmung des individuellen Risikoprofils anhand von Krankheitsverlauf, EDSS-Status, Erkrankungsdauer, Schubfrequenz und Alter entwickelt worden.[73] Siehe auchQuellen und weiterführende InformationenEinzelnachweise
Literatur
Dachorganisationen
Weiterführende Informationen
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